Ich bin im Campingzelt aufgewachsen. Also, nicht ausschliesslich. Aber in den Sommerferien hiess es immer:
Bis ich 16 Jahre alt war, sah ich lediglich einmal ein Flugzeug von innen (Menorca – ist wie Mallorca, nur britisch statt deutsch).
Mein Vater hatte einen umgebauten Van und nahm meine Geschwister und mich auf dem Landweg in die Ferien. Kroatien, Holland, Frankreich, Italien. Wir verbrachten die Zeit an Meeren oder Seen, badeten, lernten holländisch und liessen am 1. August zur Verwunderung aller Anwesenden kleine Feuerwerkskörper ab.
Damals schimpfte ich oft über diesen Ferienstil. Meine Freunde flogen derweil mit ihren Familien in irgendein wundervolles Luxusressort, wo man die Hotelanlage nicht einmal verlassen musste – so schön war es da! Ich war stets neidisch.
Heute bin ich verdammt froh, dass mein Vater uns meckernde Goofen dazu überredet hat, campieren zu gehen.
Das Austauschprogramm hier in Perth organisiert in den Kurzferien während des Semesters jeweils eine grosse Tour durch den Nordwesten Australiens. Natürlich habe ich mich dafür angemeldet.
Einerseits aus Vorfreude, die faszinierende Schönheit und beinahe unberührte Natur der Westküste geniessen zu können, andererseits sind die meisten meiner Austauschfreunde eben solche Hotelressort-Kinder.
Ich brenne darauf zu sehen, wie sie mit ihren behüteten Feuchtigkeitscreme-Händchen den ersten Hering einschlagen.
Es würde den Rahmen sprengen, genau zu berichten, was wir alles gesehen und gemacht haben. Deshalb beschränke ich mich in diesem Beitrag aufs Camping. Was ich aber bieten kann, sind ein paar Bilder und die dringende Empfehlung, dasselbe auch einmal zu tun.
Am Anfang erweist sich mein Verdacht als bestätigt. Einige der etwa vierzigköpfigen Gruppe haben noch nie im Leben ein Zelt aufgestellt. Dementsprechend schleppend verläuft der Aufbau am ersten Abend.
Später muss ich aber eingestehen, dass sie schnell dazugelernt haben. Mit der Zeit sind wir sehr geübt, denn fast jeden Tag geht es eine Station weiter.
Bisschen wie im WK, nur mit weniger Rumsitzen. Mit ein paar Ausnahmen sind die meisten nach ein paar Nächten naturfester geworden und haben ihre Ansprüche auf die menschlichen Grundbedürfnisse runtergeschraubt:
Andere geben den Luxusressort-Spirit noch nicht auf und tragen auch nach dem siebten Tag morgens Mascara auf und parfümieren sich im Tourbus. Und das, obwohl wir doch mittlerweile alle gegenseitig gesehen haben, wie wir unpoliert aussehen.
Ich nehme mich da selbst nicht raus. Normalerweise kommt morgens erstmal was in meine Haare, damit Störche darin nicht ihr Nest bauen. Doch irgendwann ist mir auch das egal und ich lasse genügsam den «Struwwelpeter» raushängen.
In der sechsten Nacht muss ich lernen, mir auf meine Camping-Härte nicht zu viel einzubilden. Als wir im Karinjini-Nationalpark einkehren, einem sonst halbwüstenähnlichen Schluchtengebiet, fängt es an Katzen, Hunde und Kängurus zu regnen. Mitten in der Wüste, wo es laut Tourguide bloss zwei Tage im Jahr regnet.
Und es schüttet drei Tage lang runter, wie kurz vor dem Weltuntergang, wobei wir scheinbar am ersten Tag schon die Jahresmenge an Niederschlag erreicht haben.
Es ist, als hätten wir alle während unserer gesamten Kindheit den Teller nicht leer gegessen. Als wäre britischer Sommer in der Masoala-Halle mit aktiviertem Feuerlösch-Sprinkler.
Am zweiten Regentag befinden wir uns eine Station weiter an einem Rasthaus irgendwo im Nirgendwo und dort kennt der Niederschlag dann endgültig keine Grenzen mehr.
Ich war acht Jahre lang in der Jungschar und hab so manches Pfingstlager mitgemacht. Und es ist ein Naturgesetz, dass es dort immer regnet. Doch das jetzt wird selbst mir zu viel.
Die Metamorphose vom erfahrenen Camping-Jungen zur klitschnassen Memme lässt sich am besten in den 5 Phasen der Trauer beschreiben:
Nach stundenlangem Platzregen, lässt der Schauer leicht nach und macht Hoffnung ... Doch nur, um dann mit erneuter Kraft runter zu prasseln.
Und selbst als Ungläubiger beginne ich langsam damit, eine höhere Existenz um Hilfe zu bitten.
Doch weil auch das nicht hilft, resigniere ich, ringe das Kissen wie einen Schwamm aus und drücke es an mich.
Schliesslich, als all dies nichts gebracht hat und noch immer der Zorn der Götter auf uns niederpeitscht, kommt die letzte Phase.
Die einen flüchten über Nacht in die Tourbusse, die anderen liegen resigniert im überschwemmten Zelt. Wir brechen einen Tag früher auf als geplant. Ein weiser Entscheid unserer erfahrener Tourguides, und auch ein knapper. Denn hinter uns schliessen sämtliche Nationalparks und Landstrassen wegen Überflutung.
Zuhause angekommen, freuen sich alle über den wiedergewonnenen Luxus, über WLAN und Mascara. Aber vor allem über die sonnige Trockenheit Australiens, wegen der ich doch eigentlich hergekommen bin.