Grosse Mannschaften brauchen grosse Trainer. Die ZSC Lions haben die letzte Meisterschaft gewonnen. Sie sind also eine grosse Mannschaft. Aber Serge Aubin (43) war ein kleiner Trainer.
Es ist eines der Mysterien unseres Hockeys, wie so kluge Männer wie Peter Zahner (ZSC-Manager) und Sven Leuenberger (ZSC-Sportchef) auf den Gedanken gekommen sind, Serge Aubin sei ein grosser Trainer.
Der freundliche Kanadier, zuvor in Wien engagiert, hat immer so geredet, als käme er grad von einem Psychologie-Kurs an der Volkshochschule. Selbst nach einem Sieg wirkte er leicht melancholisch. Als sei am Vortag die Hauskatze überfahren worden. Ein überaus sympathischer und sicherlich tüchtiger, kompetenter und fachkundiger Operettentrainer aus einer Operettenliga. Die Spieler konnten ihn auf Dauer nicht ernst nehmen.
Item, das ist jetzt Vergangenheit. Nun ist ja Arno Del Curto da. Alles ist vergeben und vergessen.
Der erste Auftritt von Arno Del Curto im Hallenstadion geht in die Geschichte ein. Der Trainer als Rockstar. Eine neue Dimension des Hockey-Personenkultes. Selbst der neue Assistent Michael Liniger (er kommt vom Farmteam GCK Lions) spürt es. Auf einmal wird auch er zum begehrten Interview-Partner. Die Fragen der Chronistinnen und Chronisten drehen sich allerdings nur um ein Thema: Wie ist es, mit Arno zu arbeiten? Wie ist Arno? Was macht Arno? Was denkt Arno?
Für dieses erste Heimspiel mit dem neuen Trainer haben die ZSC Lions 1000 T-Shirts bereitgelegt. Mit dem Aufdruck «ADC» (für Arno Del Curto) in den Logobuchstaben der Rockband AC/DC in ZSC-Farben. Das Stück für 25 Franken. Sie sind, so wird verkündet, nur an diesem einen Tag zu haben. Alle sind verkauft worden.
Wegen Arno Del Curto sind sicher mindestens 1000 Männer, Frauen und Kinder ins Hallenstadion geeilt. Mit nur einer Heimpartie haben die ZSC Lions dank T-Shirt-Business und grösserem Publikumsinteresse die Zusatzkosten für den Trainerwechsel schon eingespielt.
Die Show war ganz einfach grossartig. Über die Soundanlage der Arena rockt AC/DC und der Moderator verkündet mit überschlagender Stimme: «Arno-Musik!» Dann wird es dunkel. Im Rahmen der Intro-Lichtshow wird der Kopf von Arno Del Curto eingeblendet. In der Manier eines Rockstars begrüsst er das Publikum und verspricht, alles für den Sieg zu tun. Er mahnt da oben am Bildschirm optisch an eine aufgeputschte Rock-Version von Bill Gates.
Das hat gepasst! Arno Del Curto und seine @zsclions gewinnen im Hallenstadion gegen die #SCLTigers gleich mit 4:1! Entsprechend wurde Arno am schluss gefeiert. 😉👇 #MySportsCH #HomeofSports #MyHockey #NationalLeague pic.twitter.com/YF0gnXzhYP
— MySportsCH (@MySports_CH) 19. Januar 2019
Nach der Partie wird vom begeisterten, erhitzten In-House-Moderator zum ersten Mal in der Geschichte nicht einer der Spieler interviewt. Sondern der Trainer. Er würdigt Arno del Curto als «Messias».
Trainer. Rockstar. Messias. Was sind dagegen Barone, Fürsten, Könige und Kaiser? Nichts. Wir wollen doch hier dem geneigten Leser kurz erklären, was eigentlich «Messias» bedeutet.
Der Begriff «Messias» bedeutet ursprünglich «Gesalbter». So wird in der Bibel der rechtmässig, von Gott eingesetzte König der Israeliten bezeichnet. Im Sport wird mit dieser Bezeichnung ein Mann verehrt, von dem man sich Wunder und Erlösung aus der Finsternis des Misserfolges erhofft.
Arno Del Curto ist bei diesem Interview so heiser (und kultiviert diese Heiserkeit), dass seine Antworten kaum zu verstehen sind und vom Moderator wiederholt werden. Tausendfach echot es «Arno, Arno, Arno» durch die Arena.
Welch ein Personenkult in einer Stadt, die so prüde ist, dass im Neumünster das Orgelspiel erst seit 1853 wieder erlaubt ist! Wahrlich, wahrlich, die Zeiten haben sich auch in Zürich geändert.
Wenn in Bern auf diese Art und Weise öffentlich einer Person gehuldigt würde, dann kämen aus den Zürcher Redaktionsstuben die Satirikerinnen und Satiriker, die Kulturkritikerinnen und Kulturkritiker, um die Berner zu verhöhnen.
Halten wir kurz inne. Wenn wir vor der Saison gesagt hätten, dass die ZSC Lions im Januar in der 25. Qualifikationsrunde einen Sieg über die SCL Tigers als grossen Erfolg, als Wende, ja als Triumph mit einer Olà-Welle feiern würden – ZSC-Manager Peter Zahner hätte mehr Seriosität angemahnt.
Die ZSC Lions, deren Topskorer Denis Hollenstein so viel verdient wie ein Fünferblock aus den günstigsten Langnauern (in Langnau ist die erste Zahl der Salärsumme bei den Schweizern nur bei Captain Pascal Berger und Torhüter Ivars Punnenovs eine Drei) sind stolz darauf, nach dem Trainerwechsel wenigstens eine von zwei Partien gegen die SCL Tigers gewonnen zu haben.
Das sind die verrückten neuen ZSC-Wirklichkeiten. Gut fürs Eishockey. Eishockey ist in der Medien- und Wirtschaftshauptstadt des Landes Tagesgespräch – und wird es bleiben.
Und was sind die Tendenzen auf dem Eis? Sie sind beunruhigend. Nicht für die Zürcher. Sondern für die Konkurrenz.
Es ist, als hätten die ZSC Lions beschlossen, endlich die Arbeit aufzunehmen. Nun zeigt der Trainerwechsel erstmals Wirkung. Nicht einmal mehr der frühe Rückstand (0:1) vermag sie aus dem Konzept zu bringen. Sie spielen je länger die Partie dauert, desto mehr so, wie das von einem Meisterteam im Januar erwartet werden kann. Kein Spektakelhockey. Aber einfach, praktisch und gut.
Sie sind selbstsicherer, bissiger, effizienter als am Vorabend. Und endlich, endlich kehrt Normalität ein.
Normalität heisst in diesem Falle: Es darf Gopfriedstutz erwartet werden, dass Fredrik Pettersson mit einer Einzelleistung etwas bewegt. Wie beim 1:1.
Es darf Gopfriedstutz erwartet werden, dass Denis Hollenstein der beste Spieler seiner Mannschaft ist. Er war es in dieser Partie zum ersten Mal überhaupt seit seinem Transfer vom Schluefweg ins Hallenstadion.
Was war nun bei diesem 4:1 auch sonst noch anders als bei der 0:1-Niederlage am Vorabend in Langnau?
Die Energie. Zwei so schnelle, intensive Partien innert 24 Stunden waren für die Langnauer zu viel. Sie vermochten das fehlende Talent nicht mehr mit Einsatz und Disziplin zu kompensieren. Es fehlte nicht viel, aber es fehlte ein entscheidendes Quäntchen Energie.
Am Freitag war den Langnauern mit einem perfekten Spiel ein 1:0-Sieg gelungen. Zwei perfekte Spiele hintereinander gegen den gleichen Gegner innerhalb von 24 Stunden gelingt keiner Mannschaft der Welt.
Die ZSC Lions sind zwar noch weit von einem perfekten Spiel entfernt. Aber sie sind drauf und dran, zu der Normalität und Effizienz zu finden, die beispielsweise den SC Bern auszeichnet. Zu diesem Auftreten, gewürzt mit Arroganz, das jedem Gegner signalisiert: Eishockey ist, wenn am Ende der ZSC gewinnt.
Dieses Auftreten ist nur möglich, wenn grosse Trainer grosse Mannschaften kommandieren. Wie Kari Jalonen in Bern und jetzt Arno Del Curto in Zürich. Und ein wenig wie an einem guten Abend bei Heinz Ehlers in Langnau.
Sportlich sind die ZSC Lions also auf dem Weg zurück zur Normalität und wir können unsere Aufmerksamkeit auch wieder anderen Hockeyfirmen zuwenden. Aber neben dem Eis wird keine Ruhe einkehren.
Noch bevor die ZSC Lions «grün» (also für die Playoffs qualifiziert) sind, wird von den ZSC-nahen Chronistinnen und Chronisten (und in Zürich sind alle dem ZSC nahe) mit der Forderung nach einer Vertragsverlängerung von Arno Del Curto die nächste Polemik angezettelt.
Seine Anstellung ist ja vorerst bis zum Saisonende befristet.
Aber Arno Del Curtos Vertrag wird selbst dann lange vor dem Ablaufdatum und mit einem Salär in seinem Sinne um mindestens ein Jahr verlängert, wenn er die Playoffs verpassen oder in der ersten Playoffrunde rausfliegen sollte.
Das Volk will es so.
Wenn also Sportchef Sven Leuenberger den Kontrakt mit seinem Rockstar-Trainer nicht prolongieren sollte, dann mögen die Hockeygötter jedes Wort dieses Beitrages in eine Tausendernote in der ZSC-Mannschaftskasse umwandeln.
Von nun an gilt nämlich für die ZSC Lions und erst recht für die ZSC-Fans: Arno Del Curto steht an der Bande, also sind wir.