Glaubensgemeinschaften sehen sich als Hüter von Moral und Ethik. Pastoren von radikalen Freikirchen fühlen sich deshalb als Experten bei der Beurteilung von Gut und Böse und taxieren die Sünden. Weit oben in der Skala angesiedelt ist das angebliche Fehlverhalten in sexuellen Belangen. Einen Spitzenplatz nimmt dabei die Homosexualität ein, die als eine Art Ursünde angesehen wird. Doch damit manövrieren sich manche Freikirchen direkt in Teufels Küche.
Ein klassisches Beispiel, das in letzter Zeit immer wieder für Schlagzeilen sorgt, sind Konversionstherapien, die fundamentalistische Gemeinschaften anbieten. Dabei handelt es sich um das Umpolen von homosexuellen Gläubigen und Transmenschen.
Diese menschenverachtende «Therapie» hat einen religiösen Hintergrund. Auslöser ist einmal mehr die Bibel. Denn in diesem angeblich von Gott inspirierten Buch wird die Homosexualität verteufelt. Legt sich ein Mann zu einem Mann wie zu einer Frau, fordert Gott die Todesstrafe, heisst es im Alten Testament. Im Neuen Testament ist es vor allem der Moralapostel Paulus, der die Homosexualität als widernatürliche Unzucht verurteilt.
In der Zwischenzeit hat ein Teil der Menschheit dazugelernt und die Erkenntnisse der Psychologie adaptiert. Diese besagen bekanntlich, dass Homosexualität angeboren und nicht therapierbar ist. Doch die christlichen und muslimischen Fundis gewichten auch heute noch die religiösen Schriften höher. Dabei scheint es ihnen egal zu sein, dass sie viel Leid in die Welt bringen. Der reine Glaube ist ihnen wichtiger als das Wohl der Gläubigen. Hauptsache, Gott und Allah haben ihre helle Freude an den Frommen.
Für etliche freikirchliche Pastoren und Älteste sind homosexuelle Gläubige eine Provokation und Herausforderung. Sie auszuschliessen, ist keine Option. Auch sie werden als Kinder Gottes betrachtet, deren Seelen sie retten wollen oder müssen. Um dieses Dilemma aufzulösen, vollführen sie einen geistigen Salto. Sie interpretieren die Homosexualität als Strafe Gottes für ein angeblich sündiges Verhalten.
Wo die Sünde ins Spiel kommt, sehen sie sich als Experten. Als Stellvertreter Gottes können sie dem Satan die Stirn bieten, der die Gläubigen versucht hat. Mit Gebeten, Verhaltensregeln und allenfalls einem Exorzismus kann das Fehlverhalten korrigiert werden, glauben die Geistlichen.
Was bei «gewöhnlichen Sündern» allenfalls klappen mag, funktioniert bei Homosexuellen nicht, wie die Prediger schmerzlich erfahren mussten. Sie verkünden zwar immer wieder Erfolge, doch der nächste «Rückfall» kommt so sicher wie das Amen im Gottesdienst. Denn die Natur ist stärker als der Glaube, was für Pastoren eine narzisstische Kränkung darstellt.
Der Name verrät schon, dass die Verfechter der Konversionstherapie Homosexualität als eine Glaubenskrankheit verstehen. In Wahrheit ist die Therapie eine Gehirnwäsche. Für die Betroffenen sind die Umpolungsversuche eine mentale Folter. Sie glauben, von Gott bestraft oder gar fallengelassen worden zu sein. Deshalb haben sie die Hoffnung, dass die «religiöse Therapie» funktioniert.
Ein «Rückfall» führt jedoch zum Schock, der das Selbstwertgefühl noch tiefer in den Keller sausen lässt. Sie fühlen sich vor Gott als Versager. Ich kenne mehrere Fälle, die im Suizid endeten. So kann der radikale Glaube zum Tod führen. Die Verantwortung dafür übernehmen die Gottesdiener aber nicht.
Ein SRF-Reporter erbrachte kürzlich den Beweis, dass auch die Heilsarmee versucht, Homosexuelle zu «heilen». Er gab sich als Schwuler aus und wurde prompt «therapiert». Das Beispiel zeigt, wie radikal die Krieger Gottes sind. Nach aussen geben sie sich bieder und geniessen dank ihrer sozialen Werke einen vergleichsweise guten Ruf. Doch hinter der Fassade verbirgt sich ein radikaler Glaube.
Für Pink Cross, dem Dachverband schwuler Männer, ist dies ein Ärger. Er schrieb auf seiner Homepage:
Inzwischen hat das Unverständnis über die Konversionstherapien mancher Freikirchen auch die Politik erreicht. So wurden in Deutschland, Frankreich und Österreich die Konversionstherapien bereits verboten.
Einmal mehr sind wir in der Schweiz rückständig. Der Bundesrat sah bisher keine Notwendigkeit, einzugreifen. Vor etwa sechs Jahren sagte er in einer Interpellationsantwort immerhin: «Solche Therapien sind nicht nur wirkungslos, sondern mit erheblichem Leid für die betroffenen Kinder und Jugendlichen verbunden.» Trotzdem sah er keine Notwendigkeit, Massnahmen zu ergreifen.
Vor ein paar Monaten haben deshalb Nationalräte eine parlamentarische Initiative eingereicht, die ein Verbot von Konversionsmassnahmen fordern.
Der Zürcher Regierungsrat stuft zwar die Konversionstherapien als unethisch und menschenrechtsverletzend ein, sieht aber ebenfalls keine Möglichkeit, diese auf dem Kantonsgebiet zu verbieten. Immerhin regt sich nun in mehreren kantonalen Parlamenten Widerstand, wurden doch entsprechende Vorstösse lanciert.
So bleibt zu hoffen, dass die Kantone dem Bund bald Beine machen. Denn nur ein Verbot auf nationaler Ebene kann die radikalen Freikirchen wirksam in die Schranken weisen.