Seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2015 hat «Kerbal Space Program» – kurz «KSP» – eine riesige Fan-Gemeinde gewonnen. Die Mischung aus Tüftelei, Trial and Error und Slapstick-Elementen begeistert Millionen Spieler in aller Welt – darunter sind auch viele echte Raumfahrt-Ingenieure.
«KSP» ist nicht nur für seine wissenschaftliche Genauigkeit berühmt, sondern auch für seine steile Lernkurve berüchtigt – um wirklich ins Spiel zu finden, muss man viele Stunden investieren. Dass der Aufwand aber lohnt, können unzählige «KSP»-Fans bestätigen.
Allerdings mussten die Fans lange auf einen Nachfolger der Raumfahrtsimulation warten. Nach mehreren Verschiebungen ist «Kerbal Space Program 2» im Februar 2023 erschienen. Das Sequel soll deutlich einsteigerfreundlicher sein und auch viele neue Features bieten – zum Beispiel Planetenkolonien, interstellare Reisen und einen Multiplayer-Modus. Allerdings befindet sich «KSP 2» derzeit noch im Early Access und wird zudem von zahlreichen Bugs geplant – auch sind viele Features noch gar nicht implementiert.
Die Simulation hat auch in Organisationen wie der NASA und der ESA viele Fans. Wer sich beruflich mit der Raumfahrt beschäftigt, hat im Spiel natürlich einige Vorteile – und kann auch mit am besten beurteilen, wie wissenschaftlich akkurat das Spiel wirklich ist. Wie also schlägt sich «KSP 2» im Reality-Check? Um das herauszufinden, haben wir mit Ilaria Roma und Daniel Wischert gesprochen, die beide bei der ESA (European Space Agency) arbeiten.
Ilaria Roma spielt «KSP» und «KSP 2» erst seit Kurzem, aber mit wachsender Begeisterung. Daniel Wischert kennt und schätzt das Spiel bereits seit seiner Studienzeit. Als wie realitätsnah empfinden sie das Spiel? Kann es reale Raumfahrt wirklich akkurat simulieren? «Mich hat überrascht, wie gut das Spiel die Realität abbildet», sagt Ilaria Roma. «Das wäre ein grossartiges Design-Werkzeug, besonders in dem Gebiet, in dem wir bei der ESA arbeiten.» In der Concurrent Design Facility entwirft ein multidisziplinäres Experten-Team künftige Weltraummissionen – und um diese Missionen in all ihren Planungsschritten darzustellen, braucht es leistungsfähige Tools. Zwar habe die ESA dafür erstklassige Werkzeuge, betont Roma. Die Visualisierungs-Tools und die intuitive Benutzeroberfläche von «KSP» bzw. «KSP 2» nötigen ihr dennoch sehr viel Respekt ab.
Daniel Wischert beeindruckt, dass die Entwickler echte Wissenschaft und technische Konzepte ins Gameplay integriert haben: «Als Raumfahrtingenieur kann ich bestätigen, dass viele der Herausforderungen und Einschränkungen im Spiel präzise abbilden, was wir bei echten Raumfahrtmissionen erleben.»
Zugleich betont Wischert, dass es sich nach wie vor um ein Spiel handelt – mit einigen Vereinfachungen und etlichen kreativen Freiheiten. «Insgesamt findet ‹KSP 2› eine gute Balance zwischen Realismus und Spass», freut sich der Experte.
Als besonders realitätsnah empfindet Wischert die Physik des Spiels – ganz besonders die Raumflugmechanik und die Raketentechnik. «Es ist wirklich beeindruckend, wie das Spiel das Schub-Gewicht-Verhältnis, das Delta-v und die spezifischen Impulse der Raketentriebwerke modelliert», so Wischert.
«Aber natürlich gibt es grosse Unterschiede zwischen uns Menschen und den kleinen grünen Kerbals mit ihren niedlichen Persönlichkeiten. Sowohl wir als auch sie lieben die Erforschung des Weltraums – aber die Kerbals besitzen ein besonderes Talent dafür, selbst die lächerlichsten Raumschiffpannen zu überleben», sagt er schmunzelnd. Auch Ilaria Roma lobt die akkurate Raumflugmechanik von «KSP 2»: «Alle Objekte im Spiel – mit Ausnahme der Himmelskörper – werden mit Newtonscher Dynamik simuliert.»
Allerdings gibt es auch Dinge, die schlichtweg zu komplex sind, um sie originalgetreu abzubilden. Ilaria Roma nennt als Beispiel den Zusammenbau einer Raumstation: Im Spiel ist das zwar möglich, in der Realität erweist sich dieses Unterfangen aber als ungleich komplexer. Daniel Wischert gibt zu bedenken, dass sich die schiere Grösse des Weltraums im Spiel nicht wirklich darstellen lässt: «In ‹KSP 2› kann man relativ schnell zu anderen Planeten reisen, aber in der Realität können interplanetare Reisen Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern», sagt er. Über diesen offensichtlichen Mangel an Realismus will sich Wischert aber keineswegs beschweren. «Ich bin einfach froh, dass meine Kerbals keine Snacks für ein ganzes Reise-Jahrzehnt einpacken müssen», kommentiert er augenzwinkernd.
In der Vergangenheit haben die «KSP»-Entwickler Spiels immer wieder mit den grossen Raumfahrtorganisationen zusammengearbeitet: Die ESA steuerte unter anderem digitale Komponenten ihrer BepiColombo- und ihrer Rosetta-Mission zum Spiel bei. Dass ESA und Co. das Spiel fördern, ist nicht weiter verwunderlich – schliesslich hilft es mittelbar bei der Rekrutierung von Nachwuchs. «Ich bin vom pädagogischen Gehalt des Spiels völlig überzeugt», sagt Ilaria Roma. «Erstens weckt und fördert es Kreativität, zweitens vermittelt es fundiertes Technikwissen, das sonst mit trockenen Gleichungen gelernt werden müsste – was viele Leute abschreckt.»
Daniel Wischert bezeichnet «KSP» als «ein exzellentes Werkzeug, das die nächste Generation von Weltraumforschern inspiriert». Das Spiel wecke Leidenschaft für das Thema, indem es den Spass und die Herausforderungen der Raumfahrt erfahrbar mache. Ganz spielerisch könne man den Arbeitsaufwand begreifen, der mit dem Launch einer Rakete verbunden sei – und auch die enorme Bedeutung von Teamwork. «Wer weiss», sagt Wischert, «vielleicht inspiriert es ja einige dieser jüngeren Spieler, eines Tages selbst Raumfahrtingenieure oder Astronauten zu werden?» Die ESA hätte sicher nichts dagegen.