Im Zeitalter der Castingshows und zelebrierten Selbstdarstellungen werden Promis verehrt, verklärt und idealisiert wie nie zuvor. Als seien sie perfekt, unantastbar, selbstbestimmt und rundum glücklich.
Doch wenn die Scheinwerfer erlöschen, sind die stereotyp in die Kameras lachenden Top Shots häufig verletzlich. Oft verletzlicher als wir Normalos, weil ihr Leben ein permanenter Hochseilakt ist. Wenn sie abstürzen, ist die Fallhöhe sehr hoch, sind sie doch abhängig vom Erfolg und der öffentlichen Wahrnehmung.
Ein aktuelles Beispiel liefert die 41-jährige Michelle Hunziker. Die Schweizer Moderatorin ist temperamentvoll, beliebt, berühmt – und erfolgreich. Mit ihrem damaligen italienischen Ehemann und Sänger Eros Ramazzotti bildete sie einst ein Traumpaar. Das Märchen konnte beginnen, zumal Töchterchen Aurora das Glück perfekt machte.
Doch dann hatte Michelle Haarausfall, Eros eine Halsentzündung. Ihr berufliches Kapital ist bedroht. An diesem Punkt der Geschichte tritt im Jahr 2000 eine italienische Geistheilerin auf den Plan, wie Hunziker in ihrer Autobiographie schreibt. Körperlich sind die beiden irgendwann wieder fit, doch die Heilerin schlüpft in die Rolle der esoterischen Sektenführerin und indoktriniert die beiden.
Eros ergreift die Flucht, Michelle tappt in die Sektenfalle. Diese ist tief, der Fall scheint endlos.
Eros versucht alles, um Michelle die Augen zu öffnen. Vergeblich. Schliesslich trennt er sich. Auch den Kontakt zur ihrer Mutter bricht Hunziker nach Streitereien ab. Bleibt ihr nur noch Aurora. Doch Eros will wenigstens seine Tochter retten und erwirkt gerichtlich, dass Michelle Aurora nicht zur Sekte «Krieger des Lichts» mitnehmen darf.
Michelle muss wie alle Krieger asketisch leben. Kein Sex, der als niedriger Trieb abgetan wird und die spirituelle Entfaltung hemmen soll. Kein Alkohol, nur vegane Ernährung. Lebensfreude hemmt die Konzentration auf dem Weg zur Erleuchtung, predigt die Guru-Frau.
Michelle wird mit dem Sohn der Sektenführerin verkuppelt, er ist ihr Aufpasser und Manager. Ihre Spenden werden immer grösser. Wie viel sie abliefert, weiss sie selbst nicht genau. Zwei Millionen Euro sind es im Minimum. Möglicherweise viel mehr.
Nach fünf Jahren rebelliert Aurora. Sie hätte gern wieder ihr lachendes Mami zurück, sagt das kleine Mädchen eines Tages ihrer Mutter. Der Satz trifft sie ins Mark, sie erwacht aus ihrem Sektenwahn.
Der Weg zurück ins reale Leben wird zur Leidensgeschichte. Michelle Hunziker muss sich wieder finden. Und das hat sie getan. Sie schrieb ihre schmerzlichen Erfahrungen in ihrer Autobiografie «Ein scheinbar perfektes Leben» nieder, das gestern Freitag in die Buchhandlungen kam.
Mit diesem Schritt bewies sie Mut. Sich in der Öffentlichkeit outen und zugeben, dass man sich fünf Jahre lang von einer machtgierigen und esoterisch verblendeten Sektengründerin manipulieren liess, braucht viel Überwindung.
Denn da sind Schuldgefühle, die Scham frisst das Selbstbewusstsein auf. Mittlerweile weiss sie, dass sie allen Unrecht tat: ihrer Mutter, ihrem damaligen Mann und vor allem Aurora.
Solche Ablösungsprozesse sind sehr schmerzhaft. Die Einsicht, sich geistig, spirituell und existentiell ausbeuten gelassen zu haben, frisst den letzten Rest des Selbstwertgefühls auf. Das Schreiben und Publizieren ist deshalb eine wichtige Katharsis oder eine Form der Eigentherapie.
Den ganzen Sektenmüll aufzuräumen und auf den Tisch zu legen, ermöglicht einen Neustart. Die Dunkelkammer wird entrümpelt, es gibt keine Geheimnisse mehr, die man sorgsam verstecken muss. Es ist ein Akt der Befreiung, der den Weg zu einem neuen Leben ebnet.
Viele Leser der Autobiographie mögen den Kopf schütteln und sich fragen: Wie kann man nur! Doch die meisten werden anerkennend Verständnis aufbringen. Denn wenn eine Prominente wie Michelle Hunziker ihre Sektenerfahrung veröffentlicht, ist der Aufklärungseffekt besonders gross. Dafür gebührt ihr Anerkennung und Respekt.
Gratulieren muss man Michelle Hunziker auch, dass sie den Mut aufgebracht hat, ihrer Peinigerin die Stirn zu bieten und sie öffentlich anzuprangern. Zwar benutzt die Schweizerin einen Decknamen, doch Google verrät den richtigen Namen rasch. Deshalb muss Michelle Hunziker damit rechnen, von der Sektenführerin angeklagt zu werden.
Es scheint, dass die Frauen, die sich von Sekten vereinnahmen liessen, mutiger sind als Männer. Zwei Beispiele unterstreichen die Vermutung. So hat der prominenteste Scientologe und Aushängeschild der Sekte, Tom Cruise, seine frühere Frau Nicole Kidman zur amerikanischen Pseudoreligion gebracht. Als ihre Kinder in die Sektenwelt hätten eingeführt werden sollen, zog die Schauspielerin unter schwierigen Bedingungen die Notbremse.
Ähnlich erging es Katie Holmes, der dritten Frau von Tom Cruise. Als ihre Tochter Suri die scientologische Schule hätte besuchen müssen, kaufte sie heimlich eine Wohnung und verliess den Musterscientologen in einer Nacht- und Nebelaktion. Während Tom Cruise sich immer noch wie ein braves Hündchen an der Sektenleine führen lässt.