Vor mehr als zehn Jahren lancierte VW mit dem E-Up einen elektrischen Kleinstwagen. In Deutschland war die Nachfrage so gross, dass VW Ende 2020 einen Bestellstopp verfügte. 2023 wurde der mit 27'000 Franken einigermassen bezahlbare Mini-Stromer auch bei uns aus dem Programm gestrichen, weil er kaum Gewinn abwarf. Doch inzwischen sind die Akkukosten gesunken und die Deutschen wagen einen neuen Anlauf.
Vergangene Woche wurde die seriennahe Studie des elektrischen ID. Every1 enthüllt – ein Elektroauto für 20'000 Franken. Der Name «Everyone» klingt es an: Der Elektro-Zwerg soll die Einstiegshürde in die E-Mobilität senken. Inzwischen sind diverse Details bekannt.
Mit dem ID. Every1 nimmt VW Abschied von der früheren ID-Elektroauto-Optik. Dies auch, weil 2021 die erste Design-Studie des ID.1 beim Publikum komplett durchfiel. Nun orientiert man sich wieder am bewährten, funktionalen Design von Golf und Polo.
Das aktuell gezeigte Elektroauto ist zwar ebenfalls noch ein Concept-Car, aber das Serienmodell wird sehr ähnlich aussehen. 80 Prozent der Studie sollen es laut VW in das fertige Auto schaffen. Die Ansage ist klar: Der ID.1 soll günstig, aber nicht billig werden. Insbesondere der Innenraum wirkt, zumindest auf den Bildern, tatsächlich nicht billig.
Vom Innenraum zeigte VW nur Renderbilder, aber auch bei der Innenausstattung dürften sich nur noch Details ändern. Der Budget-Stromer kommt mit einem modernen Infotainmentsystem. Erfreulicherweise bringt VW echte Knöpfe und Tasten zurück, die bei den früheren ID-Modellen eingespart wurden. «Es ist ein Auto, kein Telefon», heisst es zur Kehrtwende bei VW. Alle zentralen Funktionen wie Lautstärke, Heizung etc. sollen mit physischen Tasten bedient werden können. Gesichert ist zudem, dass der Kleinstwagen auch bei den Hintertüren richtige Aussen-Türgriffe erhält.
Beim Publikum kam der ID. Every1, so der vorläufige Projektname, gut an, «weil er nicht wie ein lustiger Kleinwagen aussieht, sondern wie ein richtiges Auto», wie es Elektromobilitäts-Experte Stefan Moeller vom Elektroauto-Vermieter Nextmove ausdrückte.
Der ID. Every1 soll kompakt, aber alltagstauglich werden. Die Studie ist 3,88 m lang, 1,82 m breit (das Serienmodell wird mit 1,79 m etwas schmaler) und 1,49 m hoch, also knapp 20 cm kürzer als der aktuelle VW Polo, aber auch merklich grösser als der bisherige E-Up. Das schafft mehr Platz im Kofferraum und für die Batterie. So ist das Ladevolumen mit 305 Litern grösser als das eines fast 20 cm längeren Opel Corsa Electric.
Der kleine Stromer für vier Personen soll laut VW ohne Ladestopp mindestens 250 Kilometer weit kommen. Das ist ausreichend für ein Auto, das primär für kurze Strecken ausgelegt ist. Hoffnung macht, dass VW von einer Mindestreichweite spricht und nicht von der üblicherweise angegebenen WLTP-Reichweite, die nur unter idealen Bedingungen erreicht wird. Zum Vergleich: Der Vorgänger E-Up hatte eine WLTP-Reichweite von maximal 260 km, war aber mit einem Basispreis von fast 27'000 Franken deutlich teurer als der geplante ID.1. Rivale Renault spricht beim Kleinwagen R5 von «bis 300 km Reichweite», der beliebte Retro-Stromer kostet aber mindestens 25'000 Franken.
Gegen einen Aufpreis dürfte es den ID.1 auch mit grösserem Akku geben, aber ein Langstreckenauto wird der kleine Stromer nie werden. Sicher ist, dass VW im ID.1 auf günstigere LFP-Akkus setzt, die eine etwas geringere Energiedichte haben und daher vermehrt in Kleinwagen eingesetzt werden, bei denen die Reichweite weniger entscheidend ist. Moderne LFP-Akkus sind dafür langlebiger, ökologischer und sicherer.
Die technischen Daten wird VW erst später kommunizieren. Fest steht bereits: Wie der 2026 kommende ID.2 im Polo-Format beruht auch der nochmals kleinere ID.1 auf der neuesten Version von VWs Elektro-Plattform MEB Small. Es gibt also einen neuen E-Motor mit Frontantrieb, der auf «maximale Effizienz» ausgelegt sei. Zusammen mit der Aerodynamik, die besser als beim E-Up oder Renault 5 sein dürfte, scheint ein moderater Alltagsverbrauch realistisch.
Der ID.1 wird als erstes Modell im VW-Konzern «eine grundlegend neue, besonders leistungsfähige Software-Architektur nutzen». Gemeint ist die derzeit in Kooperation mit Rivian entwickelte Software. VW ist am US-Elektro-Startup Rivian beteiligt, das für seine moderne Auto-Software bekannt ist. Die Deutschen versprechen daher ein Bordsystem, das ein ganzes Autoleben lang Updates und neue Funktionen erhält. Ein Versprechen, das man bislang mit der eigenen ID-Software nur bedingt einhalten konnte. Mit Rivian als Partner könnten wir erstmals ein VW-Auto sehen, das bei der Software mit Tesla mithalten kann.
Thomas Schäfer, Chef der Marke Volkswagen, beantwortete die Frage im Interview mit dem Fachportal «Auto Motor und Sport»: «Der ID. Every1 ist ein urbanes Auto, das für junge und ältere Personen gleichermassen in Frage kommt. Und dann gibt es den grossen Markt für gewerbliche Anwendungen, zum Beispiel in Pflege- und Lieferdiensten. Aber auch in Flotten, die den CO2-Ausstoss senken müssen.»
In Portugal. Aus Kostengründen und vielleicht auch weil in Südeuropa kleine Autos besonders gefragt sind. «Es geht um elektrische Einstiegsmobilität aus Europa für Europa», sagte Konzernchef Oliver Blume vor einem Jahr, als der ID.1 angekündigt wurde. Bei der Präsentation bestätigte VW, dass der Kleinstwagen zunächst nur in Europa angeboten wird. Später dürften Märkte wie Indien und Südamerika, die langsam in Richtung Elektromobilität gehen, für den ID.1 interessant werden.
Der etwas grössere ID.2 wird Anfang 2026 in Spanien vom Band laufen. Der bisherige Kompaktwagen ID.3, der kommende E-Golf und die grösseren und teureren Elektro-Modelle ID.4, ID.5, ID.7 und ID.Buzz werden in Deutschland gebaut.
VW lanciert Anfang 2026 zunächst den Kleinwagen ID.2 ab 25'000 Franken. 2027 soll in Portugal die Produktion des nochmals kleineren ID.1 anlaufen, der ab rund 20'000 Franken zu den Kunden rollen soll.
Die beiden Klein- und Kleinstwagen-Modelle ergänzen den ID.3 in Golf-Grösse, der seit Ende 2020 verkauft wird und aktuell einen Listenpreis ab 33'300 Franken hat.
VW arbeitet schon seit Jahren am ID.1. Dass er trotzdem erst 2027 kommt, dürfte nicht am Willen, sondern an den Rahmenbedingungen liegen: Es war für VW und vergleichbare Autobauer bis vor Kurzem schlicht nicht möglich, sehr günstige, in Europa produzierte Einstiegs-Stromer mit akzeptabler Reichweite profitabel zu verkaufen. Relativ kleine Produktionsmengen ausschliesslich für Europa und nur noch langsam sinkende Akkukosten sind Gift für einen bezahlbaren Kleinstwagen.
Für nicht-chinesische Hersteller ist es bereits eine Herausforderung, ein E-Auto für 25'000 Franken zu bauen. Der VW ID.2 zu diesem Preis kommt 2026. Auch den brandneuen Renault 5 gibt es erst ab 27'500 Franken, die Basisversion für 25'000 Franken ist bei uns nach wie vor nicht bestellbar. Die kleinsten Elektroautos von Hyundai und Citroën kosten mindestens 24'000 bzw. 25'000 Franken; mit ein paar Extras eher 30'000 Franken.
Bei VW kommen erschwerend die Qualitätsansprüche der Kundschaft, zu viele Werke und zu viel Personal hinzu. VWs elektrischer Kleinstwagen für 20'000 Franken ist daher so knapp kalkuliert, dass die Schwestermarken Skoda und Seat auf eigene Ableger verzichten.
VW für den späten Start des ID.1 zu kritisieren, fällt leicht. Allerdings hat noch niemand der Kritiker erklärt, wie die Deutschen den Kleinstwagen deutlich früher hätten bauen sollen. Zur Erinnerung: Den Vorgänger E-Up gab es schon vor über zehn Jahren, er kam bei der Kundschaft gut an, bloss verdiente VW nichts daran. Inzwischen sind die Anforderungen an die Sicherheitssysteme weiter gestiegen, was die Mission günstiges Kleinstauto nicht vereinfacht.
VW ist spät dran, allerdings gibt es im Budget-Segment bislang wenig Konkurrenz. Amerikanische oder japanische Hersteller stehen vor ähnlichen Herausforderungen, günstige E-Autos zu bauen. Der in China gefertigte Dacia Spring Electric ist ab 15'000 Franken ein Schnäppchen, erreicht jedoch nur einen von fünf Sternen beim Euro-NCAP-Sicherheitstest. Den chinesischen Leapmotor T03, der in Polen gebaut wird, gibt es ab 17'000 Franken.
Renaults neuer, elektrischer Twingo kommt voraussichtlich 2026 für rund 20'000 Franken. Die Franzosen lassen ihre günstigen Elektroautos in China entwickeln und in Frankreich zusammenbauen. Citroën plant noch in diesem Jahr, eine neue Basisversion des ë-C3 für 20'000 Franken auf den Markt zu bringen, allerdings mit nur rund 200 km Reichweite und spartanischer Ausstattung. Tesla und diverse andere nicht-chinesische Hersteller haben nichts in diesem Preissegment vorzuweisen.
Das Problem: Bisherige Budget-Stromer sind meist Ladenhüter, weil die Abstriche zu gross sind. Auch Kleinstwagen verkaufen sich nicht allein über den Preis, das Gesamtpaket aus Preis, Technik und Design muss stimmen. Renault als löbliche Ausnahme macht dies mit dem erfolgreichen R5 vor. Dieses Kunststück könnte auch VW mit dem ID.1 gelingen, zumal der Mini-VW deutlich günstiger als der Renault 5 wird.
Die deutsche Antwort auf günstige E-Autos von Renault, Stellantis und den Chinesen kommt sicher nicht zu früh, aber vielleicht auch nicht zu spät. Volkswagen ist seit Jahren dafür bekannt, langsam, aber mit Wucht auf Entwicklungen aufzuspringen. Günstige, aber gleichzeitig typische VW-Modelle wie der ID.1 und ID.2 hätten daher viel Potenzial, glauben Branchenexperten. Als VW den ID.3 Ende 2020 überhastet mit unfertiger Software auslieferte, war der Imageschaden enorm. Dieses Debakel soll sich nicht wiederholen, auch wenn dies bedeutet, dass man nicht der Erste ist.
Abschliessend bleibt zu sagen: Der ID.1 ist für VW wichtig, aber nicht das entscheidende Zukunftsmodell. Das Kleinstwagen-Segment werden wohl andere Marken dominieren. In Europa sind für VW Mittelklasse-Modelle wie der kommende E-Golf weit wichtiger. In China wiederum werden die gemeinsam mit dem Elektro-Start-up Xpeng entwickelten E-Autos der nächsten Generation über das Schicksal der Deutschen im grössten Automarkt entscheiden.