Es war die kürzeste «Arena»-Sendung aller Zeiten. Keiner der 19 Wirtschaftsführer, die 1995 am Weissbuch «Mut zum Aufbruch» mitgeschrieben hatten, wollte die Privatisierungsthesen vertreten. SP-Präsident Peter Bodenmann verliess die «Arena» nach 7:21 Minuten.
Ein Abgang mit Nachhall. 22 Jahre später führt ein anderes Wirtschaftspapier zu einer «Arena»: jenes der SP zur «Wirtschaftsdemokratie». Darin fordert die Geschäftsleitung etwa Mitbestimmungsrechte von Mitarbeitern auf Unternehmensebene. Thema der «Arena»: «Kapitalismus oder Klassenkampf?»
Das SP-Papier ist für den Parteitag vom 3. Dezember bestimmt. Nicht nur die SP beugt sich aber über Wirtschaftsfragen. Auch die SVP arbeitet am grössten Wirtschaftspapier seit 2002. Und die FDP legt ihren Delegierten am Samstag ein Papier zu den «Chancen der Digitalisierung» vor. Parallel erstellt sie ein Gewerbepapier. Das bestätigt Generalsekretär Samuel Lanz.
Es ist CVP-Präsident Gerhard Pfister, der diesen Prozess im bürgerlichen Lager angeschoben hat. Er hatte schon vor seinem Amtsantritt klargemacht, dass er die Partei verstärkt zur Wirtschaftspartei machen will. Damit setzte er die direkte Konkurrenz unter Druck. Die Wirtschaft werde zu einem wichtigen Bestandteil des neuen Strategiepapiers, sagt CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter.
Doch weshalb vertiefen sich alle vier Bundesratsparteien ausgerechnet jetzt so intensiv ins Thema Wirtschaft? «Seit den 1990er-Jahren war das Primat der Wirtschaft nie so gross wie heute», sagt Samuel Lanz.
Es ist das Umfeld, das die Parteien zur Reflexion zwingt. Dieses Umfeld hat sich, im Nachgang zur Wirtschaftskrise von 2008, zunehmend auf grundlegende Wirtschaftsfragen zugespitzt: Masseneinwanderungs-Initiative, Bilaterale, Folgen der Trump-Wahl, Unternehmenssteuerreform III, starker Franken, vierte industrielle Revolution. Für die Parteien wird wirtschaftspolitisches Know-how in solchen Umbruchzeiten unabdingbar.
Das kommt jener Partei entgegen, der die Bevölkerung die höchste Wirtschaftskompetenz zugesteht. Gemäss der Selects-Studie «Eidgenössische Wahlen 2015» bezeichneten 50 Prozent der Wähler die FDP in der Wirtschaftspolitik als am kompetentesten. «Noch vor fünf Jahren war es für die FDP eine teuflische Sache, als Wirtschaftspartei zu gelten», sagt Fraktionschef Ignazio Cassis. «Wir mussten uns überall rechtfertigen. Das hat sich total geändert.» Heute gelte Wirtschaft wieder «als Synonym für Arbeitsplätze und Wohlstand».
Sie werde als Ganzes gesehen, mit KMU und grossen Unternehmen. Auch in der Wirtschaft selber habe ein Umdenken stattgefunden – «näher zum Gemeinsamen», analysiert Cassis: «Der Wechsel in den Chefetagen von Pharma, Banken und Versicherungen gehört dazu.» UBS-CEO Sergio Ermotti etwa sei jeweils an den Fussballspielen des Zweitliga-Klubs FC Collina d’Oro zu sehen. Cassis: «Bei seinem Vorgänger wäre das undenkbar gewesen.»
Wirtschaftspolitisch öffnen sich zwei Gräben immer stärker: EU-Befürworter und EU-Gegner und vor allem Kapital gegen Arbeit. Im ersten Fall steht die SVP isoliert da, im zweiten die SP. Das Papier der SP zeige die Bruchlinien auf, sagt SP-Nationalrat Cédric Wermuth: «In wirtschaftspolitischen Fragen gibt es das sozialdemokratische Lager und das Lager der bürgerlichen Parteien.» Die SP soll diese Bruchlinie betonen, findet er. «Wir sind die wirtschaftspolitische Alternative.»
Der Schritt von der «Weissbuch-Arena» von 1995 zur «Wirtschafts-Demokratie-Arena» von 2016 steht für die SP in einer eindeutigen Logik. «Alles begann 1997 mit der Zerschlagung der PTT. Ein Sündenfall erster Güte», sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Seit der Unternehmenssteuerreform I von 1998 sei steuerpolitisch nur eines geschehen: «Kapital wurde entlastet, Arbeit und Konsum belastet. Damit wird der Mittelstand beraubt.»
Das Fazit steht für Badran ausser Frage. «Der Klassenkampf von oben tobt. Wir müssen ihn aufnehmen. Wir können nicht nur die Kollateralschäden der entfesselten Globalisierung mildern, wie das die internen Kritiker des Papiers fordern.»