Der Teufel ist eine Reizfigur. Er repräsentiert die personifizierte Form des Bösen. Praktisch alle traditionellen Religionen kennen ihn. Oder teufelsähnliche Dämonen. Der Satan eignete sich hervorragend, um den Gläubigen Ängste einzujagen und sie zu indoktrinieren. Frei nach dem Motto: «Wer vom rechten (Glaubens-)Weg abkommt, muss befürchten, in die Fänge des Satans zu geraten.»
Dann flammen rasch die Bilder von der Verdammnis und vom ewigen Feuer auf. Für aufgeschlossene Theologen und Geistliche ist der Satan eine schwierige Figur, die aus der Zeit gefallen ist. Wer ihn benutzt, um eine religiöse Drohkulisse aufzubauen, wird mitleidig belächelt.
Der Gehörnte mit dem Schwanz, der hinter einem Busch auf seine Opfer lauert, gehört in die Mottenkiste der Geschichte. Sollte man meinen. Dass Freikirchen, die die Bibel als authentisches Wort Gottes interpretieren, den Teufel noch für bare Münze nehmen, liegt auf der Hand.
Doch sie sind in guter Gesellschaft: Auch die katholische Kirche beruft sich gern auf den Satan. Zwar hüten sich die meisten katholischen Pfarrer, den Teufel in ihren Predigten an die Wand zu malen, doch verbannen können sie ihn nicht. Der Grund: Der Exorzismus ist nach wie vor Bestandteil der katholischen Lehre. Und zum Exorzismus gehört zwingend ein Satan. Auf Teufel komm raus.
Tatsächlich ist der Exorzismus kein Relikt aus alten Tagen, denn das Bistum Lugano hat seit kurzem einen neuen Teufelsaustreiber. Die Stelle war seit dem Tod von Sandro Vitalini 2020 vakant.
Man hätte eigentlich erwarten können, dass der Bischof den alten Zopf abschneiden würde. Aber nein. Bezeichnend ist, dass er den Namen des Auserwählten nicht bekanntgibt. Es sei eine Frage der Diskretion, sagt der Pressesprecher laut kath.ch.
Das lässt aufhorchen, denn die meisten Exorzisten sind namentlich bekannt. So auch derjenige seines Vorgängers. Fürchten sich die Geistlichen allenfalls vor den öffentlichen Reaktionen?
Früher hatte praktisch jedes Bistum seinen Exorzisten, heute sind es noch zwei. Neben Lugano das Bistum von Freiburg, Lausanne und Genf. Dieses engagiert gleich zwei Teufelsaustreiber.
Die drei Schweizer Exorzisten können immerhin ihre Daseinsberechtigung mit Zahlen rechtfertigen, denn die Nachfrage nach ihrer Dienstleistung ist ungebrochen. Laut einer Recherche der SRF-Sendung «Rundschau» wurden 2017 rund 420 Exorzismen durchgeführt. Es soll eine erhebliche Dunkelziffer geben.
Mit den Teufelsaustreibungen in Horrorfilmen haben die heutigen Rituale nichts mehr zu tun. Vielmehr wird gebetet, es gibt Rituale mit Kreuzen und Weihwasser, Hände werden aufgelegt und biblische Texte rezipiert. So jedenfalls stellen es die modernen Exorzisten dar.
Da stellt sich die Frage, weshalb sich die Teufelsexperten Exorzisten nennen und weshalb sie eine spezielle Ausbildung brauchen? Sind ihre Rituale nicht einfach eine etwas erweiterte Seelsorge?
Dass der Exorzismus auch heute noch so genannt und praktiziert wird, wirft die Frage auf: Wie hält es die katholische Kirche wirklich mit dem Teufel? Das zentrale Fazit: Im Kern kultiviert sie ihn nach wie vor als real existierende Figur, der die Gläubigen verführen will, Böses zu tun und sich gegen Gott aufzulehnen.
Wie tief der Glaube an den Leibhaftigen in der katholischen Kirche noch verankert ist, dokumentierte Papst Franziskus 2018. Er forderte alle Gläubigen auf, im Oktober täglich einen Rosenkranz zum Schutz der Kirche vor dem Teufel zu beten.
Ein Jahr früher warnte er die Katholiken in einem Interview, «nicht mit dem Satan zu reden». Der Papst personifizierte also den Satan. Der Teufel sei eine sehr intelligente, rhetorisch überlegene Person und könne in Menschen schlüpfen. Wer mit ihm rede, sei verloren, sagte der Pontifex.
Dass der Stellvertreter Gottes dieses kindlich-naive Bild des Satans zeichnet, ist kaum zu fassen. Das ist ein geistiger und religiöser Rückfall ins Mittelalter.
Der neue Exorzist von Lugano kann also sein Amt mit dem Segen des Papstes antreten. Er muss sich nicht mehr mit der Frage herumplagen, ob es den Leibhaftigen wirklich gibt. Und ob Gläubige von ihm besessen werden können. Der Papst, der in Lehrfragen als unfehlbar gilt, gibt ihm die Legitimation.
Der Exorzismus ist auch in der moderaten Form ein geistiger und religiöser Missbrauch. Ursache der angeblichen Besessenheit sind hauptsächlich psychische Probleme, vorwiegend Psychosen wie Paranoia und Schizophrenie.
Die Gläubigen suchen eine Ursache für ihr Leiden. Da bietet sich der Teufel förmlich an. Schliesslich verbreitet die Kirche dieses Erklärungsmuster.
Es ist fatal, psychische Leiden religiös zu interpretieren. Psychisch Kranke gehen ohnehin schon durch die Hölle. Wenn sie dann noch glauben, dass der Satan in sie eingedrungen ist und in ihrer Seele wütet, verstärkt dies die Ängste und das Leiden.
Die katholische Kirche sollte sich endlich eingestehen, dass sie die verhängnisvolle Idee der satanischen Besessenheit in die Welt gesetzt hat. Wenn sie psychisch kranke Gläubige ernst nähme, würde sie die Exorzisten aus dem Verkehr ziehen und Psychiater und Therapeutinnen engagieren. Da sie weiter am Exorzismus festhält, macht sie sich mitschuldig am Leiden der angeblich Bessenen.
Diese Kritik trifft auch auf die vielen Freikirchen zu, die ebenfalls Exorzismus betreiben. Teufelsaustreibungen gehören bei ihnen zum Standardritual. Dabei fahren manche harte Geschütze auf.
Vor ein paar Jahren schilderte eine Frau den Exorzismus bei der Freikirche «Touch the Love Ministries» in Frauenfeld so: Das Pastoren-Ehepaar und ein paar Gläubige des Kernteams bildeten einen Kreis, die «Besessene» musste sich in der Mitte postieren. Der Pastor legte ihr die Hand auf und begann in Zungen zu reden.
Sie verstand nichts und fühlte sich zutiefst unwohl. Schliesslich redeten alle durcheinander in Zungen, die Stimmung empfand sie als aufgeheizt, die Situation kam ihr unheimlich und beängstigend vor. Dazwischen schrie der Pastor: «Im Namen Jesus von Nazareth: Satan verlasse diese Frau!»
Das Opfer erzählte hinterher: «Es war beklemmend, und ich kämpfte gegen die Panik an.» Das Satansritual habe mehrere Stunden gedauert. Um endlich erlöst zu werden, behauptete die Frau, der Teufel sei von ihr gewichen. Alle hätten «Halleluja!» gerufen.
Solche Teufensaustreibungen sind eine Form der Freiheitsberaubung und müssten juristische geahndet werden können.