Die Esoterik breitet sich oft unbemerkt aus und nistet sich in verschiedenen Gesellschaftsbereichen ein. Besonders Anhänger mit sektenhaften Neigungen missionieren bei jeder Gelegenheit. Sind sie in sozialen Berufen tätig, kann es zu Konflikten oder Missbräuchen kommen.
Ein tragischer Fall, der mehrere Gerichte und Behörden bis hinauf zum Regierungsrat beschäftigte, spielt sich seit Jahren in der Schule von Wallisellen ZH ab. Betroffen ist eine Familie, die für ihre Tochter Christa (Name geändert) und ihren Ruf kämpft. Ein Kampf zwischen David und Goliath.
Es begann vor sieben Jahren. Christa behauptete, die Schul-Sozialarbeiterin beeinflusse sie esoterisch. Die Eltern beobachteten gleichzeitig eine Entfremdung ihrer Tochter. Als Christa am 1. April 2011 über Mittag nicht nach Hause kam, suchte die Mutter sie überall.
Es stellte sich heraus, dass die Sozialarbeiterin ihre Tochter ohne Vorwarnung ins Mädchenhaus gebracht hatte. Eine Gefährdungsmeldung erschütterte die Eltern. Sie sei zu Hause geschlagen worden, behauptete Christa. Diese Aussage widerrief sie später.
Die Eltern vermuteten, dass Christas störrisches Verhalten mit dem Einfluss der Sozialarbeiterin zu tun hatte. Ihnen wurde das Sorgerecht entzogen, und sie erhielten eine Rechnung für Christas Aufenthalt im Mädchenhaus von 32'000 Franken. Gegen beides wehrten sie sich erfolgreich auf dem Rechtsweg.
Christa sagte später, die Sozialarbeiterin habe sich als Lichtarbeiterin und Hellseherin ausgegeben und ihr gesagt, sie könne mit Geistern kommunizieren. Diese bestreitet aber alle Vorwürfe. Die Eltern von Christa fanden heraus, dass die Sozialarbeiterin engen Kontakt mit zwei international tätigen sektenhaften Gruppen hatte.
Nachdem ich den Fall im «Tages-Anzeiger» aufgedeckt hatte, stellte die Schulpflege die Sozialarbeiterin frei und beauftragte das Büro des Zürcher Rechtsanwaltes Johann-Christoph Rudin mit einer Administrativuntersuchung. Die Eltern waren mit der Wahl nicht einverstanden. Sie hielten Rudin für befangen, weil er früher schon Aufträge der Schulgemeinde erhalten hatte. Der Anwalt verwahrt sich aber gegen den Vorwurf.
Als er seinen Bericht verfasst hatte, wollte Schulpräsidentin Anita Bruggmann sofort die Medien informieren. Die Eltern von Christa gelangten unverzüglich an den Bezirksrat, der der Schulpflege von einer Medienorientierung abriet, weil in dieser Sache ein Verfahren hängig war.
Doch Bruggmann publizierte die Mitteilung trotzdem. Die Sozialarbeiterin habe kein esoterisches Gedankengut in der Schule verbreitet und sei nie Mitglied einer sektenhaften Gruppe gewesen, hiess es darin. Deshalb durfte sie ihre Arbeit sofort wiederaufnehmen.
Die Medien, die den Bericht nicht einsehen konnten, übernahmen die Darstellung der Schulpflege. Der TA titelte: «Eine Familie beschuldigte Sozialarbeiterin zu Unrecht». Und der Anzeiger von Wallisellen schrieb: «Sektenvorwurf entkräftet». Die Eltern von Christa fielen aus allen Wolken. «Unser Ruf ist geschädigt, wir gelten nun als Lügeneltern», erklärten sie.
Im Beschluss vom 17. Oktober 2012 rügte der Bezirksrat die Schulpräsidentin. Die Sozialarbeiterin hätte wegen des laufenden Verfahrens weiter beurlaubt bleiben müssen. Ausserdem hätte sie den Eltern vor der Medienorientierung das rechtliche Gehör gewähren sollen. Wörtlich: «Diese Vorgehensweise ist nicht akzeptabel und wird daher gerügt.»
Auf Anfrage sagte Bruggmann, der Bericht habe die Sozialarbeiterin vollumfänglich entlastet. Deshalb sei nicht zu erkennen gewesen, weshalb sie weiter hätte beurlaubt bleiben müssen.
Ich hatte kürzlich erstmals Einsicht in alle Akten und erkannte, dass die Schilderungen der Eltern bezüglich Sektenzugehörigkeit der Sozialarbeiterin korrekt waren, wie der Rudin-Bericht festhält. Sie kannte den Gründer der einen esoterischen Gruppe – ein Schüler des umstrittenen Sexgurus Bhagwan (Osho) – seit über 20 Jahren, besuchte bei ihm während 15 Jahren Seminare und absolvierte einen zweijährigen Kurs. Dies gab sie bei der Bewerbung an der Schule Wallisellen als Referenz an.
Später zahlte ihr die Schule sogar mehrere Weiterbildungskurse bei ihm. Überdies beantragte sie 2003 ihre Freistellung für eine Weiterbildung. Und sie führte im Singsaal eine Meditation mit einer Klasse, mehreren Lehrern und einem Schulpfleger durch. Dies geschah allerdings vor der Amtszeit von Bruggmann.
Die Sozialarbeiterin rechtfertigte sich, sie sei nicht Mitglied der Gruppe. Nur: Solche esoterischen Guru-Gruppen sind nicht vereinsmässig organisiert und kennen keine Mitgliedschaft. Die jahrelangen Ausbildungen dokumentieren aber die enge Bindung.
Die Schulpflege liess sich auch nicht verunsichern, dass die Sozialarbeiterin in einem Sektenführer als Schweizer Vertreterin der esoterischen Gruppe aufgeführt war. Sie wisse nicht, wie ihre Adresse in das Buch geraten sei, sagte sie zu ihrer Verteidigung.
Rudin erklärte auf Anfrage, die Sozialarbeiterin dürfe auf Grund der Glaubens- und Gewissensfreiheit Kurse und Seminare besuchen, solange sie die Inhalte nicht in die Schule einfliessen lasse. Dies sei nicht passiert, wie die Befragungen von 26 Lehrerpersonen, Eltern und Schülern ergeben habe.
Hat also Christa gelogen? Es stehe Aussage gegen Aussage, steht im Bericht. Dieser rügte dann die Sozialarbeiterin doch noch in einem Punkt: Sie war mit Christa wegen eines Ekzems zum Arzt gegangen, ohne die Eltern zu informieren.
Christas Eltern waren mit dem Bericht nicht einverstanden. Sie gelangten an den Bezirksrat Bülach und verlangten ergänzende Abklärungen von einer unabhängigen Fachperson. Denn es gab eine zweite Schülerin, die sagte, von der Sozialarbeiterin esoterisch beeinflusst worden zu sein. Ihre Eltern waren aber nicht bereit, bei Rudin auszusagen, weil sie ihn für befangen hielten.
Der Bezirksrat entsprach dem Begehren von Christas Eltern, doch die Schulpräsidentin rekurrierte beim Regierungsrat dagegen und bekam recht. Sie nannte das Verhalten von Christas Eltern als querulatorisch.
Die jahrelangen Auseinandersetzungen führten bei Christa zu einer posttraumatischen Belastungsstörung im Zusammenhang mit dem Fall und den Untersuchungen, wie der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst bei ihr im Herbst 2014 diagnostizierte.
Die Sozialarbeiterin reichte im Herbst 2015 eine Strafanzeige gegen Christas Eltern wegen übler Nachrede ein. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aber ein. Christas Eltern wiederum reichten zusammen mit dem zweiten Elternpaar am 5. Januar 2016 eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Schulpräsidentin beim Bezirksrat Bülach ein. Darin warfen sie Bruggmann Amtsmissbrauch und Verleumdung vor.
Der Bezirksrat lehnte die Aufsichtsbeschwerde am 31. Mai 2017 ab. Er schrieb aber in seinem Beschluss, dass Christa «in eine schwere Abhängigkeit» der Sozialarbeiterin geraten sei, wie dies die Fachstelle infoSekta in ihrem Bericht bilanziert habe. Entscheidend sei, dass es sich bei Christas Arztbesuch und Begleitung ins Mädchenhaus – «entgegen den entsprechenden Behauptungen» – nicht um einen Einzelfall gehandelt habe. Dies hätte die Schule hellhörig machen müssen und vor der Medieninformation «für weitere Abklärungen sensibilisieren sollen».
Am 6. Juli 2016 reichte die inzwischen volljährige Christa auf Empfehlung der Opferberatung Zürich eine Strafanzeige gegen die Sozialarbeiterin und die Schulpräsidentin wegen Amtsmissbrauch, Nötigung und Ehrverletzung ein. Am 6. Juli entschied das Gericht, dass die Staatsanwaltschaft im Fall der Sozialarbeiterin aktiv werden darf, nicht aber im Fall von Bruggmann. Das Verfahren ist noch hängig.
Der Fall beschäftigte jahrelang unzählige Behörden und Beamte und kostete Unsummen. Und noch immer ist der Konflikt nicht restlos erledigt. Am Anfang war Esoterik, am Schluss ein familiäres Leid.