Tessiner Priester misshandelte Kinder sexuell: «Wurde von teuflischer Präsenz verführt»
In christlichen Kirchen kommt es seit rund 2000 Jahren zu sexuellen Übergriffen. Dank ihrer Machtstellung konnten Geistliche jahrhundertelang ungehindert ihr Unwesen treiben und ihre sexuellen Begierden ausleben.
Die katholische Kirche schaffte es bis in die Neuzeit, die Missbräuche zu vertuschen und die Übeltäter vor der Justiz zu schützen. Wenn Pfarrer sich nach dem Gottesdienst an Ministranten vergingen, erwiesen sich die Kirchen als Schutzburgen für diese Geistlichen.
Als die ersten Opfer wagten, ihre traumatischen Erlebnisse öffentlich zu machen, verharmloste die katholische Kirche die Übergriffe und deckte die Täter. Deshalb kam es nur selten zu rechtlichen Verfahren.
Übergriffe unter dem Deckel gehalten
Die betroffenen Pfarreien und die zuständigen Bischöfe waren bestrebt, die Übergriffe unter dem Deckel und den Imageschaden in Grenzen zu halten. Es war für die «Würden»-Träger eine narzisstische Kränkung, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Und dies oft von Skeptikern, denen der überproportionale Einfluss der katholischen Kirche ein Dorn im Auge war.
Nach jahrelangem weltweitem Druck der Medien und der Öffentlichkeit sah sich die katholische Kirche schliesslich genötigt, die teilweise systematischen sexuellen Übergriffe durch die Geistlichen anzuerkennen. Wirkliche Verantwortung für die Verbrechen hat sie aber bis heute nicht übernommen.
Wie sich diese Haltung im Einzelfall auswirkt, erlebten wir vor ein paar Tagen beim Schwurgericht in Lugano. Dieses verhandelte den Fall eines Tessiner Priesters, der sich wegen sexueller Übergriffe an neun Opfern von 2015 bis 2023 verantworten musste. Vier von ihnen waren zur Tatzeit 12 bis 15 Jahre alt und damit minderjährig.
Satan ist schuld
Der Priester beging die Taten also zu einer Zeit, als die Missbräuche in der katholischen Kirche längst für eine öffentliche Empörung gesorgt hatten. Der Priester gestand vor Gericht die Übergriffe und räumte sein Fehlverhalten ein, doch wirklich Verantwortung für die Taten übernahm er nicht:
Er schob die Schuld damit indirekt dem Satan zu. Weiter erklärte er, er sei emotional verwirrt gewesen. Bemerkenswerte Aussagen, muss doch eine religiöse «Entschuldigung» für seinen mehrfachen sexuellen Missbrauch herhalten.
Er habe sich eingeredet, dass die Berührungen den Knaben und jungen Männern helfen würden, sagte der Angeklagte. Mit diesem Argument versuchte er, seine Missbräuche zu verharmlosen. Eine verräterische Argumentation und ein Hohn für die Opfer.
Gottes Stellvertreter auf Erden
Dieses Muster ist im christlichen Glauben und speziell in der katholischen Auslegung angelegt. Das religiöse Dogma, dass der Satan die Menschen zur Sünde verführen will, ist in der christlichen DNA verankert.
Die katholische Kirche hat diese religiöse Überzeugung über Jahrhunderte sorgsam gepflegt, konnte sie damit doch die Gläubigen an sich binden. Ihre Argumentation: Befreiung von den Sünden gibt es nur durch Jesus oder Gott, respektive seine Stellvertreter auf der Erde. Sie können dir vergeben und dich von der Sünde befreien, wenn du sie beichtest und das Fehlverhalten bereust.
Dieses Ritual führt angeblich zur Reinigung des Sündenregisters. Eine Voraussetzung, um am Jüngsten Tag zu den Geretteten zu gehören.
Der Versuchung erlegen
Dieses kindliche Muster der Absolution benutzte der Tessiner Priester vor den sechs Geschworenen und drei Richtern. Frei nach dem Motto: Der Satan hat mich so verwirrt, dass ich seiner Versuchung erlegen bin und quasi gegen meinen Willen die Opfer geschändet habe.
Der Einfluss des Satans muss heftig gewesen sein, dauerte doch die angebliche Verwirrung acht Jahre lang. Die Staatsanwaltschaft klagte den Priester wegen neunfacher sexueller Nötigung, Missbrauch einer zum Widerstand unfähigen Person, illegaler Pornografie und vierfachen sexuellen Handlungen mit Minderjährigen unter 16 Jahren an.
Die Staatsanwältin erklärte vor Gericht, der Priester habe reihenweise Jugendliche und junge Männer zu sexuellen Handlungen gezwungen. Er sei als Lehrer und Jugendseelsorger eines Kollegiums eine Vertrauensperson der Jugendlichen gewesen und habe seine Machtposition gegenüber den Knaben und jungen Männern ausgenutzt. Verhandelt wurden nur die Fälle, die nachgewiesen werden konnten.
Es scheint, dass die Geschworenen und Richter die religiösen Ausreden des Priesters als mildernde Umstände werteten. Sie verurteilten den Priester lediglich zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Er habe die Opfer nur in den wenigen Fällen zwischen den Beinen berührt, begründete das Gericht das milde Urteil. Da er seit November 2024 eine vorzeitige Haftstrafe verbüsst hatte, konnte er den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Für die Opfer zum zweiten Mal ein Hohn.
Urteil erntet Kritik
Das Urteil ist nicht nur für Beobachter schwer verständlich, sondern auch für die Staatsanwältin, die fünfeinhalb Jahre gefordert hatte. Das Gericht ging sogar unter das Strafmass, das der Rechtsanwalt des Priesters vorgeschlagen hatte.
Die Tessiner Vereinigung zur Unterstützung von Opfern sexueller Misshandlungen im religiösen Umfeld übt Kritik am Urteil. Beim sexuellen Missbrauch gebe es keine leichten Taten, wie das Gericht geurteilt habe. Das Leid hänge weder vom quantitativen noch vom qualitativen Kontakt ab.
Als Beobachter erhält man den Eindruck, dass der «ehrwürdige Herr Priester» vom Tessiner Gericht einen religiösen Bonus erhalten hat.
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