Obwohl sich die Zahl seit 2002 eingependelt hat, ist sie erschreckend. Über 10'000 Schwangerschaften werden jährlich in der Schweiz abgebrochen. Vergleicht man die Abbrüche mit der Zahl der Geburten, lässt sich ermitteln, welcher Anteil der Kinder abgetrieben wird.
So enden in der Schweiz rund zehn Prozent der Schwangerschaften in einem Abbruch. Anders: Jedes zehnte Kind wird abgetrieben. Auch dies eine erschreckende Zahl.
Seit fünf Jahren geht die Zahl der Eingriffe leicht zurück. Letztes Jahr haben 10'255 Frauen abgetrieben. Stärker ist der Rückgang bei jungen Frauen. Die Rate bei den 15- bis 19-Jährigen sinkt seit 2005 deutlich. Haben im Jahr 2007 1147 Teenager eine Schwangerschaft abgebrochen, was einer Rate von 5,5 pro 1000 Jugendliche entspricht, waren es 2015 nur noch 727 Abtreibungen. Die Rate liegt neu bei 3,4 Abbrüchen pro 1000 Jugendlichen. Das ist eine positive Entwicklung.
Auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist die Rate hierzulande sehr tief. Insbesondere eben bei den Jugendlichen. Die Zahlen zeigen also eindeutig, dass die vielen Fälle wie in den Fernseh-Formaten «Teen Mom» oder «Tennie-Mütter» dargestellt, nicht in dieser Form auf die Schweiz zutreffen.
Woran liegt das? Haben die Jungen heute weniger Sex? Nein, daran liegt es nicht. «Mädchen und Jungen in der Schweiz haben im Schnitt mit 17 Jahren das erste Mal Sex, das hat sich über die Jahre nicht verändert», sagt Christine Sieber von Sexuelle Gesundheit Schweiz.
Der abnehmende Trend bei den Abbrüchen hängt auch mit der Geburtenrate bei den Teenies zusammen. Die ist seit Jahren ebenfalls rückläufig. 2004 brachten noch 781 Teenager-Mütter Babys auf die Welt, letztes Jahr waren es 440. Wenn es trotzdem nicht mehr Abtreibungen gibt, sondern sogar immer weniger, bedeutet das: Junge Schweizerinnern werden auch seltener schwanger.
Und da dies nicht an der Enthaltsamkeit der Schweizer liegen kann, sind sich Experten einig, dass die immer bessere Prävention fruchtet. «Es hängt unter anderem mit den Bestrebungen von Vereinen wie Sexuelle Gesundheit Schweiz zusammen, dass es zu weniger unerwünschten Schwangerschaften kommt», sagt Sibil Tschudin, Gynäkologin und leitende Ärztin in der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel. Christine Sieber ist sich sicher, dass es mit der besseren Aufklärung zusammen hängt: «Junge Leute haben durch die Schule, den Sexualkundeunterricht und die Eltern immer mehr verlässliche Informationen».
Zudem ist das Internet in den letzten Jahren zu einer immer wichtigeren Informationsquelle für Jugendliche geworden. Auch für Rat und Tipps zum Thema Sex und Verhütung.
Unlängst teilte Pro Juventute mit, dass immer weniger Jugendliche Anfragen hätten rund um das Thema Sexualität (2011: 22,4%, 2015: 15,2%). «Denn bei einer Frage suchen wir heute alle im ersten Schritt im Netz nach Antworten. Und da alles rund um Liebe und Sexualität die meisten Teenager beschäftigt, findet sich dazu viel Information im Netz», erklärt Thomas Brunner, Leiter Beratung bei Pro Juventute.
HRA Pharma, der Hersteller, der in der Schweiz zwei «Pillen danach» anbietet, kann auf Nachfrage keine Absatzzahlen liefern, die weiter als 2011 zurückgehen. Dennoch könnte auch das «In letzter Minute»-Verhütungsmittel dazu geführt haben, dass weniger Teenager schwanger wurden und in vielen Fällen (gemäss BFS treiben rund zwei Drittel der 15- bis 19-Jährigen ab!) dann auch abtreiben.
Schliesslich wurden die Zugangsbarrieren – keine Rezeptpflicht mehr – immer mehr gelockert. Sieber von Sexuelle Gesundheit Schweiz kann der «Pille danach» einen positiven Effekt abgewinnen. Auf diese Weise kämen junge Frauen mit dem Thema Verhütung in Berührung und würden von den Fachleuten aufgeklärt, so dass es hoffentlich nicht noch einmal passiere.
Anzahl und Rate variieren in den Kantonen stark. Während in der Zentralschweiz die tiefsten Raten registriert werden, treiben in Genf und im Kanton Waadt am meisten Frauen ab. Die Statistik zeigt: In der Westschweiz wird viel häufiger abgetrieben als in der Deutschschweiz.
Das liegt an der Bevölkerungszusammensetzung, denn in der Westschweiz leben mehr Migrantinnen. «Die Abbruchrate ist bei den ausländischen Frauen aller Alterskategorien zwei- bis dreimal so hoch wie bei den Schweizerinnen», schreibt das BFS in einem Bericht.
Gemäss der Fachfrau Sieber haben Migrantinnen weniger Zugang zu Beratung. Hinzu kämen die fehlenden finanziellen und sozialen Ressourcen. Schlechte Lebensbedingungen, wie etwa eine höhere Arbeitslosigkeit und mangelnde Perspektive führen dazu, dass die Abbruchrate bei ausländischen Frauen höher sei.