Die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten erschüttern die Welt. Auf dem Fleck Erde, den Judentum, Christentum und Islam für sich beanspruchen, eskaliert erneut der Konflikt. Die brandgefährliche Konstellation macht klar, dass es sich bei den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen einmal mehr nicht nur um einen politisch motivierten Konflikt handelt, sondern auch um einen religiösen. Schliesslich ist Israel der Ursprung der drei monotheistischen Religionen.
Die bittere Brisanz dabei: Die Gläubigen beten letztlich den gleichen Gott an. Die einen nennen ihn Gott, die anderen Jahwe oder Allah. Der gemeinsame Urvater und Prophet ist Abraham.
Das hindert die orthodoxen Juden im Westjordanland nicht daran, umstrittene Siedlungen zu bauen. Und es hindert die Hamas nicht daran, Kinder, Frauen und alte Leute auf brutale Weise zu ermorden oder zu kidnappen.
Die Israeli flehen Jahwe an und bitten um Beistand, die Palästinenser beten zu Allah, er möge ihnen im Kampf gegen den Erzfeind beistehen.
Der Gipfel der religiösen Perversion ist das Märtyrertum, das die Hamas-Schergen predigen. Die Terroristen verlangen von der eigenen Bevölkerung, in Gaza-Stadt auszuharren. Sie hinderten sogar die Leute daran, in den Süden zu fliehen. Ihr Argument: Rechtgläubige Muslime flüchten im «heiligen Krieg» nicht und sterben lieber als lebendige Schutzschilde den Märtyrertod, als vor den Israelis zu kapitulieren.
Diverse Glaubensbrüder aus dem Libanon und vielen arabischen und nordafrikanischen Ländern unterstützen die Hamas sowohl militärisch als auch politisch und heizen so aus religiöser Überzeugung den Konflikt im Nahen Osten weiter an.
Zwar spielen historische und politische Aspekte eine wichtige Rolle beim Krieg zwischen Israel und Palästina, doch der religiöse Einfluss vergiftet die Atmosphäre zusätzlich und verdrängt die Vernunft. Dies erschwert eine Lösung erheblich.
Der religionshistorische Schmelztiegel in Israel mit Jerusalem als Brennpunkt bleibt ein Pulverfass. Auf dem heiligen Berg prallen die Hoffnungen, Sehnsüchte und Ansprüche der drei Religionen mit aller Wucht aufeinander.
Der erste grosse Religionskonflikt geht auf das Jahr 70 nach Christus zurück, als der Tempel zerstört wurde. Der Wiederaufbau ist für die jüdischen Gläubigen heute noch ein zentrales Anliegen. Auch für die Muslime ist Jerusalem mit der al-Aqsa-Moschee ein heiliger Ort, der im Koran hervorgehoben wird und für Mohammed bedeutungsvoll war. Hier sollen sich die Muslime am jüngsten Tag versammeln.
Für die Christen ist Jerusalem ohnehin ein religionshistorischer Ort. Jesus hatte oft im Tempel gebetet und sein Leidensweg führte durch die Via Dolorosa. Ausserdem wurde er in dieser Umgebung gekreuzigt, und die Grabeskirche ist ein wichtiger Pilgerort.
Jahrhundertelang wurden Ressentiments und Hass geschürt, die dem Religionsfrieden nicht dienlich waren. Jerusalem bleibt zweigeteilt. Noch im Sechstagekrieg von 1967 war die Stadt umkämpft.
Doch es gibt nicht nur Spannungen und Konflikte zwischen den verschiedenen Religionen, sondern auch innerhalb der einzelnen Glaubensgemeinschaften. Das zeigt sich auch, wenn man den Blick aus Israel hinausschweifen lässt: So sind beispielsweise vielerorts die sunnitischen und schiitischen Fraktionen verfeindet und bekämpfen sich bis aufs Blut, obwohl sie die gleiche Grundlage (Koran) haben, den gleichen Propheten (Mohamed) und den gleichen Gott (Allah) anbeten.
Was Muslime können, das schaffen auch Christen. In der Neuzeit allerdings in viel kleinerem Stil. Im rund 30 Jahre dauernden Konflikt (1969–1998) zwischen den Protestanten und Katholiken in Nordirland verloren 3500 Gläubige ihr Leben. Zwar herrscht seither ein Burgfriede, doch dieser ist immer noch fragil.
Bei Religionsgemeinschaften geht es um das Bedingungslose und Absolute, also das Höchste (Gott) und Letzte (ewiges Leben). Diese konfliktträchtigen Attribute führen nur allzu oft zur Radikalität und zum Fanatismus.
Dabei spielen sich die Religionen als Hüter von Moral und Ethik auf und predigen den Frieden. Es macht den Anschein, als ob die religiösen Heilsversprechen und Anforderungen uns Menschen heillos überfordern.
Da läuft etwas gründlich schief, weshalb schon mal der Verdacht aufkommen kann, dass die Welt ohne Religionen ein besserer Ort geworden wäre.