Künstler sollte man nie nach ihren Vorbildern fragen, noch nicht einmal dann, wenn es sich um die eigenen Werke handelt. Allzu leicht weckt das den Verdacht, man würde ihnen vorwerfen, sich anderswo zu bedienen oder sich selbst zu wiederholen. Im Falle der in Osaka ansässigen Firma Platinum Games wäre dieser Vorwurf allerdings absurd. Spiele wie «Bayonetta» oder «NieR Atomata» zeichnen sich durch originelles Gameplay wie durch ein extrem eigenständiges Design aus.
Von einer Vorbildfunktion für das 3. März erscheinende «Babylon's Fall» will Entwicklungsleiter Kenji Saito trotzdem nichts hören. «Ich kann nicht sagen, dass wir keine Inspiration für Aspekte von Babylon's Fall in unseren anderen Spielen gefunden hätten», antwortet er recht schmallippig. «Wir haben das verwendet, was wir für notwendig hielten, und daraus Elemente gemacht, die das Spielgefühl verbessern.»
Ein Blick auf das fertige Werk lässt diese Beschreibung wie ein Understatement klingen. Das Artdesign ist aussergewöhnlich kunstvoll und lässt an Werke aus dem Zeitalter des Manierismus denken. Im 16. Jahrhundert schufen italienische und französische Künstler Bilder und Plastiken, in denen sie alle Möglichkeiten der formalen Gestaltung in extremen Formen und Figuren ausreizten. Es entstand eine der schillerndsten Darstellungsformen der Kunstgeschichte.
Auch Platinum Games haben ihre ganz eigene Formsprache entwickelt, auch wenn sie von Spiel zu Spiel etwas anders ausfallen mag. «Wenn ich Spiele mache, versuche ich immer, etwas zu erschaffen, das sich neu und aufregend anfühlt, und nicht wie etwas, das man schon einmal irgendwo gesehen hat», betont Saito. «Wir experimentieren ständig und suchen nach den jeweiligen visuellen Stilen, die unsere Spiele brauchen. Jedes Spiel hat eine andere visuelle Essenz.»
Das selbst erklärte Ziel war es, «eine vielschichtige, qualitativ hochwertige Fantasy-Welt im Stil klassischer Sword-and-Sorcery-Fantasy-Werke zu erschaffen.» Dabei habe man sich stark von klassischen europäischen Ölgemälden beeinflussen lassen. «Sie inspirierten uns zu einer Gestaltungstechnik, die an echte Pinselstriche mit einer leinwandähnlichen Textur denken lässt.» Das Ergebnis war den Entwicklern dann allerdings selbst etwas zu krass. Nach der Betaphase wurden insbesondere Objekte, die sich näher am Spielercharakter befinden, etwas schärfer dargestellt.
Die Geschichte dreht sich um einen gigantischen Turm namens Babylon, der ein Geheimnis birgt. Die sogenannten Wächter, in deren fantastische Rüstungen die Spieler schlüpfen, müssen ihn erobern und dieses Geheimnis lüften. Ein unter Zwang in ihrem Körper verankerter «Gideon-Sarg» verleiht den Wächtern übermenschliche Kampffähigkeiten. So können sie Ranken abfeuern, mittels derer man sich für gemeinsame Angriffe mit Alliierten verbinden oder dunkle Energie in Feinde leiten kann. Spätestens jetzt wird aus der klassischen Malerei ein surrealistisches Kunstwerk, das den Bildschirm in ein Feuerwerk aus aufblitzenden Waffen, grellen Lichtblitzen und leuchtenden Projektilen verwandelt, durch das sich die Wächter in einer ausgeklügelten Kampfchoreografie bewegen.
Die Waffen spielen dabei eine zentrale Rolle. So lässt sich für jedes Manöver eine andere Waffe ausrüsten und mit verschiedenen Rüstungen und Ausrüstungsgegenständen kombinieren, um einen individuellen Kampfstil zu entwickeln. Drei Fraktionen stehen anfangs zur Wahl: Huysian (Schwert), Agavian (Hammer) und Geleilion (Bogen). In der Schmiede kann die Ausrüstung gecraftet werden, das Einsammeln der dafür nötigen Items soll für die nötige Motivation sorgen, sich im sieben Stockwerke umfassenden Turm voranzukämpfen.
Wir denken bei alldem sofort an den grossen PS-One-Klassiker «Vagrant Story», der vor über 20 Jahren ebenfalls von Square veröffentlicht wurde und längst ein Remake verdient hätte. Auch dort steht und fällt alles mit den Waffen. Eine gewisse stilistische Nähe weist Junichi Ehara, Produzent beim Publisher Square Enix, nicht ganz zurück, auch wenn er sonst keine direkten Verbindungen sieht: «Wir haben Platinum Games gebeten, etwas mit einer Gothic-Fantasy-Atmosphäre zu kreieren. Insofern kann ich nachvollziehen, dass unser Spiel einen ähnlichen Eindruck erweckt.»
Wer von den aktuell fast unvermeidbaren offenen Spielwelten genervt ist, wird das auf einen vergleichsweise begrenzten Schauplatz konzentrierte Geschehen in «Babylon's Fall» begrüssen. Das Weiterkommen wird den Entwicklern zufolge regelmässig von mächtigen Bossen gestoppt, die testen, ob man würdig ist, das nächste Stockwerk des Turms zu erklimmen. Das kann man auch allein versuchen, die Stärke der Gegner wird entsprechend angepasst. Kern ist aber der Multiplayer-Modus, der auch für einen hohen Wiederspielwert sorgen dürfte.
Schon jetzt hat Platinum Games im dreimonatigen Rhythmus erscheinende DLCs angekündigt. Ein paar Fragen wirft in diesem Zusammenhang die «Premium-Währung» namens «Garaz» auf, die mit echtem Geld erworben werden kann und es den Spielern ermöglicht, den Premium-Kampfpass, allerlei kosmetischen Schnickschnack und Emotes zu erwerben. Besondere Kostüme, Gideon-Sarg-Verzierungen, Sticker und Charakterposen haben jedoch keinen Einfluss auf den Status oder die Leistung eines Charakters im Spiel, versichert man bei Platinum Games.