Auf dem Nordwesttrip haben wir drei Reiseleiter, einen pro Bus. Ich frage mich, wie man zu diesem Beruf kommt. Ist ja keiner der typischen Kindheitsträume wie Erfinder, Tierärztin, Feuerwehrmann oder Astronautin.
Welcher Werdegang bringt einen dazu zigmal im Jahr Studenten, Senioren oder Touristen durch den roten australischen Kies zu fahren?
Nick ist der mit dem grössten Maul und dem meisten Blödsinn im Kopf. Sowas ist mir persönlich ja sehr sympathisch. Er hatte vorher einen angeblich ziemlich langweiligen Bürojob. Er liebt die Natur und die Wildnis und würde nie mehr zurück wechseln.
Al ist der liebenswerte Opatyp, schätzungsweise um die 70. Er ist sehr ruhig, macht aber ganz selten einen gezielten zynischen Kommentar. So auch am Abschlussabend beim Lagerfeuer als er mich bei einem Beweglichkeitsspiel mit den Worten anfeuert: «Keine Chance. Sorry, aber du bist zu gross. Ich wette ein Bier darauf, dass du es nicht schaffst.» Er löst seinen Wetteinsatz dann auch gleich ein.
Erst nach zehn Tagen rede ich das erste Mal richtig mit Al und erfahre beiläufig, dass der sanfte graue Bär früher einmal bei den Marines diente. Danach arbeitete er lange als Polizist. Zuletzt hatte er ein Antiquitätengeschäft und seit einigen Jahren fährt er Tourbusse und macht Führungen durch die Schluchten von Karinjini.
Und dann ist da noch Craig. Ihm gehört das Reiseunternehmen. Für die Natur bringt er eine Leidenschaft an den Tag, wie kaum einer. Auf der Tour fahre ich bei ihm mit. Meine Kollegen und ich wechseln uns fürs Privileg des Beifahrers ab. Ich habe meist einen «Lange-Beine-Vorrang». Neben ihm zu fahren, ist Naturkundeunterricht vom Feinsten. Er ist sprichwörtlich eine busfahrende Enzyklopädie. Egal ob Objekt, Tier oder Pflanze – er zeigt auf etwas und erzählt drauf los.
Ebenfalls gibt er Überlebenstipps. Mit einem Blick auf scheinbar endloses Outback sagt er: «Siehst du, dass alle Büsche etwa gleich gross sind bis auf ein paar einzelne, grössere Gruppen? Wenn du dich in der Wüste verirrst, willst du dahin wandern. Entweder hat es dort eine offene Wasserstelle oder sie befindet sich weniger Meter unter dem Boden.»
Weiter erklärt er, warum Bear Grylls ein Hochstapler sei und gerne mal gegen ihn in einer Überlebensübung antreten könne. «Für jede Australiensendung kommt er ausserhalb der Trockenzeit. Das ist keine Herausforderung.»
Craig war nicht immer Tourguide. Lange war er Minenarbeiter, hat in Indonesien Bohrarbeit geschult, kletterte fürs Baumfällen Stämme hoch und war schliesslich Automechaniker. Das letzte kommt unglaublich gelegen, als der Bus einmal in der brühenden Hitze stehen bleibt.
Es sind die unterbruchsreichsten hundert Meter der ganzen Reise. Erst hält uns mitten im Nichts ein Polizist wegen Überschreiten des Tempolimits an. Direkt darauf steigt die Klimaanlage aus. Und nur wenige Meter danach versagt der Motor. An jedem der drei Stopps hopst Craig enthusiastisch aus dem Bus und löst das Problem mit einem Lächeln.
Wie wird man also Tourguide? Keiner der Dreien hat diesen Beruf von Beginn an angestrebt. Alle haben was anderes gelernt oder studiert. Sie sind allerdings durch unterschiedliche Wege bei dem gelandet, was ihnen am meisten Spass macht. Und ist nicht das das Ziel? Wie soll man auch als Teenager nach einem Besuch bei der Berufsschau oder ein, zwei Uni-Infotagen wissen, womit man sich die nächsten 40-50 Jahre beschäftigen will? Zudem gibt’s ja nicht einmal einen Infotag für Erfinder oder Astronauten.
Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass ich als kleines Kind unbedingt Polizeihund werden wollte. Nicht Polizist, nein – Polizeihund.
Wie frustriert ich wohl gewesen sein musste, als ich rausfand, dass mir das die Gesellschaft nicht erlaubt. Siehe da, ich bin es schliesslich auch nicht geworden.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass Hilfspolizisten, die Parkbussen verteilen, bereits als Kind davon träumten, sich von narzisstischen Geschäftsmännern beschimpfen zu lassen.
Welcher Billetkontrolleur wollte sich von klein auf schon Sätze anhören wie:
Wichtig ist doch, dass man morgens gern zur Arbeit geht (ausser montags). Egal, was man als Kind wollte oder später gelernt hat.
Chapeau, wer auch den ungemütlichsten Job mit Leidenschaft macht. Oder gibt es etwas Schöneres als einen sprücheklopfenden Billetkontrolleur, der sich morgens grinsend an den grauen Minen vorbeischlängelt, um einem Kind das Spielbillet zu zerknipsen? Wohl kaum.