Bei der Vorstellung von «Assassin’s Creed IV: Black Flag» im Jahr 2013 auf der E3 in Los Angeles kam es zu einer denkwürdigen Szene. Hinter verschlossenen Türen führte ein Mitarbeiter von Ubisoft Montreal etwas vor, das es so bis dahin noch nicht gegeben hatte: Seeschlachten. Da hob einer der anwesenden Journalisten die Hand und fragte, ob sich die Segel auch unterschiedlichen Windverhältnissen anpassen würden.
Das war der Moment, in dem der Entwickler die Fassung verlor. Ob man sich überhaupt im Ansatz vorstellen könne, was es heisse, eine bewegte See zu programmieren, mit unterschiedlichen Wellenarten, auf denen auch noch riesige Schiffe physikalisch korrekt schaukeln sollen? Und dann besitzt einer die Dreistigkeit, nach den verdammten Segeln zu fragen! Zumindest in dieser Session wurden danach keine Fragen mehr gestellt.
Nicht erst seit «Pirates of the Caribbean» sind Piraten in der Popkultur eigentlich eine sichere Bank. Die «Schatzinsel» wurde unzählige Male verfilmt, Gummipirat Monkey D. Ruffy ist seit mehr als 100 Mangabänden und unzähligen Animes auf der Suche nach dem titelgebenden Schatz, dem «One Piece». In Videospielen scheint der Reiz der Freibeuterei jedoch eher schwer einzufangen zu sein. Der legendäre Sid Meier gab seinen «Pirates!» 1987 und 2004 abseits der Schiffsplanken einiges zu tun. Sogar tanzen mussten die Gesetzlosen der Meere können. Ein grundlegendes Problem: Das Segeln von A nach B wird trotz gelegentlicher Scharmützel mit anderen Schiffen schnell langweilig. Selbst den Landschaftsspezialisten von Ubisoft dürfte es schwerfallen, hunderte von Quadratkilometern Wasserfläche abwechslungsreich zu gestalten.
Und das ist nur eine der Klippen, die «Skull and Bones», in das Ubisoft Singapore nun erstmals tiefere Einblicke gewährt hat, zu umschiffen hat. Vor knapp fünf Jahren angekündigt und sicher schon deutlich länger in der Entwicklung, soll das Spiel nun am 8. November vom Stapel laufen. Dabei war die Idee anfangs eigentlich ganz simpel: Die Seeschlachten von «Black Flag» in ein vollständiges Multiplayer-Game überführen, dass sich vorwiegend auf See abspielt. Zwar gilt das vierte «Assassin’s Creed» vielen Gamern als bestes Piratenspiel aller Zeiten. Doch in Sachen Open World hat sich in den letzten zehn Jahren eine ganze Menge getan. Irgendwann muss auch den Ubisoft-Verantwortlichen gedämmert haben, dass ein reines Seeschlacht-PvP heute einfach zu wenig ist.
Vor etwa einem Jahr holte man daher Ryan Barnard als Game Director an Bord. Der weiss unter anderem aus seinen Erfahrungen aus mit dem 2016 veröffentlichten «The Division», wie man PvP-Kämpfe spannend in Szene setzt. Doch ist die offene See nicht etwas ganz anderes als die Strassenschluchten von New York? «Ausgezeichnete Frage», antwortet Barnard. «Tatsächlich ist so ziemlich alles anders, es sind unter dem Strich zwei sehr unterschiedlich Spiele. Letztlich aber geht es immer darum, einen guten Rahmen für Gefechte zu schaffen. Mit 625 Quadratkilometern Open World, oder besser gesagt Open Sea, schaffen wir so viel Platz, dass es eine entscheidende Rolle spielt, mit welcher Art Schiff man unterwegs ist und wie es ausgerüstet ist. Wenn es dann zu heftigen, schnellen und grossartigen Seekämpfen kommt, unterscheidet es sich dann jedoch gar nicht mal so sehr von Third-Person-Fights, wie wir sie in The Division realisiert haben.»
Der Vergleich mit «The Division» drängt sich auch in anderer Hinsicht auf. «Skull and Bones» soll vor allem ein Gemeinschaftserlebnis werden. Jeder Spieler steuert sein eigenes Schiff und befehligt seine eigene Mannschaft. Doch um auf See nicht schnell zum Kanonenfutter zu werden, sollte man sich mit anderen Spielern zusammenschliessen. «Im offenen Kampf wirst du definitiv wollen, dass andere dir den Rücken freihalten», lacht Barnard. So rüstet man bei Landgängen nicht nur sein Schiff auf und nimmt Vorräte an Bord, sondern nimmt auch Kontakt mit möglichen Mitstreitern auf. Wer keine Lust auf das kompetitive Element hat, wird die PvP-Server aber auch ganz umschiffen und allein lossegeln können. Dennoch werden die Ubisoft-Leute nicht müde, das Motto «Piracy is more fun with friends» zu wiederholen.
Welche Anreize man für längere Aufenthalte in der «Open Sea» schaffen will, ist trotz der vorab gezeigten Spielszenen aber auch weiterhin unklar. Landgänge sind eher die Ausnahme und beschränken sich weitgehend auf die «Pirate Dens», die optisch wie funktionell an das Heimatdorf von «Monster Hunter World» erinnern. Die Ausflüge aufs Meer könnten auf Dauer allzu repetitiv ausfallen, das Aufrüsten der Schiffe ist zu wenig flexibel und detailliert, um Tüftler zu befriedigen.
So bleibt die Untiefe für Ubisofts Piratenepos die Nähe zu einem anderen Online-Piratenspiel, das schon viele Seemeilen Vorsprung hat: «Sea of Thieves». Die Parallelen zum Microsoft-Werk sind überdeutlich. Barnard hebt vor allem Unterschiede im Welt-Design hervor. «Wir wollen uns deutlich von dem Johnny-Depp-Fluch-der-Karibik-Cartoon-Storyline-Weg absetzen. Wir zeigen, wie echte Piraten aussahen, als sie im 17. Jahrhundert die Meere unsicher machten. Sie kamen mit nichts und riskierten ihr Leben, um zu Königen zu werden.» Auch spielerisch wird ein ernsterer, realistischerer Ansatz verfolgt.
Ob das reicht, um dauerhaft erfolgreich zu sein, muss sich zeigen. Quest Director Terry Han kündigte schon mal Gratis-Inhalte an, die man «über viele Jahre» veröffentlichen wolle. Und schliesslich gab es auch gegenüber «Sea of Thieves» nach dessen Release ganz ähnlich Vorbehalte, wie sie nun gegen «Skull and Bones» laut werden. Bleibt zu hoffen, dass die von der Ubisoft-Kommandozentrale bereitgestellten Bordvorräte für eine solch lange Reise reichen werden. Die Segel, so viel kann man sagen, blähen sich aber schon jetzt sehr eindrucksvoll im Wind.