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Schweiz

Interview: Peter Jauch, wie geht es der Schweizer Spirituosen-Szene?

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Hochprozentiges aus der Schweiz: Längst nicht nur Pflümli und Kirsch.
Interview

Die ‹jungen Wilden› vs. die ‹alten Milden›? Was in der CH-Spirituosen-Szene gerade abgeht

Anlässlich des ersten Schweizer Spirituosen-Festivals setzten wir uns mit Szenekenner Peter Jauch hin, um den Zustand der einheimischen Drinks-Hersteller-Szene zu erforschen.
08.11.2021, 17:5309.11.2021, 14:44
Oliver Baroni
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Peter Jauch, unter anderem bist du Herausgeber des Gin-Buchs, des wohl akribischsten und umfangreichsten Gin-Almanachs weltweit. Setzen wir doch gleich hier an: Wie geht es der Gin-Szene in der CH?
PETER JAUCH:
Die hat sich in den letzten 24 Monaten extrem weiterentwickelt. Es sind sehr, sehr viele neue Produkte hinzugekommen. Bei der Distiswiss-Prämierung, die alle zwei Jahre stattfindet, waren ein Drittel aller Eingaben Gin-Produkte – weit über 70 Produkte. Der Schweizer Gin-Szene geht's also sehr gut.

Es hat ja bekanntlich unglaublich viele Gin-Hersteller in diesem doch sehr kleinen Land ...
Etwas über 100. Wobei, davon sind 40 Hersteller, also Produzenten im echten Sinn. Die anderen sind Marken, die einen Gin herstellen lassen. Viele sagen dem Marketing-Gin.

Und die können alle überleben? Die Schweiz ist ein kleiner Markt.
Viele leben nicht von der Gin-Herstellung. Es gibt viele, die das nebenher machen. Das können Treuhänder sein oder eine Kleidermarke oder ein Fussballverein etc., die einen Gin haben produzieren lassen. Und die müssen natürlich nicht davon Leben, sondern einzig ihre Kosten decken. Aber solche, die zu 100 Prozent davon leben, Turicum oder Deux Frères, als Beispiele für ‹die jungen Wilden›, die in den letzten sechs Jahren starteten, von denen gibt's nicht viele. Die Vielfalt der Produkte aber hat zugenommen.

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Jung, wild und violett: Deux Frères aus Opfikon ZH. Bild: deuxfreresspirits.com

Die ‹jungen Wilden› und die ‹alten Milden›?
Naja, ich nenne immer wieder Turicum als Beispiel fürs Erstere, denn die haben eine Destillerie von Grund auf neu gebaut – und das mitten in der Stadt Zürich. In der Schweiz gibt's das kaum, auf städtischem Grund. Und Turicum ist ja der Erste überhaupt, der in der Stadt Zürich brennt. In der 2000-jährigen Geschichte Zürichs gab's niemand zuvor auf Stadtgebiet.
Parallel dazu gibt's natürlich die Klassiker wie Humbel oder Käser aus dem Fricktal, die Bauern sind und bereits seit Generationen destillieren.

Weshalb ausgerechnet Gin? IS IT because it's easy?
It is. Easy and cheap. Die Gin-Herstellung ist kein komplizierter Prozess. Natürlich geht's um die richtige Mischung, Zusammensetzung und so weiter. Es braucht ein Momentchen, bis man am richtigen Ort angekommen ist. Aber man verbrennt nicht wahnsinnig viel Geld dabei. Die Alkoholsteuer ist der grösste Kostenpunkt beim Destillieren.

Die Schweiz hat aber bereits eine altehrwürdige Brennerei-Tradition. Aus welcher kulturellen Ecke kommt die?
Historisch wurden Brennlizenzen erteilt, um Obstreste zu verwerten. Wenn ein Bauer Streuobst hatte, durfte er destillieren. Von da her kommt die Schweizer Spirituosen-Tradition. Ich selbst bin auf einem Bauernhof aufgewachsen – meine Mutter ist aus einer Bauernfamilie – und wir haben sehr oft die Zwetschgen oder Kirschen zusammengelesen, und diese sind dann oft destilliert worden.

Wie sehr trinkt man in der Schweiz aber noch Kirsch, Pflümli und Co.?
Die neuste Statistik, die ich kenne, zeigt, dass der Spirituosenkonsum allgemein in der Schweiz in den letzten 20 Jahren ziemlich stabil geblieben ist. Anteilsmässig darin hat, wie gesagt, Gin in den letzten sechs Jahren massiv zugelegt, Tendenz weiterhin steigend, auch was den Import betrifft. Whisky aber ist seit Jahren gleich. Wenn man aber Bars und Clubs betrachtet, dann geht eher Wodka weg. Demnach haben klassische Schweizer Brände wie Williams gewiss etwas abgenommen. Im letzten Jahr aber extrem rückläufig waren Wein und Bier, was eindeutig wegen der Gastro-Schliessung infolge Lockdown war.

Wein und Bier trinkt man im Ausgang, Spirituosen eher zu Hause?
Tendenziell ja. Interessant ist – ich berufe mich hier auf die Umsatzstatistiken von Coop als Beispiel –, dass während dem ersten Lockdown der Konsument sich teurere Spirituosen kaufte. Man gönnte sich was. Im Verlauf der Pandemie aber blieb die Menge zwar gleich, der Preis pro Liter aber senkte sich. Die allgemein spürbare Unsicherheit machte sich bemerkbar. Aber man kann sicher sagen, dass Wein- und Spirituosenhändler während des Lockdowns ein sehr, sehr gutes Geschäft gemacht haben. Und der Trend für hochwertige Marken hält ungebrochen an. Der Schweizer Konsument zahlt gerne etwas mehr für Qualität. Der deutsche 7-Euro-Gin würde hierzulande gar nicht gross verkauft werden.

Peter Jauch, Gin-Spezialist, Buchautor und Organisator des Gin Erlebnis Festivals GIN Days, das in Zürich und Hamburg und weiteren Städten im deutschsprachigen Raum stattfindet .
Peter Jauch, Gin-Spezialist, Buchautor und Organisator des Festivals «about spirits» @Kraftwerk.Bild: Yusuf Evans

Nun veranstaltest du zum ersten Mal ein Schweizer-Spirituosen-Festival, wo sich die hiesige Szene und einheimische Produzenten der Kundschaft vorstellen können. Was sind also die eindeutigen Spirituosen-Trends für die Schweiz?
Am meisten Wachstum hat Gin – wie bereits erwähnt.
Dann: Whisky. In der Schweiz gibt es schon länger Whisky-Brenner, die gut etabliert sind und auch international wahrgenommen werden, prämiert gar. Langatun zum Beispiel. Allgemein aber versucht man beim Whisky, ein jüngeres Publikum anzupeilen. Also nicht nur «ich trinke meinen Whisky pur zu Hause in meinem Ledersessel mit einer Zigarre», sondern: Cocktails. Die Industrie geht hier sehr proaktiv auf eine junge Klientel zu.
Dann das Thema Tequila und Mezcal, von dem es seit Längerem heisst, «es kommt». Nun ... ja, aber tröpfchenweise. Immer mehr qualitativ hochwertige Tequilas und Mezcals werden erhältlich, doch the next big thing nach Gin wird's nicht so schnell. Das liegt nicht zuletzt am Schweizer Konsument, der nun mal sehr traditionell ist. Konservativ. Egal, wie du's nennen willst, es geht nun mal länger, bis das Publikum etwas Neues zulässt. Beim Gin war's auch so. Ausser Österreich waren uns alle anderen Länder mit dem Trend voraus.

Es heisst ja: Wenn der Weltuntergang bevorsteht, zieh' in die Schweiz; dort kommt immer alles zehn Jahre später.
Haha. Als Beispiel: Viele Gin-Trinker, die heute um die 40 sind, kannten vor 20 Jahren nur Gordon's mit Schweppes. Und viele hatten eine Abneigung dagegen, weil sie diese eine Geschmackskombination nicht mochten. Inzwischen hat sich die Produktvielfalt von Gin derart entwickelt, dass auch diese Konsumenten mitkriegten, dass es nicht der Drink Gin & Tonic per se war, den sie nicht mochten, sondern bloss der Geschmack des einen Brands. Und beim Tequila wird es wohl ähnlich verlaufen. Lange kannte man nur den Sierra mit dem roten Sombrero-Deckel und den nur als Shot oder Chlöpfte. Inzwischen hat man gemerkt, dass man Tequila geniessen kann, dass man damit extrem coole Cocktails machen kann. Den Paloma als Beispiel – ein super einfacher Drink, aber geschmacklich sensationell.

12./13. November im Kraftwerk, Selnaustrasse 25, 8001 Zürich.
Schweizer und internationale Spirituosen werden dem Publikum präsentiert. Die Location des Kraftwerks in Zürich ist drei Teile gegliedert: Im Barbereich gibt's Cocktails, in den ehemaligen Schiffscontainer Gin-Erlebnisse und auf der Eventfläche der Spirituosenmarkt mit allerlei Produkten (Rum, Whisky, Kirsch, Amaro, etc.) .
Mehr Info/Tickets hier.

Transparenz: watson ist nicht am Event involviert.

Die immer wiederkehrende Frage: Wann kommt endlich der Rum-Trend?
Dass Rum kommt, steht ausser Frage. Aber wann? Rum-Hersteller haben aktuell ein Problem wegen dem Zuckeranteil, der mit den neuen EU-Reglementierungen wohl nicht mehr konform sein wird. Das wird Auswirkungen auf den gesamten europäischen Markt haben. Es gibt aber einige Hersteller in der Schweiz, die holen sich die Zuckermelasse hierhin und destillieren damit. Rum darf man ja hier herstellen, anders als Tequila etwa, das geografisch definiert ist.
Was ein eindeutiger Trend ist, ist Vermouth. Vor allem im Sommer ist Vermouth mit Tonic eine grossartige Kombo für alle, die nicht immer Aperol Spritz trinken wollen. Man kann in einem Vermouth-Tonic unterschiedlichste Aromen ins Glas hineinzaubern: Es gibt ja trockenen Vermouth, rosé Vermouth, roten Vermouth, den weissen, der eher süsslicher ist. Die Schweiz bietet da einige hervorragende Brands.

Was ist eigentlich mit all' den alkoholfreien ‹Spirituosen›, die man uns dauernd unterjubeln will? Alle behaupten, das sei ein Wachstumsmarkt ... bei uns in der Redaktion bleibt das Zeugs aber stehen.
Ist in der Tat ein Riesenmarkt. Und ganz klar fast ausschliesslich für den Heimkonsum. Dass man in Bars seit 20 Jahren alkoholfreie Cocktails bestellen kann, geht da mal schnell vergessen. Für den Konsumenten zu Hause muss es aber so convenient wie möglich sein. Siegfried Wonderleaf etwa, ein alkoholfreier ‹Gin›, ist in Deutschland während der Weihnachtszeit die am zweitmeisten verkaufte Spirituose. Es ist ein grosser Markt aber er funktioniert ganz anders als der Spirituosenmarkt.
Was noch zu erwähnen wäre, ist der Boom an Tonic-Brands. Bei «about spirits» @Kraftwerk werden einige Tonic-Hersteller dabei sein. Viele haben ja auch noch Spirituosen im Portfolio. Gents, etwa, der hat Kirsch, Wodka und Vermouth. Es gibt da zahlreiche Innovationen: Die Berner Jungs von Drink Tom's machen einen Tonic-Sirup. Damit macht man einen Hot Gin & Tonic, etwas, das an unserer europäischen Cocktail-Geschichte ansetzt. Spirituosen wurden hierzulande warm getrunken. Erst mit dem Konzept des American Bar gab es erstmals Eiswürfel.

Was hältst du von Kirsch, dem Schweizer Schnaps schlechthin?
Es gibt ein Revival. Und es gibt einer, der das Produkt neu gestaltet quasi: Mount Rigi heisst dieser Schnaps, bei dem sie den Alkoholgehalt reduziert und damit die Intensität reduziert haben. Das Sprit-mässige, das Obstbrände aufweisen, versucht man nach und nach etwas wegzubringen und den Drink somit süffiger, zugänglicher zu machen. Obstbrände sind heute etwas sehr Old School. Wie viele Leute kennst du, die nach einem Essen einen Grappa trinken? Vor nicht allzu langer Zeit war das Gang und Gäbe. Heute kaum noch. Es gibt sie noch, die Obstbrand-Trinker, aber die sind halt auch älter geworden.

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32 Kommentare
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Pro-Anti-Lope
08.11.2021 20:43registriert Januar 2019
Ha! Gordon's mit Schweppes, ja das war bis vor 3 Jahren meine Vorstellung von Gin Tonic und ich bin noch nicht 40ig. Aber an den "Hundsverlocheten" an denen ich mit anfangs 20 rum trieb gab es nur dieses hässliche Zeug und ich glaubte Jahre lang ich hätte Gin nicht gern. Siehe da: Gin ist gar nicht schlecht, nur dieses Schweppes Tonic ist einfach grusig.

Find ich auch immer tragisch, wenn eine Bar eine anständige Gin Auswahl hat und dann nur Schweppes Tonic Water im Sortiment führt. Dann lasst es doch lieber.
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Simplicissimus
08.11.2021 18:13registriert Januar 2015
Beim Fondue gehört das Brot zuerst in den Kirsch. Es muss dann so richtig saften. Basta.
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