In den 90ern war das Subgenre Brawler total angesagt. Von links nach rechts lief man mit einer Spielfigur durch heruntergekommene Gassen und prügelte böse Buben und auch böse Mädchen aus dem Weg. Der Grund war simpel: Entweder wurde jemand aus dem Familien- oder Freundeskreis entführt oder es musste schlicht eine Stadt vom Verbrechergesindel gereinigt werden.
Spiele wie «Double Dragon» oder «Final Fight» waren nicht nur in den Spielhallen begehrt, sondern konnten auch zuhause konsumiert werden. «Streets of Rage» war Segas Antwort auf die Brawler-Welle. Drei Spiele wurden für den Mega Drive umgesetzt. Einen vierten Titel gab es jedoch nie. Das ändert sich jetzt. Mit gut 26 Jahren Verspätung wird die Geschichte um Axel, Blaze und Co. weitererzählt.
Teil vier findet zehn Jahre nach dem letzten Prügelspass statt. Der Verbrecherboss Mr. X taucht zwar nicht mehr auf, doch seine beiden Kinder, die Y-Zwillinge, wollen nun das Erbe antreten und haben die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht. Auch die Polizei scheint nach der Pfeife der bösen Sprösslinge zu tanzen. Das können sich Axel und Blaze natürlich nicht gefallen lassen und gehen auf die Gassen von Wood Oak City, um die Stadt zu befreien. Dabei bekommen sie von den Newcomern Cherry und Floyd Unterstützung.
Hinter «Streets of Rage 4» steckt der französische Publisher und Entwickler Dotemu, der die Strassenkampf-Saga weitererzählt und ihr optisch einen eigenen Stempel aufgedrückt hat. Der grosse Unterschied zur Pixel-Prügelei von damals ist der neue Comiclook. Das mag anfangs für Puristen etwas gar befremdlich wirken, doch schnell hat man sich daran gewöhnt, dass jetzt Celshading-Figuren statt Pixel-Charaktere austeilen. Denn die Spielmechanik entwickelt schnell den altbekannten Sog.
Wer die alten Spiele kennt, wird sich nach ein paar Minuten schon sehr schnell heimisch fühlen. Die Figuren lassen sich punktgenau steuern und das Gameplay funktioniert auch heute noch erstaunlicherweise einwandfrei. Mit einer Spielfigur nach Wahl läuft man von links nach rechts und haut alle Gegner weg, bis man seinen Weg fortsetzen kann und ein Bossgegner am Ende des Levels aufs Maul bekommt.
Jeder Charakter verfügt über eigene Specialmoves sowie Vor- und Nachteile. Während der bärtige Axel der Allrounder in der Truppe ist, kann sich Cherry viel schneller bewegen, hat dafür aber weniger Schlagkraft. Wie gehabt werden unterwegs Mülltonnen, Automaten und auch schon mal ein ganzes Auto zertrümmert. Danach gibt es als Belohnung entweder etwas für den Magen oder Geld, Waffen und sonstigen Sammelkram, um seine Power wiederaufzuladen und wuchtige Specialmoves vom Stapel zu lassen.
Für den Soundtrack zeichnet Komponist Olivier Derivière verantwortlich, der letztens für das Seuchen-Drama «A Plague Tale: Innocence» eine unvergessliche Musik abgeliefert hat. Zwar vermisst man die zeitlosen Klänge der Serienkomponisten Yūzō Koshiro und Motohiro Kawashima, aber Derivière hat es geschafft, dem neusten Ableger seinen eigenen unverwechselbaren Stempel aufzudrücken. Er bietet eine Mischung aus bekannten Retro-Klängen, intelligenten Verknüpfungen und neuen Electro-Tracks, die sofort ins Ohr gehen.
Fans der Musikkomponisten aus Japan kommen aber dennoch nicht zu kurz. Denn wer möchte, kann sich mit den Soundtracks der Vorgänger ein zusätzliches Stück Nostalgie ins Wohnzimmer holen. Denn diese können in den Einstellungen ausgewählt werden, um sie während des Spielverlaufs zu geniessen.
Dotemu zeigt in «Streets of Rage 4» regelmässig, wie viel ihnen an der Prügelserie liegt. Es gibt nicht nur in den einzelnen Arealen viele Anspielungen zu entdecken, sondern auch die Story selber schliesst mit witzigen Ideen an die Vorgänger auf.
So dürfen Fans der Retro-Spiele das eine oder andere Wiedersehen mit Kultcharakteren und bekannten Spielelementen aus den Vorgängern feiern. Auch lassen sich Pixel-Figuren aus den vorherigen Abenteuern freischalten, mit denen man in die Strassenkämpfe ziehen kann. Eine versöhnliche Geste für jene, die mit dem Comiclook der Protagonisten nichts anfangen können.
Das Spiel ist leider sehr schnell durchgespielt. Mit dem normalen Schwierigkeitsgrad hat man nach etwa drei Stunden das Ende schon erreicht. Nebst dem Storymodus gibt es aber noch weitere Herausforderungen.
Im Boss-Rush-Modus gilt es zum Beispiel, einige der härtesten Gegner zu bodigen. Selbstverständlich gibt es auch einen Online-Modus und wer mit seinem besten Kumpel, mit natürlich zwei Meter Abstand auf dem Sofa, live spielen möchte, kommt ebenfalls auf seine Kosten. Sogar mit bis zu vier Spielern kann man die Strassen säubern. Wer es ganz hart möchte, wählt die höheren Schwierigkeitsgrade und bringt sich selber zum Schwitzen.
Fazit: «Streets of Rage 4» erfindet das Brawler-Rad nicht neu. Das muss auch nicht sein. Dieses Subgenre ist zeitlos und hat auch heute noch von seiner einfachen, faszinierenden Spielstruktur nichts verloren. Das Gameplay ist simpel, die Aufgabe klar und die trashige Story ist bis zum Schluss unterhaltsam.
Dotemu hat sehr viel Herz in den vierten Teil gesteckt. Das sieht, hört und fühlt man in jeder einzelnen Spielminute. Die zwölf Levels sind abwechslungsreich, es gibt immer wieder mal neue Gegner, die Backpfeifen erhalten möchten, und die Motivationskurve steigt ständig nach oben. Und bei den vielen Anspielungen und Querverweisen wird es dem Fan-Herz nie langweilig.
Auch wenn die Comicoptik anfangs abschrecken mag, wer ein Faible für gute alte Prügelspiele hat, sollte sich dieses kleine Schmankerl für zwischendurch nicht entgehen lassen.
«Streets of Rage 4» ist erhältlich für Playstation 4, Xbox One, Nintendo Switch und PC. Freigegeben ab 12 Jahren.