Der erste Gedanke, wenn ich die Geschichte von Alessandro Cupini lese? Was für ein armes Kind! Eines, das zweifelsohne sehr talentiert ist auf dem Fussballplatz. Aber eines auch, das wohl von den Eltern gnadenlos gepusht wird. In der Hoffnung, dass es ausgerechnet ihr Junge sein wird, für den der Traum von Millionen Buben auf der ganzen Welt wahr wird. Der Traum von der grossen Profi-Karriere in Europa.
Im Süden von Kansas City, im Herzen der USA, führt die Familie Cupini seit 15 Jahren ein Restaurant, Papa Eddie und Opa Franco. Doch nun geben sie dieses Business auf und ziehen zurück ins Land der Vorfahren. Ihre neue Heimat wird Rom sein, wo Eddies zehnjähriger Sohn Alessandro bei der AS Roma versucht, Fussballprofi zu werden. Das Restaurant, auf Tripadvisor die Nummer 55 von 1134 Restaurants in der Stadt, will die Familie aus der Ferne weiterführen und anstatt Lebensmittel aus Italien zu importieren, will sie nun mit deren Export Geld verdienen.
«Das wird ein grosser Schritt für uns sein», ist sich Eddie Cupini im «Guardian» bewusst. Aber sein Sohn wolle diesen unbedingt machen. «Er sagte zu mir: ‹Dad, ich will in Rom leben und in Europa Fussball spielen. Da spielen die besten Fussballer der Welt und ich will auch einer von ihnen werden.›»
Möglich ist der Transfer – bisher kickt Alessandro «Alex» Cupini für einen Klub namens KC Fusion – dank der Wurzeln des Talents in Italien und der Bereitschaft der Familie, ein neues Leben zu beginnen. Denn eigentlich ist es den Vereinen untersagt, Minderjährige zu verpflichten. Eine Ausnahme wird nur gemacht, wenn die Familie umzieht, aus Gründen die nicht mit dem Fussball verbunden sind, wie es offiziell heisst. Diese Regelung wurde eingeführt, weil Väter von Talenten manchmal urplötzlich Platzwart oder U12-Assistenztrainer wurden – und man so den «zufällig» ins Land gekommenen Sohnemann verpflichten konnte. Wenn nun die Cupinis nach Rom ziehen, um ihr Leben dort fortzuführen, gibt es keine Grundlage, ihnen dies zu verbieten.
Die Familie Capini macht schon jetzt alles, um die Karriere von Alex voranzutreiben. Eigener Brand mit eigenem Logo («AC7»). Eigener Youtube-Kanal. Eigener Twitter-Account. Eigener Instagram-Account mit 42'000 Followern. Und wenn man die geposteten Bilder anschaut, hat der Junge wohl auch schon Sponsoren.
Der Vater sagt zwar: «Auch wenn er jetzt nach Rom geht, der Weg hin zum Profi ist immer noch vergleichbar mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.» Familiärer Druck lastet trotzdem auf den schmalen Schultern. Denn Alex trainiert nicht nur mit Gleichaltrigen, er darf manchmal auch in einem Universitäts-Team bei Erwachsenen spielen und sein Vater hat zudem einen persönlichen Coach engagiert.
Und weil das alles noch nicht genug ist, wurde zuhause auch der Keller umgebaut, in ein 15 x 5 Meter grosses Fussballfeld. «Er ist entweder da unten oder draussen am Trainieren. Jeden Tag ist das erste, was mich Alex fragt, wo und wann das Training stattfindet», so der Papa. Zugleich betont er: «Er soll einfach Freude am Spiel haben. Wir hoffen natürlich, dass er den Durchbruch eines Tages schafft. Falls nicht, erhält er vielleicht ein Stipendium und kann an einem College spielen.»
Und was, wenn Alessandro kein kleiner Fratz mehr ist, sondern ein Teenager? Einer, dessen Leben mehr als nur einen Ball kennt? Der auch Mädchen interessant findet, vielleicht mal ein Bierchen trinken will und stolz mit dem Motorino durch die Gegend fährt? «Das fragen wir uns auch», gibt sein Vater zu. «Hoffentlich bleibt er dann beim Fussball. Ich würde ihm dann einfach sagen, dass ein Aufhören eine Verschwendung seines Talents sei und dass er das ganz bestimmt nicht wolle.»
Und dann gibt es auch noch die sehr realistische Aussicht, dass der Hochbegabte sich schlicht nicht durchsetzen wird. Dass er sich gravierend verletzt. Oder dass er in seiner Entwicklung stagniert. Oder dass der Trainer auf andere Spieler setzt. Oder dass er im falschen Moment zum falschen Klub wechselt. Der Weg ganz nach oben ist beschwerlich, auch für Supertalente. Die Liste der gescheiterten Wunderkinder ist lang.
Man kann das alles also hinterfragen, dieses Streben nach Glück des Piccolos. Aber vielleicht sind wir auch einfach zu wenig Amerikaner. Eddie Cupini dagegen lebt den Geist des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten: «Ich will es versuchen und meinem Sohn ermöglichen, seinen Traum zu leben. Du kannst nicht zu lange warten, du musst einen Entscheid fällen und die Gelegenheit beim Schopf packen, wenn sie sich dir bietet.»