Und nun zurück zum Artikel.
Direkt nach meiner Ankunft in Perth geht es in den Ausgang, na prima. Der Koffer ist noch ungeöffnet, das Bett noch nicht bezogen. Doch man will bekanntlich ja nicht der Typ sein. Der Stubenhocker, der Partymuffel. Mein Mitbewohner Sam begrüsst mich mit einem Bier und nimmt mich in eine andere Wohnung im Studenten-Komplex mit. Sie ist gefüllt mit anderen Austauschstudierenden. Die Gruppe besteht zu 80% aus Amerikanern im «reifen» Alter von 19-20 Jahren. Und sie alle sind betrunken.
Ich bin es nicht.
Stocknüchtern stehe ich da und schaue mir das Szenario an. Wer schon einmal an einem Wochenende lange arbeiten musste und danach so gegen halb zehn abends über den Hauptbahnhof in Zürich geschlendert ist, kann sich jetzt gut in mich hineinfühlen. Der einzige Unterschied ist, dass nirgends ein Teenagermädchen betrunken in der Ecke sitzt und heult, weil der «Shadz» des Lebens nach zwei Wochen Facebookbeziehung schlussgemacht hat.
Nein, so ist es nicht. Eigentlich ist die Stimmung ganz fantastisch! Für die anderen.
Ein Gespräch anzufangen, ist kein Problem. Wenn Amerikaner etwas sind, dann neugierig:
Und während ich an ihren Gesichtern erkenne, dass sie bemüht versuchen, sich vorzustellen, wo dieses «Schweiz» denn in etwa sein könnte, verzeihe ich ihnen ihre Unwissenheit. Sie haben es sich schliesslich nicht ausgesucht, dass zuhause mehr Geld in Kriegsführung statt in Bildung investiert wird. Und sowieso; sie sind betrunken. Wer weiss betrunken schon, wo irgendetwas liegt.
Ich nippe an meinem Bier und stosse gedanklich mit mir selbst an:
Okay, das ist jetzt vielleicht etwas unfair. Diese Kinder sind immerhin tausende Kilometer gereist, um der Alkohol-ab-21-Limite aus ihrem Land zu entfliehen. Zudem waren wir damals ja auch schon mit 15 Jahren unter den Büschen unserer Stadtparks liegend mit einem viel zu süssen Alkopop in der Hand anzutreffen.
Ich rede schon von damals ...
Nun fühle ich mich noch älter als die ohnehin schon 6-7 Jahre Unterschied zu diesen jungen Wilden.
Auch als ich mit ihnen dann endlich Richtung Club ziehe, ändert sich dieses Denken nicht. Anstatt in Partystimmung zu kommen, verwandle ich mich in einen der Balkon-Opas aus der Muppet-Show und ziehe innerlich über alles her.
Nostalgisch erinnere ich mich zurück an die Tage, als ich noch Freude dran hatte, von Mittwoch bis Samstag auszugehen. Damals, als ein Kater nur einen Vormittag lang hielt und mit dem Nachhauseweg-Döner meist schon gekontert war. Jetzt reicht ein feuchtfröhlicher Apéro riche und das Wochenende ist gelaufen. Am nächsten Morgen wache ich auf und schreibe innerlich schon mein Testament.
Damals, als Sorgen einfach abgeschaltet werden konnten. Mit einem Gummibärli in der Hand hatte die Welt keine Probleme mehr. Heute kann man sich beim Glas Wein kaum entspannen und denkt an...
Damals, als alles noch einfach war.
An dieser Stelle erwarte ich bereits Kommentare von Mittdreissigern, die meinen:
Gleichzeitig denken sich die Endvierziger genau das Gleiche über die reklamierenden Mittdreissiger. Die Kette geht immer weiter rauf und rauf, denn jeder mit weniger Lebenserfahrung hat doch sowieso keine Ahnung. Das Ganze gipfelt bei der Oma, die bequem im Schaukelstuhl sitzt und sich denkt: