Gott geniesst bei Gläubigen die höchste Form von Respekt. Deshalb ist es für sie ungebührlich, Kritik zu üben. Trotzdem soll hier die Frage gestellt werden: Darf man Gott benoten? Sein Schöpfungswerk unter die Lupe nehmen und sich dann ein Urteil bilden? Oder ist dies Blasphemie, weil doch Gott allmächtig ist, alles sieht, weiss und vorhersehen kann? Oder gilt es als Anmassung, dem als Schöpfer verehrten Gott auf die Finger zu schauen? Kann man überhaupt ein allwissendes und allmächtiges Wesen bewerten?
Bei allem Respekt muss sich Gott im Zeitalter der geistigen Autonomie Fragen und Analysen gefallen lassen. Auch in religiösen Fragen, seinem Kerngebiet.
Ein paar Beispiele:
Gott hat seinen eigenen Sohn geopfert, um uns Menschen angeblich zu erlösen. Und wie er ihn geopfert hat: Er liess es zu, dass Jesus gedemütigt und verraten wurde. Dass sein Sohn Opfer eines Justizirrtums wurde, gequält und schliesslich ermordet.
Gott hat also im moralischen Sinn keine Bestnote verdient. Würden wir Menschen so handeln, würde er uns wohl am Jüngsten Tag zum Teufel schicken.
Gott ging aber auch mit gewöhnlichen Menschen nicht zimperlich um. Um beispielsweise Hiob zu prüfen, legte er ihm unmenschliche Prüfungen auf. Ja, er quälte ihn förmlich. Bei einem Menschen würden wir wohl von Sadismus sprechen.
Noch schlimmer erging es Abraham. Gott befahl ihm, seinen Sohn zu töten und mit einem Feuerritual zu opfern. Der brave Gottesdiener tat, wie ihm befohlen. Im letzten Moment erschien ein Engel und stoppte den Propheten. Im Geist hatte Abraham aber seinen Sohn bereits ermordet. Denn laut Bibel ist schon der Gedanke an ein mögliches Fehlverhalten eine Sünde.
Überhaupt die Bibel. Was um Himmels Willen hat sich Gott dabei gedacht, als er den Urchristen das Buch der Bücher inspirierte? Und es ihnen als das Wort Gottes schmackhaft machte?
Damit stellte er sich und den künftigen Generationen seiner Gläubigen eine kapitale Falle.
Konkret: Der allwissende Gott hätte erkennen können, dass aufgeklärte Geister dereinst unzählige Widersprüche in der Bibel ausfindig machen würden. Vor allem aber hätte er wissen müssen, dass sich spätere Generationen kaum mit den Hunderten von Gräueltaten und Gewaltaufrufen würden anfreunden können.
Noch grundsätzlicher: Die Entstehung der Bibel – auch des Neuen Testaments – wirkt reichlich abenteuerlich und lässt sich nur schwer als Gottes Wort empfinden. Und schon gar nicht nachweisen. Denn die Quellenlage genügt bei weitem nicht den Ansprüchen, die einigermassen gebildete Zeitgenossen an historische Werke stellen.
Aber auch Leute, die bei der Lektüre der Bibel Verstand und Vernunft nicht ganz auf die Seite schieben, können sie höchstens als interessantes religionshistorisches oder literarisches Werk einstufen.
Gott hätte also erkennen müssen, dass die Bibel in ferner Zukunft den moralischen und ethischen Ansprüchen der Menschen nicht mehr genügen würde. Auch nicht den Standards der Menschenrechte.
Wie lassen sich die vielen Ungereimtheiten erklären?
Vielleicht ist Gott gar nicht der Schöpfer, als der er in der Bibel dargestellt wird. Vielleicht hat er keine seherischen Fähigkeiten. Vielleicht sind wir Menschen ihm ziemlich gleichgültig. Vielleicht muss er sich als Herrscher des unendlichen Universums mit Millionen von «Himmelskörpern» um wichtigere Angelegenheiten kümmern. Vielleicht sind wir ihm zu aufmüpfig, weil wir uns geistig emanzipiert und teilweise seiner Kontrolle entzogen haben. Vielleicht kümmert er sich auch nicht um uns, weil er weiss, dass wir eine aussterbende Spezies sind. Vielleicht lässt ihn unser Schicksal kalt, weil die Epoche der Erdenbürger nur ein Wimpernschlag ist angesichts der Millionen von Jahren, die das Universum auf dem Buckel hat.
Denkbar ist auch, dass es den Gott der Bibel gar nicht gibt.
So paradox es klingt: Mit dieser Vorstellung haben dann doch viele Menschen Mühe. Denn sie haben Angst, dass nach dem Tod alles vorbei sein könnte. Deshalb bekommt Gott als Rückversicherung doch wieder eine wichtige Bedeutung. Was die Note für ihn kaum aufbessert.