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Macht Religion glücklich? Vermutlich eher nicht

epa11013305 Pope Francis during his weekly general audience in Paul VI Hall, Vatican City, 06 December 2023. EPA/FABIO FRUSTACI
Mindestens der Papst scheint die Gläubigen glücklich zu machen.Bild: keystone
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Es ist ein Mythos, dass der Glaube glücklich macht

Eine neue Untersuchung zeigt, dass der Glaube kein Garant für Glück und Zufriedenheit ist. Ein gutes Einkommen hat einen viel grösseren Effekt.
01.02.2025, 08:0401.02.2025, 08:04

In Glaubensfragen gibt es keine Wahrheit. Beim Glauben bewegen wir uns auf dem Feld der Annahmen. Sogar bei der Gretchenfrage nach Gott tappen wir im Dunkeln. Milliarden Menschen glauben an die Existenz eines irgendwie gearteten Gottes. Doch es bleibt ein Glaube. Gewissheit gibt es nur bei einem Phänomen: Wir alle müssen sterben. Ob mit Gott oder ohne.

Doch eine Gewissheit scheinen Gläubige zu haben: Mit Gott lebt es sich leichter. Und mit ihm stirbt es sich ruhiger. So jedenfalls wird es uns Menschen seit je eingetrichtert. Und (fast) alle glauben es, Gläubige wie Skeptiker.

Was bewirkt der Glaube an Gott?

Die PR-Maschine der Religionen und Glaubensgemeinschaften hat ganze Arbeit geleistet. Frei nach dem Motto: Selbst wenn es keine religiöse Gewissheiten geben sollte, so macht der Glaube an Gott die Menschen glücklicher und hoffnungsvoller. Die Botschaft dahinter: Der Glaube lohnt sich in jedem Fall.

Doch stimmt diese Gleichung wirklich? Oder sind wir Opfer einer jahrhundertelangen erfolgreichen Image-Kampagne geworden? Oder ist der Glaube, dass Religion glücklich macht, eine Beruhigungspille mit erheblichen Nebenwirkungen?

Die Glaubenshüter und Apologeten zitieren bei ihren Missionsfeldzügen gerne Studien, die den mentalen Nutzen des Glaubens belegen sollen. Doch nun zeigen neue Untersuchungen, dass diese Aussagen mit Vorsicht zu geniessen sind.

Ein Pastor zur Frage, weshalb Gott glücklich macht.Video: YouTube/Jesus Gemeinde

Der Psychologe Gabriele Prati von der Universität Bologna präsentierte kürzlich im Fachjournal «Psychology of Religion and Spirituality» eine Studie, in der er nachweist, dass der direkte Effekt von Religiosität für das Wohlbefinden keine praktische Relevanz hat, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt.

Der Wissenschaftler wertete unzählige internationale Studien aus und analysierte die Datensätze von fast 650’000 Probanden aus 115 Ländern, die zwischen 1981 und 2021 in regelmässigen Abständen befragt wurden.

Die Auswertung ergab zwar, dass sich ein positiver Effekt von Religiosität auf die generelle Lebenszufriedenheit und das Glücksempfinden nachweisen lässt. Doch dieser Effekt sei winzig und vermutlich von lebenspraktischer Irrelevanz.

Im Vergleich dazu sei der Einfluss von Einkommen auf die Lebenszufriedenheit sowie auf das Glücksempfinden um 150 beziehungsweise 130 Prozent grösser als der entsprechende Effekt von Religiosität.

Es stellt sich deshalb die Frage, weshalb immer mehr Menschen den Kirchen den Rücken kehren, wenn doch der Glaube Zufriedenheit und Glücklichsein stärken würden, wie Glaubensgemeinschaften und Geistliche unermüdlich predigen? Sind skeptische Personen so blöd, dass sie Perlen vor die Säue werfen, statt sie aufzuheben und zu sammeln?

Sind Gläubige ängstlicher?

Ich behaupte, dass Gläubige im Schnitt ängstlicher sind als Skeptiker und deshalb Halt bei Gott suchen. Viele Mitglieder von Religionsgemeinschaften suchen im Glauben nicht primär das Glück, sondern sondern benutzen sie als Rückversicherung.

Sie suchen Sicherheit und Geborgenheit, weil sie Existenzängste haben. Der Glaube soll ihnen auch ein Stück weit die Angst vor dem Tod nehmen. Vor allem aber klammern sie sich an das Versprechen der Religionsführer, ein Leben nach dem Tod zu bekommen.

Atheisten, Agnostiker oder Skeptiker haben hingegen gelernt, mit solchen Existenzängsten umzugehen und den Weg in die geistige Freiheit zu gehen. Sie brauchen keinen Gott, der sie vermeintlich an der Hand nimmt und durch die Stürme des Lebens führt.

Es ist auch ein Ammenmärchen, dass Gläubige weniger Angst vor dem Tod haben als areligiöse Menschen. Eine Pflegefachfrau, die seit vielen Jahren auf der Onkologie-Station eines grossen Spitals arbeitet, bestätigte meine Vermutung. Im Schnitt würden sich Ungläubige leichter mit dem Schicksal arrangieren und dem Tod mutiger entgegenblicken als Gläubige, sagte sie.

Die Klosterfrauen von Maria-Rickenbach gehen an einer Herde Schafe vorbei, bei der Prozession zum Fronleichnamstag, am Donnerstag 11. Juni 2009 auf Maria-Rickenbach im Kanton Nidwalden. (KEYSTONE/Urs  ...
Das Glück der Gläubigen ist relativ.Bild: KEYSTONE

Ausserdem kann der Glaube an sich Ängste auslösen. Dabei geht es in erster Linie um die Angst vor der Strafe Gottes. Gläubige leben stets in der Ungewissheit, ob sie beim Jüngsten Gericht bestehen oder ob ihr Sündenregister zu lang ist.

Ich mache als Präsident der Geschäftsprüfungskommission der Sterbehilfeorganisation Exit eine ähnliche Erfahrung. Bei der Kontrolle der Akten stelle ich fest, dass die meisten Sterbewilligen areligiös sind oder ihren Glauben nicht mehr praktizieren. Sie wollen in Würde und selbstbestimmt sterben, wenn sie ein unerträgliches Leiden oder eine tödliche Krankheit haben.

Es braucht viel Mut, diesen Schritt zu gehen. Für sie ist es eine Frage der Selbstverantwortung. Sie brauchen keinen Pfarrer oder Gott, wenn es um die Frage des eigenen Todes geht. Sie müssen auch keine Angst vor dem Jüngsten Gericht haben, weil sie akzeptieren können, dass der Tod das endgültige Ende des Lebens ist.

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Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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1201 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Händlmair
01.02.2025 09:11registriert Oktober 2017
Eine bekannte von mir arbeitet in einem Hospiz und hat schon viele Menschen beim sterben begleitet. Eine ihrer Erfahrungen ist es, dass vor allem Menschen mit Reichtum oder Macht, sehr grosse Mühe haben, das unweigerliche akzeptieren zu können. Ihr ganzes Leben war darauf ausgerichtet mehr Reichtum und mehr Macht zu erhalten, dass am Schluss die alles entscheidende Frage im Raum steht, warum verliere ich alles, warum habe ich das getan und vor allem für was!

Wobei auch hier darf man nicht alle in den gleichen Topf werfen. Sterben und Loslassen ist etwas sehr persönliches.
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Liechtli
01.02.2025 13:24registriert Oktober 2020
Mich macht der Glaube glücklich.
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Atavar
01.02.2025 12:23registriert März 2020
“ Mit Gott lebt es sich leichter” - logisch, das Gehirn ist der grösste Energiefresser. Je weniger man es nutzt, desto ‘leichter’
216
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1201
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