Zweimal hat der französische Titelhalter Paris Saint-Germain 2017 in 26 Pflichtspielen verloren, 1:6 in Barcelona und 1:3 in Nizza. Entzaubert und gebrochen. «Der König ist nackt», kommentierte «L'Equipe». Blossgestellt wurde der PSG von Taktiker Favre, der nach Mönchengladbach mit dem OGC Nice einen nächsten Low-Budget-Verein ins europäische Rampenlicht führt. Namhafte Trainer und frühere Weltmeister sind sich einig: «Wunderbar.»
Lucien Favre, ganz Fussball-Frankreich überhäuft Ihren Klub mit Komplimenten.
Lucien Favre: Die erste Halbzeit gegen PSG war sehr gut – etwas vom Besten, das die Mannschaft während der gesamten Saison zeigte. Wir touchierten das Limit, besser geht es eigentlich gar nicht mehr. Es war wichtig, dass wir uns gegen die starken Pariser taktisch hervorragend verhalten haben.
Sie haben eine Welt-Auswahl besiegt, welche die Ligue 1 vier Jahre lang dominiert hat.
Für mich sind sie vom Potenzial her eine Nuance vor Monaco einzuordnen. Aber Monaco spielt einen unglaublich zielorientierten, effizienten Fussball.
Ging in Nizza eine Pariser Ära zu Ende?
Es war eine schwere Niederlage, sie haben den Titel wahrscheinlich verloren. Die Tordifferenz ist schlechter, Monaco hat noch eine Partie mehr. Es wird schwer, diesen Rückstand noch zu korrigieren.
Wie haben Sie die Ambiance wahrgenommen?
Oft kommen etwas mehr als 20'000, am Sonntagabend trieben uns im ausverkauften Stadion über 33'000 Anhänger an. Das Publikum sorgte für einen wunderbaren Rahmen. Gastspiele von Paris sind ohnehin immer etwas Aussergewöhnliches – dazu kam die Euphorie, die wir mit unseren Leistungen entfacht haben.
Nice spielt die beste Saison seit 41 Jahren. Sind Sie stolz auf Ihr Werk?
Stolz ist das falsche Wort. Es ist mehr die Zufriedenheit, die überwiegt. Wir machen Woche für Woche einen exzellenten Job. Für mich ist immer das Wichtigste, wie wir spielen, die Art und Weise, die Haltung auf dem Platz. Das interessiert mich am meisten. Die technischen Details, das pure Spiel, das Zusammenspiel der Verteidiger mit dem Torhüter oder der Mittelfeldreihe, das Pressing, das Gegenpressing, die Rückwärtsbewegung. Um diese Aspekte kümmere ich mich, das analysiere ich, darauf konzentriere ich mich.
Sie haben nur einmal in Ihrer Trainerlaufbahn mehr Punkte gewonnen – 2006 beim Titelgewinn mit dem FCZ waren es 78. Und trotzdem sind Sie hinter Monaco und Paris klassiert – verrückt?
Das ist in der Tat nicht alltäglich, zumal wir in den vier Duellen mit Monaco und Paris nur einmal verloren haben. Aber warten wir ab, was noch alles passiert. Wobei: Paris hat ein leichteres Schlussprogramm als wir.
Zwei der besten Torschützen sind seit Wochen verletzt, Alassane Pléa und Wylan Cyprien erlitten schwere Knieverletzungen.
Wir haben Mario Balotelli und Mickaël Le Bihan, der nach 17-monatiger Pause zurückgekehrt ist. Im Sturm können wir den Ausfall kompensieren, Cyprien hingegen fehlt im Mittelfeld. Aber andere Teams haben auch Probleme mit Verletzungen. Das zu lösen, gehört dazu.
Sie haben Balotelli erwähnt, er hat problematische Jahre hinter sich, er galt als «untrainierbar». Nun spielt er statistisch seine beste Profi-Saison. Sind Sie von seiner Performance überrascht?
Seine Effizienz ist aussergewöhnlich. Mario macht immer wieder Fortschritte. Er bewegt sich mittlerweile klar besser, auch wenn er ein Pressing nicht 90 Minuten lang mitmachen kann. Technisch beherrscht er alles, er schiesst mit rechts und links wichtige Tore. Das 1:0 gegen Paris mit dem linken Fuss war super.
In England und früher in Italien war seine Mimik oft starr, in Nizza sieht man ihn herzhaft lachen, in der Kabine lässt er sich beim Tanzen filmen. Bestätigen Sie diesen Eindruck?
Er ist richtig glücklich. Mario spürt, dass ihn die Leute hier mögen, dass sie ihn akzeptieren. Und er begreift meine Kritik. Er versteht, wenn ihm jemand sagt: So nicht, Mario!
Was ist für Sie neben dem Comeback von Balotelli ein weiterer wichtiger Pluspunkt in dieser Saison?
Die ausgezeichnete Stimmung innerhalb des Teams. Klar, die Ergebnisse vereinfachen vieles. Aber die Chemie stimmt, in meiner Mannschaft steckt viel Persönlichkeit. Die Menschen arbeiten gerne miteinander, das spürt und sieht man deutlich.
Wo endet der Höhenflug? Es fehlen nur drei Punkte zur direkten Qualifikation für die Champions League.
Es gibt noch neun Punkte zu gewinnen. Wir sollten nicht zu viel rechnen und spekulieren, sondern konzentriert weitermachen. Unser Programm ist allerdings nicht simpel – Marseille und Lyon, beide haben Klasse, beide kämpfen um einen Platz in der Europa League. Marseille hat im Winter 50 Millionen investiert, uns stehen pro Saison 42 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist die Realität.
Frankreich liegt in der UEFA-Klub-Wertung in der aktuellen Saison auf Position 3, Monaco und Lyon haben die Europacup-Halbfinals erreicht. Wie werten Sie den internationalen Output?
Die Ligue 1 ist in Europa näher an der vierten als an der fünften Position einzustufen. Lyon hat in der Europa League die AS Roma eliminiert, die Nummer 2 Italiens. PSG hätte Barcelona eigentlich schlagen müssen in den Champions-League-Achtelfinals, und Monaco ist immer noch da. Die Erfolge gegen Manchester City und Dortmund waren beachtlich.
Wo orten Sie die Gründe?
Es gibt in Frankreich mehr Talente als anderswo, die man richtig fördern muss. Die Technik bei gleichzeitiger Bewegung ist wichtig. Ich denke an Kylian Mbappé (Monaco), ein unglaublicher Spieler.
Was kann Monaco gegen Juventus ausrichten?
Juve kann pressen, Tore schiessen und wahnsinnig gut verteidigen. Es wird schwierig für Monaco. (pre/sda)