Das Leiden gehört zum Leben. Wir Menschen leiden, weil die Welt ein Steinbruch ist: unberechenbar und unvollkommen. Wir leiden, weil es Krankheitserreger gibt und unser Körper immer wieder Fehlfunktionen produziert: Das Zusammenspiel verschiedener Organe funktioniert nicht störungsfrei, die Produktion gewisser lebenswichtiger Stoffe ist ungenügend, Hirnströme werden fehlgeleitet, wir erleiden psychische Krankheiten, die uns durch die Hölle jagen und vieles mehr.
Solche Syndrome können meist medizinisch erklärt und diagnostisch nachgewiesen werden. Die Ursachen sind fast immer wissenschaftlich erklärbar.
In den meisten Religionen spielt das Leiden eine grosse Rolle. Diese suchen mit Vorliebe religiöse Gründe für das weltweite Leiden der Menschen. Das mag zur Gründungszeit der Religionen Sinn gemacht haben. Die Menschen verstanden damals nicht, weshalb ihr Körper krank wurde und weshalb sie Schmerzen erdulden mussten.
Sie wussten auch nicht, dass Bakterien Entzündungen und Viren hohes Fieber hervorrufen können. Ihnen war auch unbekannt, dass Zellen entarten und Krebs erzeugen können.
Und wie immer, wenn Menschen früher gewisse Phänomene und Syndrome nicht verstanden, suchten sie übersinnliche oder religiöse Gründe und Erklärungen. Was damals plausibel klang, ist aus heutiger Sicht nicht nur kurios, sondern teilweise absurd.
So wurde den Gläubigen das Leiden als Prüfung von Gott verklickert. Oder als Strafe für sündiges Verhalten. Deshalb galt es, dieses Leiden auszuhalten, quasi als Sühne. Die Leidensfähigkeit wurde zur religiösen Tugend. Wer besonders stark litt, wurde eher von seinen Sünden befreit.
Aus heutiger Sicht ist diese Kultivierung des Leidens unmenschlich. Und schon gar nicht mit der vermeintlichen Liebe Gottes in Einklang zu bringen. Diese Erkenntnis sollte heute eigentlich auch bei den Geistlichen angekommen sein, und sie müssten eine neue Haltung gegenüber dem Leiden und der Leidensfähigkeit entwickeln. Tun viele aber nicht.
Vor allem die katholische Kirche verklärt auch heute noch das Leiden als zentrales religiöses Ritual. Sie empfiehlt, sich der Mutter Gottes anzuvertrauen und den Rosenkranz zu beten. Oder an Wallfahrtsorten auf den Knien zur Kirche zu robben, um noch mehr Schmerzen zu erdulden. Um nur zwei Beispiele zu nennen.
Aus pädagogischer und psychologischer Sicht ist diese religiös aufgeladene Leidenskultur ein Unding. Als ob das Leiden an Schmerzen oder einer schweren Krankheit nicht Schicksal genug wäre, belastet der religiöse Aspekt die Leidenden zusätzlich. Sie glauben, sündig geworden zu sein und von Gott bestraft zu werden. Statt Trost zu spenden verstärkt der Glaube das Leiden.
Ähnlich verhält es sich beim Zölibat und der Askese. So verzichten Geistliche auf eine der wichtigsten menschlichen Attribute; die menschliche Liebe. Oder sie kasteien sich zu Ehren Gottes und um Sühne zu leisten. So wie die Mitglieder des katholischen Laienordens Opus Dei, die den Bussgürtel anziehen und sich geisseln.
Schliesslich hat es Jesus vorgemacht. Er hat als Sohn Gottes am Kreuz Höllenqualen gelitten, um uns Menschen von Schuld und Sünden zu befreien. Auch hier wird das Leiden auf extreme Weise kultiviert und verklärt.
Damit erzeugte Jesus bei den Gläubigen ebenfalls eine Art Leiden, oder zumindest einen mentalen Druck. Sie fühlen sich mitschuldig, weil Jesus dieses unerträgliche Leiden für uns auf sich nehmen musste. Ein Teufelskreis, an dem bestenfalls der Satan Freude haben kann.
Angesichts des weltweiten Leidens und dem Tod von Jesus am Kreuz stellt sich die Frage, welche Beziehung der liebende Gott zum Thema Leiden hat.