Die Corona-Pandemie hat die Welt in kurzer Zeit auf den Kopf gestellt. Die Menschheit ist mit einem Phänomen konfrontiert, das das Weltbild und Selbstverständnis vieler erschüttert. Plötzlich wird uns bewusst, wie fragil unser Leben trotz Wissenschaft und Technik ist.
Die Erkenntnis, dass ein unsichtbares Virus uns terrorisieren kann, ist eine Kränkung. Angst und Ohnmacht treiben viele in die Irrationalität: Sie wollen die Gefahr nicht wahrhaben und flüchten in eine virtuelle Welt. Manche leugnen die Existenz des Virus', andere verharmlosen es und flüchten in Verschwörungsmythen. In ihrer Realitätsflucht weigern sie sich, wissenschaftliche Erkenntnisse zu akzeptieren.
Christliche Fundamentalisten sehen apokalyptische Zeichen an der Wand und beschwören Endzeitszenarien herauf. Sie rufen ihre Glaubensgeschwister auf, zu beten und Busse zu tun.
Eine gegenteilige Gemütslage erleben manche Esoteriker. Sie sehen zwar auch ein Zeichen an der Wand, doch dieses ist geprägt von Hoffnung und Aufbruch. Sie glauben, dass die Pandemie den lang ersehnten spirituellen Paradigmenwechsel einläutet: das Virus als Katalysator der schon lang erwarteten geistigen Transformation.
In ihrer Verblendung sind sie nicht fähig, die Realität richtig einzuschätzen und zu akzeptieren. Sehnsucht und der Glaube an spirituelle Wunder bestimmen ihr Denken und ihr Bewusstsein. In welche übersinnlichen Gefilde die geistige Reise mancher Esoteriker geht, zeigen die folgenden Beispiele.
Die deutsche Onlineplattform «Projektmagazin» beschwört ein neues, holistisches Denken herauf, das einen Paradigmenwechsel markiere. Das neue Denken betrachte den Geist als Urgrund allen Seins und nicht die Materie. Probleme entstünden durch die Art unseres Denkens. «Die Schwierigkeit besteht darin, dass ausgerechnet der eigene Verstand der Gegner ist bei diesem Prozess.» Die aktuelle Krisensituation könne «das Sprungbrett zu einem globalen Bewusstseins-Shift im Sinne einer höheren Denklogik sein», heisst es weiter.
Andere Esoteriker witterten die Chance, mit einem Buch über Corona die Massen zu erreichen und Umsatz zu generieren. Zum Beispiel Zora Gienger mit ihrem Werk «Die Chance: Was wir aus der Corona-Krise spirituell lernen können».
Die Autorin schreibt darin, es gelte «mit den bewussten Werkzeugen geistiger Heilkraft das Virus aufzulösen und die eigene schöpferische Kraft der Liebe einzusetzen, um die Verbundenheit der gesamten Menschheit zu manifestieren. Gienger sieht in Meditationen, Heilgebeten und Segnungen das wirksame Rezept gegen das Virus.
Nur: Wie soll Meditation das Virus besiegen? Diese Frage wollten Hunderttausende Esoteriker weltweit beantworten. Sie meditierten am 5. April gleichzeitig und waren überzeugt, den Erreger «endgültig auszulöschen». Das Ergebnis kennen wir: Das Virus wütet stärker denn je.
Die Plattform «Lichtwesen» setzt ebenfalls auf Meditation:
Auch die Schweizer Gruppe «Integrale Politik» schwurbelt von der Transformation. Der Autor des Textes fand heraus, dass Corona nicht nur Leid und Unsicherheit bringe, sondern auch die grösste vorstellbare Transformation der Menschheit in Gang setze. «Wir erleben zurzeit einen Evolutions-Bewusstseinssprung und die Evolution schaut sich durch unser bewusstes Miterleben dabei selbst zu.»
Den esoterischen Corona-Vogel schiesst die deutsche Immobilienmaklerin und Esoterikerin Maria Liebig auf ihrer Homepage ab: «Das Ende der Matrix bedeutet das Zusammenbrechen der bestehenden Systeme und der Illusion. Der Aufstieg in die fünfte Dimension oder Aufstiegsprozess der Erde wird oft auch als der Nullpunkt, das Überschreiten der Schwelle, die Öffnung des Portals in die neue Zeit, das goldene Zeitalter bezeichnet.»
Das Medium Tara Bondi erklärt: «Es ist ein wunderbarer Prozess: Heilung, Transformation und Erwachen geschehen jetzt verstärkt. Altes Karma erlöst sich.»
Die Welt steckt so tief im Sumpf wie seit 75 Jahren nicht mehr. Stichworte: Klima, Ausbeutung der Erde und Meere, CO2-Ausstoss, Corona, Wirtschaftskrise, politische Instabilität. Doch viele Esoteriker sehen einen Paradigmenwechsel und den Beginn eines neuen glorreichen Zeitalters. Sie leben in einer Blase, in die nichts, aber auch gar nichts von der realen Aussenwelt eindringt.