Monatelang hat Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un die Welt mit Atom- und Raketentests provoziert. Seine kriegerische Rhetorik sorgte bei den möglichen Teilnehmern und Besuchern der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang für ein mulmiges Gefühl. Bis zur nordkoreanischen Grenze sind es nur 80 Kilometer. Können unter diesen Vorzeichen sichere Spiele stattfinden?
Die Aussichten haben sich in den letzten Tagen deutlich verbessert. In seiner Neujahrsansprache kündigte Kim Jong Un, der am Montag seinen vermutlich 34. Geburtstag feiern konnte, überraschend an, eine Delegation an die Winterspiele im Nachbarland entsenden zu wollen. Worauf Südkorea Gespräche im Grenzort Panmunjom anbot.
Das erste Treffen findet am Dienstag um 10 Uhr Ortszeit (2 Uhr MEZ) statt, genau einen Monat vor Beginn der Spiele in Pyeongchang. Es ist die erste offizielle Begegnung zwischen hochrangigen Vertretern beider Länder seit Dezember 2015. Bereits am letzten Mittwoch beantwortete Nordkorea erstmals wieder die täglichen Kontaktversuche des Südens in Panmunjom per Telefon.
Die nordkoreanische Delegation wird vom erfahrenen Unterhändler Ri Son Gwon geleitet, dem Vorsitzenden des Komitees für die Friedliche Wiedervereinigung des Vaterlandes. Ein Vertreter des Nationalen Olympischen Komitees soll ebenfalls teilnehmen. Vereinigungsminister Cho Myoung Gyon wird für Südkorea verhandeln.
Südkoreas Präsident Moon Jae In soll laut Medienberichten mehrere Optionen für eine Olympiateilnahme des nördlichen Nachbarn vorbereitet haben. Dazu gehören eine gemeinsame Olympiadelegation und die Ernennung von Nordkorea zum Mitgastgeber. Ein nordkoreanischer Vertreter sagte in Peking, dass zwei Eiskunstläufer an den Spielen teilnehmen könnten.
Um die Olympiateilnahme dürfte es nur vordergründig gehen. Kim Jong Un hat sein Land mit den Atom- und Raketentests noch mehr in die Isolation geführt. Die UNO hat ihre Sanktionen gegen Nordkorea verschärft, unter gütiger Mithilfe von China. Peking hat kein Interesse an einem Kollaps des Regimes in Pjöngjang, ärgert sich jedoch masslos über Kims Provokationen.
Am Freitag kündigte China an, die Ausfuhr von Öl und Treibstoffen nach Nordkorea aufgrund der jüngsten Sanktionen zu drosseln. Zuvor hatte US-Präsident Donald Trump den Chinesen vorgeworfen, sie würden die Umgehung dieser Strafmassnahmen tolerieren. Ein Ölembargo wäre ein harter Schlag für Nordkorea, weshalb Kim an einer Entspannung interessiert sein dürfte.
Der linksliberale Moon Jae In wurde letztes Jahr zum Präsidenten gewählt, nachdem seine korrupte Vorgängerin abgesetzt worden war. Er hat sich stets für einen Dialog mit dem Norden ausgesprochen. Konservative Kreise äussern sich skeptisch zum Treffen in Panmunjom: Sie warnen, dass Nordkorea versuchen wird, einen Keil zwischen Südkorea und die USA zu treiben.
Nordkorea dürfte auch auf eine Lockerung der UNO-Sanktionen hoffen. Sie gelten als «rote Linie», die der Süden nicht überschreiten darf, weshalb die Gespräche zu einer Gratwanderung werden. Mögliche Anreize wie die Wiedereröffnung des gemeinsamen Industrieparks in der Stadt Kaesong oder eine Ankurbelung des Tourismus in Nordkorea liegen kaum drin.
Südkorea plane stattdessen die Aufnahme eines Dialogs mit dem nordkoreanischen Militär, berichtet die Agentur Bloomberg. Auch die Vereinigung von Familien, die seit dem Koreakrieg getrennt sind, soll thematisiert werden. Präsident Moon betonte am Freitag, er werde gegenüber Nordkorea «nicht zu weich» auftreten, nur um eine Möglichkeit zum Dialog zu erhalten.
Während Kim Jong Un seine Atom- und Raketentests voran trieb, goss US-Präsident Donald Trump kräftig Öl ins Feuer. Er bezeichnete Kim als «kleinen Raketenmann» und betonte nach dessen Neujahrsansprache, er habe «den grösseren Atomknopf». Am Wochenende erfolgte die Kehrtwende: Er befürworte die innerkoreanischen Gespräche zu «100 Prozent», sagte Trump.
Der Präsident erklärte sich sogar zu direkten Kontakten mit Kim Jong Un bereit. «Absolut, ich würde das machen», sagte er vor Journalisten im Wochenendsitz Camp David. Zugleich bekräftigte Trump seine Überzeugung, dass es ohne seine harte Haltung gegenüber Pjöngjang keine Gespräche zwischen den beiden Koreas geben würde.
Auf Ersuchen seines südkoreanischen Amtskollegen erklärte sich Trump zu einer «Geste des guten Willens» bereit. Die alljährlichen gemeinsamen Militärmanöver sollen erst nach Abschluss der Paralympischen Spiele am 18. März stattfinden. Nordkorea sind diese Übungen ein Dorn im Auge.
Für Kim Jong Un sind Atomwaffen und Interkontinentalraketen eine Art Lebensversicherung. Der Irak und Libyen sind für ihn abschreckende Beispiele, was mit Diktatoren passiert, wenn sie ihre Massenvernichtungswaffen zerstören. Sein Hauptziel, den direkten Dialog mit den USA, erreichte er mit den letztjährigen Tests nicht. Beobachter sehen darin einen weiteren Grund für seine Annäherung an Südkorea. Er hoffe, auf diesem Weg mit den USA ins Gespräch zu kommen.
Über das Ausmass der Bedrohung durch Nordkorea sind sich die Experten nicht einig. CIA-Direktor Mike Pompeo sagte dem Fernsehsender CBS am Sonntag, es sei «eine Frage von Monaten», bis Nordkorea eine atomare Bedrohung für die USA darstelle. Allerdings gibt es Zweifel an der Verlässlichkeit von Pjöngjangs Waffenarsenals.
So soll eine Rakete letztes Jahr nach einem missglückten Test nicht wie offiziell behauptet ins Meer gestürzt sein. Sie habe stattdessen einen Industriepark in der Stadt Tokchon getroffen, berichtete ein japanisches Magazin mit Berufung auf Geheimdienstinformationen. Nur mit viel Glück habe eine Katastrophe verhindert werden können.