Schweiz
EU

Nationalrat stimmt Personenfreizügigkeit mit Kroatien zu

Blick in den Nationalratssaal während der Debatte zur Personenfreizügigkeit. 
Blick in den Nationalratssaal während der Debatte zur Personenfreizügigkeit.
Bild: KEYSTONE

Zuwanderung: Nationalrat stimmt Personenfreizügigkeit mit Kroatien zu

26.04.2016, 16:1826.04.2016, 16:46

Der Nationalrat gibt grünes Licht für die Ratifikation des Kroatien-Protokolls. Bis zur Personenfreizügigkeit mit dem jüngsten EU-Mitglied ist es aber noch ein weiter Weg. Zuerst braucht es eine Einigung mit Brüssel über die Zuwanderungsfrage. 

Seit der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative am 9. Februar 2014 verbietet die Verfassung neue völkerrechtliche Verträge, die der Schweiz keine Steuerung der Zuwanderung erlauben. Darum stritt der Nationalrat am Dienstag zunächst darüber, ob die Ermächtigung zur Ratifikation überhaupt verfassungsmässig sei.

Die meisten Fraktionen waren davon überzeugt. Erst die Ratifikation selber würde gegen die Verfassung verstossen, falls es bis dahin keine Einigung mit der EU über die Begrenzung der Zuwanderung gebe, argumentierten ihre Sprecher. 

EU

Pragmatische Argumente

Das Protokoll könne darum erst ratifiziert werden, wenn eine mit dem Freizügigkeitsabkommen kompatible Lösung vorliege, erklärte Kommissionssprecherin Kathy Riklin (CVP/ZH). Eine solche suche der Bundesrat derzeit mit der EU-Kommission, sagte Martin Naef (SP/ZH). Es wäre darum «töricht», das Kroatien-Protokoll nicht zu unterzeichnen.

CVP-Sprecherin Elisabeth Schneider-Schneiter (BL) warf die Frage auf, ob es sich überhaupt um einen neuen völkerrechtlichen Vertrag handle oder lediglich um die Ausweitung eines bestehenden Vertrags. Wie andere Fraktionssprecher brachte sie aber in erster Linie pragmatische Argumente vor.

Den Status eines Drittstaates in der Forschungszusammenarbeit könne sich die Schweiz nicht leisten, sagte Schneider-Schneiter. Für die FDP steht die Fortsetzung des bilateralen Wegs im Vordergrund. Den Grünliberalen geht es um die Sicherung des Wohlstands, wie Tiana Moser (ZH) erklärte. Und Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (ZH) erklärte: «Der Weg aus der Sackgasse führt über Kroatien.» 

«Frivole Leichtfertigkeit»

Die SVP sah dies selbstredend anders. Roger Köppel (ZH) sprach von einer «frivolen Leichtfertigkeit», mit der sich der Bundesrat über die Verfassung hinwegsetze. Er habe vor wenigen Monaten selber erklärt, dass diese die Unterzeichnung des Kroatien-Protokolls nicht erlaube. Die «nebelhafte Eventualität» einer allfälligen Einigung mit der EU ändere nichts daran.

Justizministerin Simonetta Sommaruga verwies auf die Konsultationen mit der EU-Kommission. Nach über einem Jahr Blockade sei damit eine neue Ausgangslage geschaffen worden. Noch gebe es keine Lösung, aber es gebe den politischen Willen, eine solche zu finden. Ob diese der Verfassung genüge «oder ob allenfalls der Verfassungstext angepasst werden muss, kann heute noch nicht gesagt werden», sagte Sommaruga.

Der Ansatz, über den derzeit diskutiert wird, sieht die Steuerung der Zuwanderung innerhalb der Mechanismen des Freizügigkeitsabkommens vor. Damit hat der Bundesrat in den Hinterzimmern der EU-Zentrale viel erreicht. Offizielle Verhandlungen hat Brüssel der Schweiz nämlich bisher konsequent verweigert. Ebenso konsequent pocht die EU auf die Gleichbehandlung ihrer Mitglieder. 

Scharfe Reaktion

Als der Bundesrat nach der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative erklärte, das Kroatien-Protokoll nicht unterzeichnen zu können, reagierte Brüssel daher prompt: Die Forschungszusammenarbeit im Rahmen von Horizon 2020, das Austauschprogramm Erasmus und das Media-Programm wurden auf Eis gelegt.

Später gelang es dem Bundesrat, für die Schweiz eine provisorische Teilnahme auszuhandeln. In dem Übergangsabkommen wurde Horizon 2020 formell mit der Kroatien-Frage verknüpft: Wenn das Kroatien-Protokoll nicht bis am 9. Februar 2017 ratifiziert ist, endet die Forschungszusammenarbeit endgültig.

Falls die Ratifikation zu Stande kommt, ist die Schweiz voll assoziiertes Mitglied von Horizon 2020. Ratifiziert werden kann das Protokoll nur dann, wenn bis dahin eine Einigung mit der EU über die Begrenzung der Zuwanderung zu Stande gekommen ist. 

Lange Übergangsfrist

Kroatien ist seit Juli 2013 EU-Mitglied. Brüssel hatte die Schweiz schon 2012 ersucht, die Personenfreizügigkeit, die für alle anderen EU-Länder gilt, auf Kroatien auszudehnen. Eine Einigung kam rasch zu Stande, die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative verzögerte die Unterzeichnung jedoch um fast drei Jahre.

Erst Anfang März 2016 beurteilte der Bundesrat eine Lösung im Zuwanderungsstreit als wahrscheinlich genug, um seine Unterschrift unter das Protokoll zu setzen. Dieses sieht eine schrittweise Einführung der Personenfreizügigkeit vor. Die Schweiz kann den freien Personenverkehr noch während zehn Jahren einschränken. Der Nationalrat stimmte dieser Regelung mit 122 zu 64 Stimmen zu. Die Vorlage geht nun an den Ständerat. (sda)

Migration
Afrikanische Migranten sind oft gut ausgebildet – und sie lassen sich nicht aufhalten
69
Afrikanische Migranten sind oft gut ausgebildet – und sie lassen sich nicht aufhalten
Swiss Passagiere ohne Aussicht auf Entschädigung – das schreibt die Sonntagspresse
13
Swiss Passagiere ohne Aussicht auf Entschädigung – das schreibt die Sonntagspresse
Asyl-Bericht zeigt Mängel im Umgang mit Flüchtlingsfrauen
3
Asyl-Bericht zeigt Mängel im Umgang mit Flüchtlingsfrauen
Ein Tag im Leben der Schweiz – die Wahlreportage aus vier Gemeinden
2
Ein Tag im Leben der Schweiz – die Wahlreportage aus vier Gemeinden
von Christoph Bernet, Jara Helmi, Sarah Serafini, Camille Kündig
Erdogan droht Europa: «Wir werden 3,6 Millionen Flüchtlinge schicken»
149
Erdogan droht Europa: «Wir werden 3,6 Millionen Flüchtlinge schicken»
Landesverweis für einen Guineer laut Bundesgericht wegen guter Genesungschancen zulässig
3
Landesverweis für einen Guineer laut Bundesgericht wegen guter Genesungschancen zulässig
Keller-Sutter gibt Deutschland einen Korb
88
Keller-Sutter gibt Deutschland einen Korb
von Remo Hess, Luxemburg
Millionen-Gewinn im Flüchtlings-Business: Asylfirma ORS legt erstmals Zahlen offen
45
Millionen-Gewinn im Flüchtlings-Business: Asylfirma ORS legt erstmals Zahlen offen
von Leo Eiholzer
Apple-Chef kämpft für Mitarbeiter, denen die Abschiebung droht
Apple-Chef kämpft für Mitarbeiter, denen die Abschiebung droht
Wir haben 4 Gemeinden besucht – so unterschiedlich sind ihre Probleme
15
Wir haben 4 Gemeinden besucht – so unterschiedlich sind ihre Probleme
von Lea Senn, Christoph Bernet
Elend auf Lesbos: Einwohner und Flüchtlinge am Limit
52
Elend auf Lesbos: Einwohner und Flüchtlinge am Limit
von Alexia Angelopoulou
Griechische Regierung verschärft Politik nach Brand in Flüchtlingslager
6
Griechische Regierung verschärft Politik nach Brand in Flüchtlingslager
Mindestens zwei Tote bei Brand in Flüchtlingslager Moria auf Lesbos
3
Mindestens zwei Tote bei Brand in Flüchtlingslager Moria auf Lesbos
«Tomatenernte ist die schlimmste»: Migranten arbeiten wie Sklaven auf Italiens Feldern
54
«Tomatenernte ist die schlimmste»: Migranten arbeiten wie Sklaven auf Italiens Feldern
Vier EU-Staaten einigen sich im Streit über Bootsflüchtlinge
5
Vier EU-Staaten einigen sich im Streit über Bootsflüchtlinge
1 Jahr Haft für 234 Menschenleben: An diesem Mann soll ein Exempel statuiert werden
178
1 Jahr Haft für 234 Menschenleben: An diesem Mann soll ein Exempel statuiert werden
von Sarah Serafini
Emmen war eine «Einbürgerungshölle»: Jetzt hat ein Migrant einen SVP-Nationalrat besiegt
37
Emmen war eine «Einbürgerungshölle»: Jetzt hat ein Migrant einen SVP-Nationalrat besiegt
von Peter Blunschi
Idris ist mit 20 Jahren aus Eritrea in die Schweiz geflüchtet. Wie? Frag besser nicht!
82
Idris ist mit 20 Jahren aus Eritrea in die Schweiz geflüchtet. Wie? Frag besser nicht!
von Corsin manser
Der Spiderman von Paris – Chronik eines modernen Märchens
68
Der Spiderman von Paris – Chronik eines modernen Märchens
von Sarah Serafini
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
5 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
5
SVP, SP und GLP: So positionieren sich die Parteien an ihren Parteitagen
Gaza, EU und Bürgerdienst: Die grossen Schweizer Parteien haben sich am Samstag an ihren Parteitagen mit kontroversen Themen befasst – und zeigten, wie weit sie politisch voneinander entfernt sind.
Der SP-Parteitag in Sursee stand im Zeichen von zwei grossen Themen: Gaza und soziale Gerechtigkeit.
Zur Story