Wir sind es uns nachgerade gewohnt, dass es im Gebälk der katholischen Kirche knarrt und knackt. Konfliktstoff liefert mit schöner Regelmässigkeit die Bistumsleitung in Chur. Die erzkonservativen Hirten Haas und Huonder hatten die fortschrittlichen Zürcher Kirchgemeinden und Gremien immer wieder auf die Palme gebracht.
Als dann Papst Franziskus seinem Favoriten Joseph Maria Bonnemain, seines Zeichens Mitglied der umstrittenen Personalprälatur Opus Dei, den Bischofstab übergab, triumphierten einmal mehr die Hardliner und Hüter der «reinen katholischen Lehre». Doch Bonnemain machte ihre Hoffnung bald zunichte. Und zwar so gründlich, dass die Fundis im Bistum Chur zu rebellieren begannen.
Der Konflikt brach Anfang April aus, doch alle Bemühungen um einen Burgfrieden scheiterten bislang. Auch der letzte Akt vor ein paar Tagen brachte keine Lösung.
Auslöser war ein Kodex für das Kirchenpersonal mit dem Titel: «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht – Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung». Bonnemain wollte endlich das Versprechen einlösen, das Problem mit den sexuellen Übergriffen grundsätzlich anzugehen und die Haltung gegenüber der Homosexualität zu definieren. Eine Arbeitsgruppe hatte ein 32 Seiten langes Papier ausgearbeitet, das Bonnemain genehmigte.
Am 5. April stellte er den Kodex zusammen mit allen sieben bistümlichen Landeskirchen der Kantone Graubünden, Zürich, Schwyz, Uri, Nid-, Obwalden und Glarus an einer Medienorientierung vor. Das war ein Paukenschlag. Ein solches Instrument kennt kein anderes Bistum. Es ist vermutlich weltweit einzigartig.
Die Fundis unter den Geistlichen rieben sich verwundert die Augen. Sie erklärten sich zwar mit dem Grundanliegen einverstanden, doch einzelne Punkte stiessen ihnen sauer auf. So sauer, dass sie öffentlich Widerstand leisteten und sich weigerten, den Kodex zu unterschreiben.
Federführend sind die 43 Mitglieder des erzkonservativen Churer Priesterkreises und 80 sympathisierende Priester. Doch was trieb ihnen die Zornesröte ins Gesicht? Etwa der Satz: «Ich verzichte auf pauschal negative Bewertungen von angeblich unbiblischem Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung.» Sie monieren, dass laut Bibel und Katechismus «homosexuelle Handlungen in sich nicht in Ordnung» und «in keinem Fall zu billigen» seien.
Oder: «In Seelsorgegesprächen greife ich Themen rund um Sexualität nicht aktiv auf. In jedem Fall unterlasse ich offensives Ausfragen zum Intimleben und zum Beziehungsstatus», steht im Kodex. Wer dies akzeptiere, dürfe kein Ehedokument mehr unterschreiben, erklären die Aufmüpfigen.
Pfarrer müssten die Heiratswilligen doch fragen, ob sie einer Ehe als «sakramentale Lebens- und Liebesgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau» zustimmen. (…) «Wer diese Fragen, welche auch das Sexualverhalten betreffen, nicht gemäss der kirchlichen Lehre beantwortet, kann nicht kirchlich heiraten», schreiben die Mitglieder des Churer Priesterkreises.
Ein letztes Beispiel: «Einem Outing zu sexueller Orientierung stehe ich unterstützend zur Seite», heisst es im Kodex. Dies sei eine Zumutung und würde das Gewissen der Pfarrer verletzen, sagen die rebellierenden Fundis.
Dann der Hammer: «Wir bedauern sehr, dass der Diözesanbischof Hand zum Versuch geboten hat, die LGBT-Ideologie unter dem Deckmantel der Übergriffsprävention in der Kirche zu implantieren und damit die Glaubenslehre der Kirche auszuhöhlen.»
Bonnemain war sofort bemüht, die Wogen zu glätten. Er traf sich mit den aufgewühlten Priestern und versuchte, sie zu besänftigen. Denn bei einer Verweigerung der Unterschrift drohen den Aufmüpfigen Sanktionen bis hin zur Entlassung.
Vor gut einer Woche fand das zweite Gespräch mit dem Bischof statt. Doch es konnte keine Einigung oder Lösung erzielt werden, wie der Priesterkreis diese Woche auf seiner Homepage schreibt. Er listet eine Reihe von Aussagen Bonnemains auf, die angeblich widersprüchlich seien und Verwirrung stifteten. Ausserdem monieren sie formale Fehler.
Sie verlangen, dass Bonnemain die Verbindlichkeit des Kodexes suspendiert und lediglich als Diskussionsgrundlage betrachtet. Ihr Fazit:
Bonnemain glaubte, endlich ein wirksames Instrument zur Prävention gegen den Machtmissbrauch und gegen sexuelle Übergriffe gefunden zu haben. Der Widerstand des Churer Priesterkreises, deren Mitglieder wie in einem Geheimbund anonym bleiben, stürzt ihn in ein tiefes Dilemma.
Der Widerstand der Fundis zeigt, dass ein beträchtlicher Teil des Klerus' wenig gelernt hat aus den Skandalen. Und dass das Problem tief im System steckt. Gegen den heiligen Furor der Abweichler wird er vermutlich nicht ankommen. Er kann sich bei dem akuten Priestermangel auch nicht leisten, 120 Geistliche zum Teufel zu schicken.
Diesen Machtkampf wird Bonnemain kaum gewinnen. Wäre er Staatspräsident, müsste er womöglich zurücktreten. Obwohl er alles richtig gemacht hat.