Wie oft sind aus Games zum Film schon echte Kultspiele geworden? Diese Frage dürfte unter Spielerinnen und Spielern schlagartig für hitzige Debatten sorgen. Was umgekehrt noch relativ gut funktioniert, birgt im Fall von Spielen auf Basis von Filmlizenzen eine nicht zu unterschätzende Fallhöhe. Wie tief die tatsächlich ist, wurde bereits Anfang der 80er Jahre ausgelotet, als «E.T. the Extra-Terrestrial» von Atari spektakulär in den Sand gesetzt wurde. Im wahrsten Sinne des Wortes, wurden mehrere Millionen unverkäufliche Module doch am Ende in der mexikanischen Wüste verbuddelt. Jüngstes Beispiel ist Daedalics «The Lord of the Rings: Gollum»-Tragödie, die am Ende sogar zur Schliessung der Entwicklungsabteilung der Hamburger Indie-Institution führte.
Die gute Nachricht: Für «Avatar: Frontiers of Pandora» können wir nach zweieinhalb Stunden Anspielen diesbezüglich Entwarnung geben. Entwickler Ubisoft hat bereits 2009 mit «James Cameron's Avatar: Das Spiel» bewiesen, dass er selbst so schwierige Vorlagen wie das technisch spektakulär aufwändige Science-Fiction-Fantasy-Epos zu einem guten Action-Rollenspiel konvertieren kann.
Man nehme Motive aus dem Film, verknüpfe sie mit einer eigenständigen Story, die weder allzu tiefschürfend ist, noch Fans des Franchise mit allzu freizügigen Auslegungen des Avatar-Kanon vor den Kopf stösst – fertig. Mit erfahrenen Designern und Programmierern kann da eigentlich nicht allzu viel schiefgehen. Aber wie gut wird «Avatar: Frontiers of Pandora» wirklich?
Ein Pluspunkt ist sicherlich, dass man die Reise nach Pandora wahlweise im Singleplayer oder im Online-Koop erleben kann. Der Mond, auch diesmal wieder Schauplatz der Geschichte, wird zur Open World, den man nicht als Mensch im Avatar-Körper, sondern als Na'vi durchstreifen darf. Inhaltlich muss man nicht viel umdenken, denn wir befinden uns auf der gleichen Zeitebene wie «Avatar 2». An der Holzhammer-Botschaft dürften sich «Avatar»-Fans ebenfalls kaum stören.
Die menschlichen Fieslinge in Gestalt der «Resources Development Administration», kurz RDA, sowie deren Chef John Mercer haben erneut nur die Ausbeutung der Natur im Sinn, wobei natürlich die blauhäutigen Ureinwohner im Weg sind. Vorboten des Unheils sind RDA-Drohnen und diverse Robotereinheiten, von denen die heilige Ruhe der Kinglor Forest gestört wird.
Beim Thema Dschungel zeigt Ubisoft all die Klasse und Erfahrung der hauseigenen Studios: Wenn man in Ich-Perspektive durchs Dickicht stapft, kann man die umgebende Natur nicht nur sehen und hören, sondern auch förmlich riechen und die Feuchtigkeit spüren. Überall spriesst, wabert, flimmert und tropft es. Flora und Fauna sind nur vage an natürliche Vorbilder angelehnt, ansonsten haben sich die Entwickler beim Erschaffen von vegetabilen Formen und fantastischen Wesen offensichtlich richtig ausgetobt.
Es gibt jede Menge zu jagen und zu sammeln, und da es im fertigen Spiel auch Werkbänke und Kochstationen geben wird, dürfte allein schon dieser Part ein interessantes Spielangebot abgeben. Obendrein wird man auch noch auf Drachen reiten und auf Pa'li reiten dürfen, wie die Pferde auf Pandora in der Eingeborenensprache heissen.
Was uns dagegen Sorgen bereitet, ist etwas, das man bei vielen Open-World-Spielen derzeit beobachten kann, und das darüber hinaus ein altbekanntes Problem von Lizenzspielen ist: Man will viel zu viel in die Spiele hineinstopfen, um es, noch fataler, auch wirklich jedem recht zu machen. Bei «Avatar» ist das auch nachvollziehbar, denn zum einen wandeln schon die Filme auf dem schmalen Grat zwischen Familienunterhaltung und Action, zum anderen dürften die Kosten für die Lizenz nicht gerade gering ausfallen, und die möchte man am Ende natürlich wieder einspielen. Auch der Gegensatz zwischen Natur und Technik, verbunden mit einer gewissen «Unschuldiges-Naturvolk-gegen-böse-Kapitalisten»-Naivität, ist von den Cameron-Filmen vorgegeben.
Im Falle von «Avatar: Frontiers of Pandora» führt diese Gemengelage dazu, dass man den Wald irgendwann verlässt und auf dem Rücken eines Flugdrachen durch die Lüfte schwebt. Das macht durchaus Spass, bricht aber spätestens dann mit der «Zurück-zur-Natur»-Botschaft, wenn man sich im Dogfight mit den bewaffneten RDA-Drohnen wiederfindet und auf schwebenden Plattformen elektrische Schaltkreise kurzschliessen muss, um sie in die Luft zu jagen. Inwieweit das dann noch ins Schema «Familienspiel» passt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Actionfans werden sich aber sicherlich über diese von Ubisoft routiniert inszenierten Einlagen freuen.
Um das Übel mit der Wurzel auszureissen, überfällt man eine streng bewachte, gegnerische Stellung. Im Alleingang natürlich und, weil man schliesslich keinen Alarm auslösen will, mit Pfeil und Bogen. Das ist ein Punkt, der bei uns durchaus gemischte Gefühle hinterlässt. Irgendwie hat man den Eindruck, dass kein Ubisoft-Titel mehr ohne dieses Element auskommt. Ob «Assassin’s Creed» oder «Far Cry» – ab einem gewissen Punkt folgt fast zwangsläufig eine Kombination aus Schleichen und Wegballern, was sich einem in den Weg stellt. Da stellen sich doch leichte Ermüdungserscheinungen ein, zumal die künstliche Intelligenz der Gegner sich allen sonstigen Fortschritten in der KI-Technik zum Trotz in den letzten Jahren kaum weiterentwickelt zu haben scheint.
Doch bis zum endgültigen Release ist es ja noch etwas hin, und wir wissen nicht, wie die beschriebenen Spielanteile gewichtet sein werden. Nach unserem ersten Eindruck nach zweieinhalb Stunden wird Ubisoft aber einen soliden Lizenztitel abliefern, bei dem «Avatar»- wie auch Action-Fans gleichermassen auf ihre Kosten kommen. Einen Innovationspreis, das muss man allerdings auch ganz klar sagen, verdient man sich damit nicht. Aber das wäre von der Game-Umsetzung eines Kino-Blockbuster und noch dazu kurz vor Weihnachten vielleicht dann doch etwas zu viel verlangt.
«Avatar: Frontiers of Pandora» erscheint am 7. Dezember für PlayStation 5, Xbox Series und PC.