Es war nur ein 1:1, trotzdem war den Fans und Spielern des FC Arsenal nach dem Schlusspfiff die Erleichterung anzusehen. Nach diesem Punktgewinn gegen den FC Liverpool hatte man im Emirates Stadium endlich wieder das Gefühl, das man in den letzten Jahren so schmerzlich vermisst hatte. Das Gefühl, dass sich Arsenal mit den Besten der Liga auf Augenhöhe bewegt.
Der 13-fache englische Meister war vor dem Schlagerspiel gegen die «Reds» zwar bereits auf Tuchfühlung mit der Tabellenspitze, doch seit den beiden Auftaktpleiten gegen Manchester City und Chelsea traf man auf keinen Klub der «Big 6» mehr. Niemand wusste also genau, was die sieben Siege in Serie und das Remis gegen Crystal Palace Wert waren.
Dank der besten Saisonleistung blieb Arsenal gegen Liverpool nicht nur zum 14. Mal in Serie ungeschlagen, die «Gunners» haben auch eindrücklich bewiesen, dass mit ihnen definitiv wieder zu rechnen ist und dass ein Top-4-Platz entgegen der Erwartungen vor der Saison durchaus im Bereich des Möglichen liegen könnte.
Als «Man of the Match» wurde nicht der späte Ausgleichs-Torschütze Alexandre Lacazette, sondern Granit Xhaka abgefeiert. Der Schweizer Nationalspieler musste gegen Liverpool nicht mehr auf der linken Aussenverteidiger-Position ran, sondern durfte wieder im defensiven Mittelfeld die Fäden ziehen. Und Xhaka überzeugte auf der ganzen Linie: Von allen Spielern hatte er am Ende am meisten Pässe (84), am meisten Tacklings (5) und am meisten Balleroberungen (15) auf dem Konto.
Vor allem sein Einsatz gegen Mohamed Salah, dem er den Ball im Strafraum nach einem 40-Meter-Sprint mit letztem Einsatz vom Fuss spitzelte, weckte Begeisterungsstürme. Allein diese Grätsche sei das Eintrittsgeld wert gewesen, schwärmte «The Sun». Doch auch sonst wurde der sonst Vielgescholtene für einmal ausschliesslich gelobt. Als «Monster im Mittelfeld» bezeichnete ihn beispielsweise «Talk Sport».
Seinen Leistungssprung hat Xhaka vor allem Trainer Unai Emery zu verdanken, der bedingungslos auf den 26-jährigen Schweizer setzt und ihm so das nötige Vertrauen schenkt. Doch nicht nur Xhaka, der ganze Klub hat vom Trainerwechsel von Arsène Wenger zum unscheinbaren Spanier profitiert. So hat der 47-jährige Ex-PSG-Coach die Gunners wieder auf Trab gebracht:
Anders als zuletzt unter Wenger lässt Emery seine Jungs wieder den schnellen, kompromiss- und schnörkellosen Angriffsfussball praktizieren. Die Fans danken es ihm: Anfang Oktober skandierten sie beim 5:1-Kantersieg gegen Fulham ein erstes Mal «We've got our Arsenal back».
Seither hat der Schlachtruf Hochkonjunktur, er ist Beweis, dass Fans und Spieler wieder näher aneinander gerückt sind. Es geht kein Raunen mehr durchs Publikum, wenn einer auf dem Feld mal einen Fehler begeht und die «Gunners» können befreiter aufspielen. Eine Positiv-Spirale in Gang gesetzt von Emery, der dem Klub mit seiner Art, Fussball spielen zu lassen, die eigene DNA zurückgegeben hat.
Im Gegensatz zu Wenger, der seinen Profis mit den immer gleichen Ballspielchen seinen Fussball einimpfen wollte und nicht allzu sehr auf Disziplin setzte, führt Emery auf dem Trainingsgelände in London Colney ein hartes Regiment. Bei den komplexen und variablen Übungen werden die Spieler voll gefordert. Denn der Spanier ist überzeugt, dass das Training effizienter ist, je näher es an die Bedingungen eines Ernstkampfs herankommt. Oft wird deshalb auch am Nachmittag und nicht mehr am Morgen trainiert.
An den Seitenlinien hat Emery zudem Fitness-Bikes aufstellen lassen, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Unter ihm laufen die Arsenal-Profis im Kollektiv deutlich mehr und ziehen auch mehr Sprints an, was sich in den Spielen vor allem auf die Qualität von Pressing und Gegenpressing auswirkt.
Im Gegensatz zu Arsène Wenger, der dem Gegner die eigene Spielweise aufzwingen wollte, lässt Emery die Gegner bis ins letzte Detail analysieren und gibt seinen Spielern vor jeder Partie exakte Anweisungen, wie sie sich auf dem Platz zu verhalten haben.
Der Spanier hat gemäss seinen Spielern immer einen genauen Plan im Köcher. Gegen Leicester und Crystal Palace musste Xhaka auf der linken Abwehrseite die Stammkräfte Nacho Monreal und Sead Kolasinac ersetzen, obwohl es durchaus andere Alternativen gegeben hätte. Emery wollte aber unbedingt einen Linksfuss auf der Positionen haben, weshalb Taktgeber Xhaka «geopfert» werden musste.
Wenger hielt sich während eines Ernstkampfs an der Seitenlinie stets zurück, nur höchst selten war zu sehen, wie er seinen Spielern Anweisungen gab. Ganz anders Emery: Der Spanier coacht viel aktiver und überträgt seine Energie so auf das Team. Nach der Grätsche von Xhaka gegen Salah jubelte er, als hätte sein Team gerade ein Tor geschossen.
Immer wieder zitiert er seine Stars auch an die Seitenlinie, um so direkten Einfluss aufs Spiel zu nehmen. Wenger pflegte einen eher erzieherischen Coaching-Stil, der von Emery ist fordernder.
Zusammen mit Sportdirektor Raul Sanllehi und Kaderplaner Sven Mislintat hat Emery dafür gesorgt, dass sich die «Gunners» wenig spektakulär, dafür gezielt verstärkt haben. Mit Lucas Torreira (für 30 Millionen Euro von Sampdoria) und Matteo Guendouzi (für 8 Millionen Euro von Lorient) kamen zwei robuste defensive Mittelfeldspieler, die Spielmacher defensiv entlasten. So kann sich Arsenals Nummer 34 vermehrt dem Spielaufbau widmen, was wiederum den beiden mittlerweile treffsicheren Sturmspitzen Pierre-Emerick Aubameyang und Alexandre Lacazette zugute kommt.
Nur in der Defensive ist Arsenal noch etwas anfällig. Der neue Torhüter Bernd Leno, der Legende Petr Cech verdrängt hat, ist zwar ein Versprechen für die Zukunft, strahlt aber noch nicht die nötige Sicherheit aus. In der Innenverteidigung kam mit Neuzugang Sokratis zwar etwas Stabilität, noch immer sind die «Gunners» hier aber etwas dünn besetzt.