Das Scheitern von Serge Aubin war offensichtlich. Der freundliche Kanadier ohne jedes Charisma war im Hallenstadion bei den Konzerten der ZSC Lions nie der Rockstar, den diese Mannschaft braucht. Er war höchstens der fleissige «Roadie», der die Instrumente auf die Bühne schob. Ohne jeden Einfluss auf die Songs, die dann auf dem Eis gespielt worden sind.
Die ZSC Lions haben unter Serge Aubin ihre Identität nie gefunden und, schlimmer, alle sportlichen Ziele verfehlt. Ruhmloses Scheitern in der Champions Hockey League, klägliches Ausscheiden im Cup und in der Qualifikation weit unter den Erwartungen. Dass die Zürcher wieder auf Playoffkurs sind, verdanken sie mehr der Ausgeglichenheit der Liga als ihrer eigenen Leistung. Sie vermochten fast nie auf kritische Situationen im Spiel zu reagieren.
Die Frage war nicht ob, sondern nur wann Sven Leuenberger seinen Trainer feuern wird. Und wie der Nachfolger heisst. Serge Aubin wird sowieso zügig wieder einen Job finden. Es gibt interessierte Klubs aus der DEL. Die Zürcher werden den bis 2021 laufenden Vertrag nicht auszahlen müssen.
Der erfolgreichste Sportchef der Liga – keiner hat mehr Meistertitel geholt als Sven Leuenberger – folgt dem gleichen Muster wie im Vorjahr: die talentierten, aber zur Bequemlichkeit neigenden Spieler durch einen «feuerköpfigen» Trainer im richtigen Moment aufrütteln. Vor einem Jahr hat es mit der Entlassung von Hans Wallsson und dem Engagement von Hans Kossmann wunderbar funktioniert.
Mit Arno Del Curto geht Sven Leuenberger ein höheres Risiko ein als mit Hans Kossmann. Den kanadisch-schweizerischen Doppelbürger konnte er führen und kontrollieren. Hans Kossmann war froh um einen Karriere-Neustart. Er tobte zwar in der Kabine, aber neben dem Eis trabte er an der Leine seines Vorgesetzten. So wie es sich für einen Musterprofi gehört.
Bei Arno Del Curto ist es anders. Er ist nicht berechenbar. Vor allem nicht bei seinen Auftritten neben dem Eis. In der Medienhauptstadt der Schweiz ist er ab sofort die sportliche Attraktion Nummer 1 und nun werden immer neue Folgen der Zürcher Eishockey-Lindenstrasse produziert. Der Engadiner sagt, was er denkt und nicht was Sven Leuenberger und Peter Zahner gerne hören würden. Mit Arno Del Curto sind die Zürcher ab sofort bis im April Stadtgespräch, sie produzieren Medienpräsenz wie nie zuvor während der Qualifikation. Marketingtechnisch ist die Verpflichtung von Arno Del Curto ein Geniestreich.
Und sportlich? Auch auf dem Eis kann es funktionieren. In Davos hatte Arno Del Curto in den letzten zwei Jahren nicht mehr die Spieler, die er braucht, um sein bisweilen verrücktes Tempohockey umzusetzen. In Zürich hat er diese Spieler wieder. In Davos oben war er ein Formel-1-Pilot in einem Geländewagen. In Zürich sitzt er wieder in einem Boliden.
Letztlich ist die Romantik stärker als die Vernunft. Die Vernunft hätte geboten, den Trainer bis Saisonende im Amt zu halten und dann sorgfältig einen neuen Bandengeneral zu rekrutieren. Oder den Trainer freizustellen und einen «normalen» Nothelfer zu verpflichten. Den Hockey-Göttern sei gedankt, dass die Romantik wieder einmal stärker war als die Vernunft. Die Vernünftigen kommen in diesem Business sowieso nicht in meisterliche Himmel.
Und so schliesst sich der Kreis. Im Frühjahr 1992 hat Arno Del Curto mit dem ZSC in den Playoffs den himmelhohen Favoriten Lugano im Viertelfinale aus den Playoffs gekippt und das Charisma von Trainer John Slettvoll gelöscht. Es war der Start der bisher grössten Karriere eines Schweizer Eishockey-Trainers.
Seit Arno Del Curto 1996 den HC Davos übernommen hat, sind die Gerüchte um eine Rückkehr ins Hallenstadion zum Ritual geworden. So sehr, dass inzwischen nur noch im Scherz von einem möglichen Engagement bei den ZSC Lions gesprochen wurde. Aber die Versuchung, den ältesten Traum unseres Hockeys Wirklichkeit werden zu lassen – Arno Del Curto wieder im Hallenstadion – war glücklicherweise für Sven Leuenberger zu gross, um widerstehen zu können.
Kommt es gut? Ja. Das Hockey-Business und der ZSC haben sich zwar seit 1992 von Grund auf verändert. Aus dem verarmten Skandalklub ZSC ist inzwischen eine der besten Hockeyfirmen Europas und das rauchige Hallenstadion zu einem Tempel des Showbusiness umgebaut worden. Inzwischen ist aus Arno Del Curto so etwas wie der Trainer-Rockstar unseres Hockeys geworden. Seine Karriere wäre unvollendet geblieben, wenn er nie im neuen Hallenstadion aufgetreten wäre.
Die Zeiten und das Hockey-Business haben sich geändert. Aber die Erfolgsgeheimnisse im Eishockey sind die gleichen geblieben. Und Arno Del Curto kennt sie. Er ist bei weitem nicht zu alt. Dazu passt, was der unvergessliche Udo Jürgens – er ist übrigens auch im Hallenstadion aufgetreten – einst getextet hat.
Und voller Stolz verkündet
mein Enkel Waldemar
der ausgeflippte Alte
das ist mein Opapa
Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an
Mit 66 Jahren, da hat man Spass daran
Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss
Mit 66 Jahren, ist noch lang noch nicht Schluss.
Das können wir eins-zu-eins auf Arno Del Curto übertragen. Und er ist ja erst 62.