Sport
Fussball

Der «Anti-Constantin», der nichts von Fussball versteht und ihn deshalb revolutioniert

Präsident Claude Michy mit Trainerin Corinne Diacre an einer Medienkonferenz.
Präsident Claude Michy mit Trainerin Corinne Diacre an einer Medienkonferenz.
bild: twitter/infomagazine

Der «Anti-Constantin», der nichts von Fussball versteht und ihn deshalb revolutioniert

Claude Michy (67) ist Frankreichs unkonventionellster und erfolgreichster Fussballunternehmer. Er beschäftigt die einzige weibliche Trainerin im französischen Profifussball und ist so ziemlich das Gegenstück zu unserem Christian Constantin.
24.03.2016, 20:0525.03.2016, 07:15
Folge mir
Mehr «Sport»

Claude Michy ist kein Mann des Fussballs, ja er zelebriert in diesem Geschäft mit viel Selbstironie den Status des Aussenseiters. Der freundliche, vitale ältere Herr ist ein französischer «Motorsport-General» und ein überaus geschickter Vermarkter und Organisator. Er besitzt seit mehr als 20 Jahren die Rechte am Töff-GP von Frankreich und hat den einst notorisch defizitären Anlass längst zu einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Motorsportveranstaltungen Europas mit einem Budget von rund sieben Millionen Euro gemacht. Er hat unter anderem erfolgreich Boxkämpfe organisiert. Und er fuhr erfolgreich Autorennen bis hinauf zur Formel 2.

«Wenn ich einmal für Männer, die einem Ball hinterherrennen, Geld drauflegen muss, dann habe ich etwas falsch gemacht.»
Claude Michy

2005 hat Claude Michy 85 Prozent der Aktien des französischen Zweitligisten Clermont Foot übernommen. Inzwischen ist der Klub einer der erfolgreichsten der zweiten Liga – und als einziger seit Jahren rentabel. Ja, der überaus medienscheue Gentleman, der kaum Interviews gibt («es sei denn, ich habe etwas Wichtiges für den Klub mitzuteilen») sagt: «Wenn ich einmal für Männer, die einem Ball hinterherrennen, Geld drauflegen muss, dann habe ich etwas falsch gemacht.»

Die Frau an der Seitenlinie

Als Grund für den Erfolg sieht er seine Fussball-Ahnungslosigkeit und seine Unabhängigkeit: «Es ist ein Vorteil, dass ich nicht aus dem Fussballmilieu komme und nicht auf den Fussball angewiesen bin.»

Das ist wohl auch der Grund, warum er entgegen allen Gewohnheiten und Ratschlägen eine weibliche Cheftrainerin beschäftigt. Im Mai 2014 sorgte er mit der Verpflichtung der ehemaligen portugiesischen Spielerin Helena Margarida dos Santos Costa als Trainerin für ein Novum. Sie wäre die erste Frau in der Geschichte des französischen und nach Carolina Morace (Viterbese Calcio, Italien Serie C1) die zweite im europäischen Profifussball gewesen.

Nach nur wenigen Stunden trat Costa jedoch wieder von ihrem Trainerposten zurück. Was Claude Michy keineswegs irritierte. Ganz im Gegenteil: Er hat an ihrer Stelle die französischen Ex-Nationalspielerin Corinne Diacre (121 Länderspiele) engagiert und ihren Vertrag soeben um zwei Jahre bis 2018 verlängert. Letzte Saison wurde sie als «bester Trainer» der zweiten französischen Liga (Ligue 2) ausgezeichnet. Sie ist die einzige weibliche Führungskraft. Ihre Assistenten sind männlich.

Claude Michy mit Helena Costa ...
Claude Michy mit Helena Costa ...
Bild: EMMANUEL FOUDROT/REUTERS
... und ihrer Nachfolgerin Corinne Diacre.
... und ihrer Nachfolgerin Corinne Diacre.
Bild: Vincent Michel/freshfocus

Die reiche Familie im Rücken

Ihr Erfolg ist erstaunlich. Clermont Foot, 1911 gegründet aber noch nie in der höchsten Liga, hat immer noch Chancen auf den Aufstieg. Und der Erfolg ist nicht eine Frage des Geldes. Claude Michy sagt: «Wir arbeiten mit einem Budget von rund sieben Millionen Euro.» In einer Liga mit Klubs, die bis zu 30 Millionen Euro ausgeben. Er spart auch Geld beim Büropersonal. «Wir haben mit weniger als zehn Vollzeitstellen die kleinste Administration im gesamten französischen Profi-Fussball. Zwei Stellen habe ich übrigens mit Buchhaltern besetzt. Die Zahlen müssen stimmen.» Er legt Wert auf Kostenkontrolle. Und wenn er aufsteigen sollte? «Dann steigen wir eben auf …»

Einen Sportchef beschäftige Claude Michy inzwischen nicht mehr. Transfers bespreche er mit seiner Trainerin, die Verhandlungen führe er selber. «Ich muss ja auch die Verträge unterschreiben.» Für die Spieleragenten dürfte er eine harte Nuss sein. Der Durchschnittslohn liege bei weniger als 10'000 Euro im Monat und gute Spieler muss er auch nie aus laufenden Verträgen heraus verkaufen. «Man wollte kürzlich einen unserer Stars. Ich hörte zu und sagte nein. Dann richtete man mir aus, es komme eine Offerte, die meine Meinung ändern werde. Ich sagte: nicht nötig, ich brauche kein Geld.» Seine Gelassenheit in finanziellen Dingen hängt damit zusammen, dass er in eine reiche Familie eingeheiratet hat und dieses Geld als kluger Geschäftsmann mehrt.

Corinne Diacre zeigt ihren Männern wo's langgeht.
Corinne Diacre zeigt ihren Männern wo's langgeht.
Bild: Vincent Michel/freshfocus

Die Anekdoten über Claude Mischy sind inzwischen zahlreich. Eine geht so: Ein Inspekteur des Verbandes empört sich im Kabinengang über irgendwelche Kleinigkeiten, sagt barsch zu einem Mann in T-Shirt und Shorts, der gerade seinen Weg kreuzt und den er für eine Hilfskraft hält, er wolle sofort den Präsidenten sprechen. Der Mann sagt ihm, er könne den Präsidenten in einer halben Stunde dort und dort im Büro treffen. Der Inspekteur, vorher so arrogant, verbeugt sich dann tief, als er den gleichen Mann, den er vorher so von oben herab im Büro als den Präsidenten erkennt.

«Wir führen die Fairplay-Rangliste der Liga an»

Eine andere: Claude Michy sitzt neben dem Präsidenten des gegnerischen Teams auf der Tribüne. Es fällt ein Tor gegen Clermont Foot, Claude Mischy applaudiert begeistert. Der andere Präsident sagt zu ihm: «Aber Claude, wir haben ein Tor geschossen, nicht deine Mannschaft …» Die Antwort: «Ja und? Es war doch ein wunderbares Tor.»

In Clermont-Ferrand (rund 140'000 Einwohner) ist der Fussballclub nicht einmal die Nummer eins in der Stadt. Alles wird vom Rugby-Team dominiert, das zu den besten im Lande zählt und im Schnitt mehr als viermal so viel Fans anlockt wie Clermont Foot (Zuschauerschnitt rund 4000). Der ortsansässige Weltkonzern Michelin alimentiert nur Rugby, nicht aber Fussball. Was das Fussballgeschäft erleichtert: Auch die zweite französische Liga hat eine gute TV-Präsenz, fast die Hälfte des Budgets wird mit den Fernseh-Einnahmen bestritten.

Claude Michy legt, wie seine Trainerin, grossen Wert auf Disziplin und anständiges Benehmen: «Wir führen die Fairplay-Rangliste der Liga an.» Anstand gegenüber Schiedsrichtern sei ihm wichtig und es hat ihn gefreut, dass ihm kürzlich ein Schiedsrichter beim Abschied sagte, seine Spieler seien die anständigsten der Liga. Kommentare zu Schiedsrichterleistungen in den Medien gibt es von ihm nie. Da dürfte er wahrlich der fussballerische Gegenentwurf zu Christian Constantin sein.

Die treusten Fussballer: Über 27 und immer für den gleichen Verein gespielt

1 / 30
Die treusten Fussballer: Über 27 und immer für den gleichen Verein gespielt
Lionel Messi: FC Barcelona, 28 Jahre alt.
quelle: ap/ap / francisco seco
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Das ist der moderne Fussball

Alle Storys anzeigen

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
7 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Amboss
24.03.2016 20:58registriert April 2014
Interessanter Artikel. Und schön, dass der Fussball nicht einfach aus Kohle, Scheichs und Champions League besteht.

Aber inwiefern der Mann "den Fussball revolutioniert" verstehe ich nicht.
Es ist doch einfach ein Zweitliga-Verein, der etwas anders tickt, was erfreulich ist. Mehr aber nicht
752
Melden
Zum Kommentar
avatar
kledi
24.03.2016 20:34registriert März 2016
Interessant, solche Leute sind meiner Meinung nach immer gut für den Sport.
620
Melden
Zum Kommentar
7
Federer vs. Nadal – das allererste Duell wird für den «Maestro» eines zum Vergessen
28. März 2004: In Key Biscayne stehen sich Roger Federer und Rafael Nadal zum ersten Mal auf der ATP-Tour gegenüber. Der Schweizer verliert überraschend – und wird sich am seinem spanischen Dauerrivalen noch mehrmals die Zähne ausbeissen.

Die Sonne war längst untergegangen über dem Centre Court der Tennis-Anlage von Key Biscayne, dieser langgezogenen Insel vor Miami im Süden Floridas. Ein paar hundert Fans harrten aus, warteten auf den letzten Match dieses Sonntags. Das heisst: Die meisten von ihnen warteten auf den Auftritt von Roger Federer, seit knapp zwei Monaten die Weltnummer 1. Nur ein paar absolute Tennis-Nerds warteten auch auf Rafael Nadal. Erst die Nummer 34 im Ranking war der Spanier aber ein grosses Versprechen. Laufstark soll er sein, mit harter linker Vorhand.

Zur Story