Die Beichte gehört in der katholischen Kirche zu den wichtigsten Sakramenten. Vor der ersten Kommunion müssen Kinder beichten lernen. Dabei geht es laut der katholischen Lehre um drei hauptsächliche Aspekte: Die Gläubigen können dem Pfarrer ihre Sünden vortragen, ihr Gewissen erleichtern und vor Gott Busse tun. Das klingt aus religiöser Sicht einleuchtend, aus psychologischer Warte ist es aber ein problematisches Ritual. Doch davon später.
In einem Leitfaden heisst es: «Die Gläubigen müssen sich im Rahmen der Beichte ihren Sünden stellen und diese auch vor Gott bekennen. Wichtig ist, dass sie wahre Reue spüren und ernsthaft den Wunsch haben, ihr Verhalten zu ändern, denn nur so kann ihnen auch verziehen werden. Durch die Beichte wird die Taufgnade wiederhergestellt, die notwendig für das ewige Leben bei Gott ist.»
Ort des Geschehens ist bei der klassischen Beichte der Beichtstuhl. Ein kleines, dunkles Kabäuschen, in dem der Priester sitzt, und der Gläubige kniet. Der Beichtende sieht durch ein Gitter höchstens die Gesichtsumrisse des Geistlichen. Für mich war es als kleiner Knabe ein gespenstisches Ambiente. Ein unsichtbarer Unbekannter, dessen Atem ich spürte und dem ich mein Innerstes preisgeben musste, wirkte auf mich unheimlich.
Das war ein denkbar ungünstiges Setting, um mich ihm zu öffnen und ihm anzuvertrauen. Psychologisch gesehen eine Todsünde. Ja, ich fürchtete mich vor dem Beichten. Ich wusste als Achtjähriger nicht, was ich dem Fremden erzählen sollte. Mir war auch nicht klar, was alles als Sünde gilt. Ich musste im Beichtstuhl die zehn Gebote aufzählen und zu jedem meine Verfehlungen gestehen. Eigentlich hätte ich bei den meisten Punkten sagen sollen: Ich weiss nichts dazu. Doch als pflichtbewusster Knabe bemühte ich mich, eine Antwort zu geben. So erfand ich so manche «Sünde». Was ich sofort wieder hätte beichten müssen, weil ich ja gelogen hatte. Und viele meiner angeblichen Sünden waren wohl lässliche Bagatellen. Wenn mich ein Mitschüler auf dem Pausenplatz angegriffen und ich mich gewehrt hatte, beging ich eine Sünde, glaubte ich und beichtete sie brav.
Überhaupt: Können Kinder sündigen?
Und dann war da das 6. Gebot. Du sollst nicht ehebrechen, lautet es sinngemäss. Uns Kindern wurde es als «Keuschheit» verklickert. An ihm mühte ich mich am meisten ab. War es unkeusch, wenn ich beim Pinkeln mein kleines Zipfelchen hielt? Oder wenn es beim Erwachen steif wurde? Die Folge war, dass dieser Körperteil, der zwingend zu mir gehörte, mir erhebliche Gewissensbisse machte. Nicht, weil ich damit etwas anstellte, sondern allein, weil es da war. Oder weil es mir Gott angepflanzt hatte. Denn als Kind sah ich in ihm nur eine Funktion: Die des Wasserlassens. Was man sonst noch mit ihm anstellen konnte, entzog sich damals meiner Erfahrung.
Oder was sollte ich als Kind beim 5. Gebot beichten, das da lautete: «Du sollst nicht töten»? Psychologisch gesehen ist die Beichte für manche Kinder eine Tortur. Viele Eltern erkennen diese Gefahr und weigern sich, ihre Kinder zur Einzelbeichte zu schicken. Ich musste monatlich zu diesem verhassten Ritual. Wenn der Termin nahte, tobten in mir innere Kämpfe. Die Vernunft sagte: Geh nicht. Gott in mir rief: Komm endlich! Da meist die Vernunft siegte, beging ich bereits wieder eine Sünde. Diese musste ich als erstes beichten, denn der Pfarrer fragte jeweils, wann ich das letzte Mal meine Sünden bekannt habe.
Dieses katholische Ritual untergräbt das Selbstwertgefühl. Es vermittelt den Eindruck, dass ich ein Sünder bin, der unfähig ist, gottesfürchtig zu leben. Und es führt zu einem Glauben der Einschüchterung und der Angst. Frei nach dem Motto: Wenn du nicht beichtest, können dir die Sünden nicht vergeben werden. Dann lässt dich Gott fallen, und du verpasst womöglich dein Seelenheil. Das führt zu einem antiquierten, moralinsäuerlichen Glauben.
Pfarrer sind auch Seelsorger. Deshalb sollten ihnen die grundlegenden psychologischen und pädagogischen Prinzipien bekannt sein. Mit der Beichte verletzen sie diese grob fahrlässig. Denn ein Erziehungskonzept, das auf Schuld und Sühne basiert, gehört revidiert. Oder besser: abgeschafft.
Es ist auch eine Art Seelenstriptease und somit eine Indoktrination. Sie fördert die Anpassung, wenn nicht gar Unterwürfigkeit. Und sie gibt den Geistlichen Macht: Sie entscheiden im Namen Gottes über die Vergebung der Sünden. Damit schwingen sie sich zum moralischen Richter auf. Und zu guter Letzt: Es ist eine Art geistiger Voyeurismus. Es hat etwas Anmassendes, wenn sich Priester berufen fühlen, im Namen Gottes oder Jesus Sünden anzuhören und zu vergeben.
Es muss mir niemand sagen, dass von den Hunderttausenden von Priestern, die schon Kindern die Beichte abgenommen haben, ihre Beklemmung nicht wahrgenommen haben. Sie unternehmen aber nichts dagegen. Diese Sünde müssten sie beichten.