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Bolsonaro kämpft um die Gunst der Freikirchen: «Bin auf einer Mission»

Brazil's president Jair Bolsonaro, second right, who running for reelection, and Sao Paulo candidate for governor Tarcisio de Freitas, center left, attend a Mass at the National Sanctuary of Our  ...
Jair Bolsonaro bei einem Gottesdienst.Bild: keystone
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Bolsonaro kämpft um die Gunst der Freikirchen: «Ich bin auf einer göttlichen Mission»

Im brasilianischen Wahlkampf gibt sich der populistische Haudegen und Macho Jair Bolsonaro als lammfrommer evangelikaler Christ.
15.10.2022, 07:15
Hugo Stamm
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In Brasilien tobt der Wahlkampf zwischen dem rechtsradikalen Populisten und Amtsinhaber Jair Bolsonaro und dem linken Lula da Silva. Verstörend dabei: Es geht nicht nur um politische Programme und Aspekte, eine ähnliche wichtige Rolle spielt der christliche Glaube.

Das war früher anders. Als Brasilien zu fast 100 Prozent katholisch war, spielten religiöse Fragen im Politalltag keine grosse Rolle. Doch seit die evangelikalen Freikirchen zum Machtfaktor geworden sind, hat der Wind gedreht. Heute müssen die Kandidaten um die superfrommen Christen buhlen. Ohne die Gunst der freikirchlichen Wähler sinken die Wahlchancen der Kandidaten stark.

Im Wahlkampf in Brasilien kämpfen Jair Bolsonaro und Lula da Silva mit harten Bandagen.Video: YouTube/ARTEde

Das hat zwei Gründe: Die Freikirchen missionierten in den vergangenen paar Jahrzehnten so erfolgreich bei den Katholiken, dass sie nun rund 30 Prozent der Bevölkerung stellen. Und: Freikirchen nutzen hemmungslos das politische Parkett, um ihren Machteinfluss auszubauen.

Der Wahlkampf in Brasilien erinnert an die Präsidentschaftswahlen in den USA. Bei der Ausmarchung von 2016 biederte sich Donald Trump bei den Freikirchen an und versprach den Gläubigen, die Botschaft in Israel von Tel Aviv ins heilige Jerusalem zu verlegen und für schärfere Abtreibungsgesetze zu kämpfen. Beides Postulate der Freikirchler, die mehr mit Politik als mit Religion zu tun haben.

Trump hielt Wort und wird seither von den Evangelikalen als Heilsbringer verehrt. Gott habe an ihm eine Wandlung von Saulus zu Paulus vollzogen, verkündeten manche Pastoren anschliessend von der Kanzel.

Unterirdisches Niveau

Auf welchem unterirdischen Niveau Bolsonaro und viele Evangelikale in Brasilien argumentieren und Wahlkampf betreiben, zeigen folgende Beispiele. In den sozialen Medien entbrannte eine heftige Diskussion, ob Lula da Silva tatsächlich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen sei, wie fromme Christen behauptet hatten.

Dieser sah sich zum Bekenntnis genötigt, er sei ebenfalls ein guter Christ. Denn da Silva weiss, dass Bolsonaro vor vier Jahren die Wahl dank der Stimmen der Evangelikalen gewonnen hatte. Der linke Kandidat muss also einen Teil der Freikirchen-Mitglieder auf seine Seite ziehen können, will er Präsident werden.

Bezeichnend ist denn auch das Wahlkampf-Motto von Bolsonaro: «Brasilien über alles, Gott über allen.» Pikant dabei: Er ist katholisch. Den freikirchlichen Flügel deckt aber seine Frau Michelle ab, eine glühende evangelikale Christin.

«Der Präsidentenpalast, der früher dem Teufel geweiht war, gehört heute Gott, unserem Herrn. Auf dem Präsidentenstuhl sitzt jetzt Jesus Christus!»
Michelle Bolsonaro

Um für Evangelikale wählbar zu werden, liess sich Bolsonaro schon vor dem ersten Wahlkampf von einem freikirchlichen Pastor im Jordan taufen. Prompt stimmten fast 70 Prozent der frommen Christen für ihn. Seither ist Bolsonaro ein religiöser Zwitter: halb katholisch, halb evangelikal. Pikant dabei: Für viele Evangelikale ist die katholische Kirche eine Sekte.

Es überrascht nicht, dass sich Bolsonaros dritte Frau Michelle mächtig ins Zeug legt, um die Evangelikalen abzuholen. Sie betet gern im Office ihres Ehemannes und postet die Bilder ihrer frommen Geste in den sozialen Medien. Sie kämpfe gegen Dämonen an, die unter dem Amtsvorgänger de Silva den Präsidentenpalast in Beschlag genommen hätten.

Angeblich erfolgreich: «Der Präsidentenpalast, der früher dem Teufel geweiht war, gehört heute Gott, unserem Herrn», verkündete sie und fügte an: «Auf dem Präsidentenstuhl sitzt jetzt Jesus Christus!» So geht Trennung von Kirche und Staat in Brasilien.

epa06642500 Former Brazilian president Luiz Inacio Lula da Silva speaks during an event in defense of democracy and a tribute to murdered Brazilian councilwoman Marielle Franco and her driver in Rio d ...
Präsidentschaftskandidat Lula de Silva bei seinem Wahlkampf.Bild: keystone

Bei einer Veranstaltung in einer Baptistengemeinde sagte Bolsonaro. «Ich bin auf einer von Gott bestimmten Mission.» Seine Frau doppelte nach, sie würden sich in einem Krieg gegen das Böse befinden. Gott habe sie dafür rekrutiert. Dabei liess der Macho Bolsonaro ein paar publikumswirksame Tränen über die Wangen kullern.

Die mobilisierten evangelikalen Bolsonaro-Anhänger gingen noch weiter. Manche behaupteten, der linke da Silva werde bei einer allfälligen Wahl sämtliche Gottesdienste verbieten lassen. Wie die Reaktionen in den sozialen Medien zeigen, halten viele Gläubige diese Fake News für plausibel. Dass dies in einem Land, das die Religionsfreiheit in der Verfassung verankert hat, kaum umsetzbar ist, scheinen sie nicht zu bedenken.

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Absurde Vorwürfe

Vollends absurd ist der Vorwurf aus dem Bolsonaro-Lager, da Silva würde als Präsident anordnen, dass der Name von Jesus aus den Bibeln entfernt werden müsste. Auch diese Kuriosität scheint bei manchen Freikirchlern zu verfangen, wie die Reaktionen zeigten.

Doch auch Bolsonaro griff zu drastischen Bildern und Argumenten. Er sei wie die Evangelikalen homophob, verkündete er voll Stolz. Um seine Überzeugung zu unterstreichen, sagte er: «Ich könnte keinen schwulen Sohn lieben. Ich hätte lieber, dass er bei einem Autounfall sterben würde.»

Wie in den USA und überall auf der Welt spielt auch die Abtreibungspolitik im brasilianischen Wahlkampf eine wichtige Rolle, denn die Evangelikalen sind auf diese Frage fixiert. Man kann es sogar Besessenheit nennen. Deshalb behauptet das Bolsonaro-Lager, da Silva werde bei einer allfälligen Wahl Abtreibungen legalisieren.

Brazilian congressman Jair Bolsonaro poses for photos with soldiers and cadets during a a ceremony commemorating Army Day, in Brasilia, Brazil, Wednesday, April 19, 2017. Bolsonaro, a potential presid ...
Jair Bolsonaro posiert mit Soldaten und Kadetten.Bild: keystone

Die Instrumentalisierung der Religionen und Gläubigen durch Politiker ist ein Unding. Und ein politischer Missbrauch. Wozu die Vermischung im Extremfall führt, zeigen die Islamisten, die mit Gewalt Gottesstaaten einrichten wollen. Exemplarisch demonstrieren es die Mullahs im Iran mit ihrer brutalen Repression der Frauen. Manche sterben im Kampf für ihre Freiheit. Allein schon das Ablegen des Kopftuches kann ein Todesurteil sein.

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Hugo Stamm, Sektenblog
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Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
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334 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bambusbjörn ❤ lilie
15.10.2022 07:30registriert Juni 2018
Einfach nur abartig, widerlich und vollkommen krank, was dieser widerliche Faschist tut, um an der Macht zu bleiben.

Seine von der Macht besessene Frau will ihn auch noch zu Jesus Christus machen. 🤮🤮🤮

Ich glaube, weiter kann man sich nicht mehr von christlichen Grundwerten entfernen. Religion als Mittel zum Zweck. Ganz typisch für Faschisten.
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Chrisbe
15.10.2022 07:46registriert Oktober 2019
Ein widerlicher Typ.
Machtgeil, korrupt, verlogen,...
Von Gott berufen,...pha!
Ein Charakterlump wie sein Amerikanischer Bruder im Geiste.
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Linus Luchs
15.10.2022 08:58registriert Juli 2014
Was steckt eigentlich psychologisch hinter der Allianz von faschistoiden Autokraten und fanatischen Gläubigen? Wenn sich die Superfrommen tatsächlich an der Nächstenliebe orientieren würden, müsste ihnen ein Bolsonaro ja als Inkarnation des Antichristen erscheinen. Die verbindenden Themen, die mir einfallen, sind Unterwerfung (Macht) und Rückwärtsgewandtheit. Meine These: Darunter liegt die Angst. Wer von Angst geprägt ist, will keine Veränderung und möglichst viel Kontrolle. Ein Diktator verspricht die totale Kontrolle. Das Spiel mit der Angst ist leider das Erfolgsrezept des Populismus.
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