Klirr!
Der Teller fliegt zu Boden und zerbricht schwerfällig in ein paar grobe Stücke. Er fällt der blassen Anna aus den Händen. Vor Schreck über ihren plötzlich laut gewordenen Gatten, der sie anherrscht: «Kümmere dich um dis eigene Zügs!»
Es ist das einzig Interessante, was der Film-Zwingli neben seinen Reformationsbestrebungen macht. Und er reformiert Zürich immerhin 128 Minuten lang.
Abgesehen davon, dass ein solcher Satz im 16. Jahrhundert – im Jahrhundert der volkstümlichen Rohheit und des freudigen Grobianentums – wohl eher so geklungen hätte: «Versuf i dim eigene Scheiss! Uf dass dich d'Pestilentz achunt!»
Na gut, das hätte Zwingli vielleicht auch nicht unbedingt gesagt. Schliesslich hat Anna ihn heimlich gesund gepflegt, als er mit den fiesen schwarzen Beulen am Halse darniederlag, die damals einen Drittel der Zürcher für immer von der Bühne des Lebens hinwegfegten. Zwingli ist nun mal nicht der Typ, der den Tod verspottet oder ihn seinem Weibe an den Hals wünscht.
Jeder seiner Zeitgenossen aber hätte ihr zumindest ordentlich eine geklebt. Denn die Frau hatte sich erdreistet, ihren Unmut über die Entscheidung ihres Mannes kundzutun:
«Was?! Du opferisch dä Manz?»
Manz, das ist ein Wiedertäufer, der klammheimlich Erwachsene getauft hat, weil er der Ansicht ist, man müsse schon älter als ein Säugling sein, um sich für Gott zu entscheiden.
«Gott isch kai Entscheidig!», findet Zwingli und sieht in diesem Querschläger die grosse Sache gefährdet. Und so lässt er zu, dass der Zürcher Rat den armen Manz für seine ketzerische Tauferei in der Limmat ersaufen lässt.
Das gefällt Anna gar nicht. Und Zwingli eigentlich auch nicht – aber er muss es tun. Weil man die Menschen nicht überfordern darf mit Veränderungen, das sieht er schon ganz richtig. Aber was macht nun die uneinsichtige Frau, die natürlich nicht kapiert, dass dieses Bauernopfer nötig war? Ihre Augen blitzen verächtlich und speien feurige Vorwürfe. Und ihr Mund sagt:
«Was? Du opferisch dä Manz?!?»
Da geriet selbst Zwingli ein bisschen in Rage. Aber eben nur ein bisschen. Denn für alles andere ist er viel zu nett.
Und damit sind wir auch schon bei seiner Haupteigenschaft angelangt. Denn während er gegen das Zölibat kämpft, damit die Priester nicht mehr länger unter der «Brunscht» leiden müssen und sich eine Ehefrau nehmen können, statt weiter den heuchlerischen Hurenzins für ihre Konkubinen zu zahlen, während er den Bauern die Bibel auf Deutsch predigt, damit auch sie die Worte Gottes verstehen, während er das Fegefeuer zur Erfindung der Kirche erklärt und die schlechten Gewissen der Leute mit der göttlichen Barmherzigkeit bekannt macht, während er die Prunksucht der Geistlichen anprangert, die sich so grotesk von der Armut der Leute abhebt, während er also all diese hehren Dinge tut, bleibt er vor allem eines: nett. Nett bis zum Abwinken.
Da liegt Baby Regula friedlich schlummernd in den Armen ihrer Mutter, die zu diesem Zwecke im Arbeitszimmer ihres Mannes herumsteht, und zack springt der Zwingli von seinem Tisch auf, um erst Anna sein liebevollstes Lächeln zu schenken und dann sein Kindlein zu küssen. Es scheint fast so, als würden seine Lippen vor lauter Sanftheit die Stirn von Klein-Regula nicht einmal berühren.
Das ist astreine zwinglianische Familienidylle.
Den herumstreunenden Kindern auf der Strasse wiederum spielt der Zürcher Reformator ein eigenhändig komponiertes Liedchen auf seiner Sackpfeife – bis ihm diese elenden Lumpenbuben eine seiner Flöten klauen. «He!», macht er überrascht, und schaut ihnen dann mit seinen grossmütigen Augen hinterher, in dessen Tiefe die Sünden einer ganzen Menschheit klanglos versinken mögen.
Wäre da schon ein Fussgängerstreifen gewesen, hätte er sofort nach einem lahmen alten Weiblein gegriffen und es darübergeleitet.
Zwingli ist so nett, er scheint vollends hinter seiner Sache zu verschwinden. Wenn ihm zu seinem gewonnenen Kampf gratuliert wird, sagt er:
«Nei, nöd ich han's gschafft. Mir hend's gschafft.»
«Er nervt», fasse ich das Kinoerlebnis für meinen Ressort-Leiter zusammen, der seinerseits findet: «Zwingli wäre ein guter Ressort-Leiter gewesen.»
Ja, er kämpft für die Armen und Vergessenen und all dies auch noch in chronologisch einwandfreier Reihenfolge. Da kommt die Szene «Zürcher Disputation 1523», wo sich Zwingli erfolgreich gegen den Ketzervorwurf der kirchlichen Oberhäupter wehrt, gefolgt von den Szenen «Bildersturm» und «Bibelübersetzung», wo er gemeinsam mit seinen Freunden die erste deutsche Protestanten-Bibel erschafft – dies in schönster eidgenössischer Kanzleisprache.
Allzu lehrbuchartig werden die wichtigsten Stationen von Zwinglis Leben abgehandelt, so als hätte der Film mit jener leer bleibenden Hauptfigur nicht viel anderes, an dem er sich entlangerzählen liesse.
Tatsächlich ist der historische Zwingli auch nicht so leicht fassbar wie sein derber deutscher Kollege, der auf die Bauern fluchende Bauernsohn Luther, der sein Menschenbild nicht zu reformieren bereit war. Mit mindestens einem Bein steckte er noch im Mittelalter fest – während Zwingli die Leibeigenschaft in Zürich aufhob, verteidigte jener sie als «gottgefällige Ordnung». Und während Zwingli hinter seinen Schriften verschwindet, beben Luthers Zeilen von seinem brachialen Gepolter bis heute nach.
Zwingli scheint ein feiner Mann gewesen zu sein, auf der Leinwand wirkt er bloss unbeseelt. Er scheint ein unheimlich mutiger Mann gewesen zu sein, auf der Leinwand bleiben seine Taten unheroisch blass.
Im Grunde spielt er den kantenlos langweiligen Super-Reformator in einem farblosen Protestanten-Propaganda-Film, in dem die weltgewandte Katharina von Zimmern, die Äbtissin des Fraumünsters, ihr Kloster nach 28 Jahren sofort freiwillig der Stadt übergibt, weil sie so ein enormer Fan ist von Luther.
Überhaupt geht die Reformation ungewöhnlich friedlich über die Stadt, die Rollen sind schliesslich auch eindeutig verteilt. Da sind die herzigen Zwinglianer, die während der Fastenzeit ganz verstohlen und sittlich ihre heiligen Wurst-Rädchen-Oblate verspeisen, damit allen Zuschauern augenblicklich klar wird: So zelebriert man das Abendmahl eben richtig. Mit viel Symbolik und wenig echter Fleischwerdung. In einem kahlen Hinterzimmer.
Auf der anderen Seite haben wir die bösen mit Prunk behangenen Katholiken, die einzigen Farbkleckse im Film, stets im bedrohlichen Kardinalsrot gehalten, die in der Gestalt des Bischofs von Konstanz (wundervoll gespielt von Ueli Jäggi) gipfeln, der für den symbolischen Kontrast auf ungemein primitive Weise seine Zähne in ein Poulet schlägt.
Und am Ende kommt der Zweite Kappelerkrieg, der allerdings nicht gezeigt wird, und in dem Zwingli von den Altgläubigen erst verhöhnt, dann getötet, gevierteilt und verbrannt wird. Seine Asche streuen sie in den Wind, sodass Anna nichts weiter bleibt als die groben Scherben jenes kaputtgegangenen Tellers, die sie auf dem Schlachtfeld vergräbt.
Dann folgt der Abspann, wo es heisst: «Heinrich Bullinger wurde Zwinglis Nachfolger in Zürich. Er festigte den reformierten Glauben – danach gab es keinen Religionskrieg mehr.»
Bitte, was?
Das muss dann wohl der grosse Ersatz-Witz für den sonst doch sehr unironisch geratenen Film sein.