Alleine zu reisen hat Vor- und Nachteile. Am besten sind die Begegnungen, die einem je nach dem entgehen, wenn man auf seinen Reisepartner fixiert ist.
Der einzige Haken beim alleine Reisen, zumindest für mich, ist die Überwindung, die es braucht, um auf Menschen zuzugehen und sie kennenzulernen. Von Leuten, die mich ein bisschen kennen, höre ich oft: «Das glaube ich nicht. Du redest so viel und bist so laut. Und sowieso ... du machst Slam Poetry. Du kannst bestimmt gut mit Menschen reden und so.»
In Tat und Wahrheit bin ich aber ziemlich introvertiert – ich rede einfach nicht gern drüber (badabum, tschhh). Auf der Bühne schützen mich die blendenden Scheinwerfer vor den Blicken: Ich rede nicht mit einem Menschen, ich rede mit einem schwarzen Raum.
Das ist viel einfacher.
Mit Leichtigkeit Leute anquatschen kann ich nur unter zwei Bedingungen:
Wenn ich alleine unterwegs bin, kenne ich logischerweise niemanden und betrinken kann/will/sollte ich mich auch nicht andauernd. Ich reise liebend gern alleine, ich brauch dafür einfach immer erst einen Ruck.
Während meiner Semesterpause in Perth, ging ich für eine Woche alleine nach Melbourne. So ein Austauschsemester ist schliesslich anstrengend, da braucht's Ferien vom Urlaub.
In Melbourne angekommen, werfe ich mich ins kalte Wasser – ab in den Ausgang. Auf «Meetup», einer App für soziale Gemeinschaftsaktivitäten, sehe ich, dass sich eine Gruppe Expats im Ausgehviertel Fitzroy trifft. «Prima, andere Fremde – ein guter Anfang», denke ich mir und sage der Veranstaltung zu. Ich gehe hin und stell mich vor dem Club an. Was ich noch nicht weiss: Die Expats werde ich nie kennenlernen.
Eine besoffene Gruppe Australierjungs steht vor mir in der Schlange, oder besser gesagt um mich herum. Wir haben uns gleichzeitig angestellt und mit jedem Schritt, den es vorwärtsgeht, werde ich weiter in die laute Gruppe reingedrängt. Es wird immer unangenehmer und schwieriger so zu tun, als würde ich sie nicht bemerken und einfach lässig alleine in einer Menschentraube rumstehen. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass ich stocknüchtern und deshalb zu 100 Prozent im Introvertierten-Modus bin.
Sie spielen ein Spiel, bei dem einer das Smartphone an die Stirn hält und die anderen umschreiben müssen, welcher Begriff auf dem Display zu sehen ist. Tabu für Millennials quasi.
«Chris Rock» steht da.
Die Schnapsnasen legen los:
«Ein schwarzer Comedian.»
«Macht auch Filme.»
«Hat den Esel bei Shrek gespielt!»
«Nein. Das war Eddie Murphy, du Depp. Chris Rock ist das Zebra von Madagaskar», denke ich still in mich hinein. Raus kommt nur ein schwächlich gemurmeltes „Nein ... Murphy ... Zebra.“
Die Hooliganhorde verstummt und blickt mich an: «Wie bitte?» – «Eddie Murphy war der Esel bei Shrek. Du meinst das Zebra von Madagaskar», formuliere ich mein Gestammel etwas verständlicher aus.
Aus irgendeinem Grund (vermutlich Alkohol) brechen die Jungs in schallendes Gelächter aus. Ab diesem Punkt sind wir scheinbar beste Freunde. Steve, Jake, Daniel und den vierten Namen habe ich bereits wieder vergessen. Sie beginnen mich über die Schweiz auszufragen. Und auch wenn nichts aus diesem oberflächlichen Interview hängen bleiben wird, ist’s doch sehr lustig. Im Club angekommen wird mir Drink nach Drink in die Hand gedrückt.
Sie stellen mich euphorisch allen vor, die sie kennen, und auch allen anderen. Es stossen weitere Ethanol-Hünen dazu. Sie scheinen sich alle aus einer Football-Mannschaft zu kennen. Ich beginne, mir ein Spiel daraus zu machen, die Jungs irgendwelchen Promis zuzuordnen, an die sie mich erinnern. John zum Beispiel sieht aus wie Special Officer Doofy aus Scary Movie, Steve wie ein blonder Zach Woods (der Typ aus Silicon Valley).
Nach einer Weile wird beschlossen, weiter zu ziehen. Eigentlich möchte ich endlich mal die Expats aufsuchen, aber die Football-Jungs lassen mich nicht. Unterwegs erfindet meine neue Gang Fanchor-Gesänge mit meinem Namen. Es schauen alle schon schräg, eigentlich ein grosser Fremdschäm-Moment. Aber was soll's. Mich kennt zum Glück ja keiner und bald bin ich wieder weg. Wir ziehen von Bar zu Bar, wo es mehr und mehr Bier gibt. Einige der Jungs verlassen uns, ein paar neue Leute schliessen sich an. Unter anderem Barbara Schöneberger in jung.
Zum Schluss tanzen wir in einem leeren Pub zu einer Live-Band, die Indie-Covers von 90er Hits spielen, bis der Laden schliesst. Steve, der einzige nüchterne an diesem Punkt, fährt die verbliebene Crew nachhause. Im Auto werden zum letzten Mal die «Greg»-Gesänge angestimmt. Dann setzt er mich netterweise direkt vor meinem Hostel ab.
Die Moral der Geschichte? Nichts Weltbewegendes, nur, dass es Vor- und Nachteile hat, alleine zu reisen. Es braucht Überwindung. Manchen mag dies wohl leichter fallen, anderen schwerer. Aber es entstehen Geschichten – spannende und unbedeutende, erzählenswerte und langweilige, tiefgründige und alberne. Manche bleiben in Erinnerung, manche geraten in Vergessenheit und manche landen auf watson.
Was ist eure liebste Geschichte vom Treffen mit Fremden?