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Biohacker wollen uns unsterblich und göttlich machen

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Die Ego-Sekte – wie Biohacker uns unsterblich und göttlich machen wollen

Biohacking soll mit wissenschaftlichen Methoden den Code des Lebens knacken und den Alterungsprozess stoppen.
12.02.2022, 07:5813.02.2022, 16:06
Hugo Stamm
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Hacker sind in der Regel üble Burschen, die in Computersysteme eindringen, um ein Chaos anzurichten oder Geld zu erpressen. Anders die Biohacker. Sie wollen unser Hirn, unsere Gene und verschiedene Körperfunktionen «hacken», um mit den «geheimen Fakten» Methoden zu entwickeln, die schliesslich ein ewiges Leben ermöglichen sollen. Oder zumindest ein sehr langes.

Die Szene der Biohacker entstand primär in den USA und breitet sich allmählich über die westliche Welt aus. Zu den Pionieren gehört Dave Asprey. Der Gründer des Labors Bulletproove 360 verdiente in der Computerbranche viel Geld. Also suchte er einen Weg, möglichst lang zu leben, um einen Nutzen von seinem Reichtum zu haben. Schliesslich war ihm bewusst, dass das letzte Hemd keine Taschen hat.

Es gibt viele Formen des Biohackings.Video: YouTube/SWR

Seit 20 Jahren jagt er dem Schlüssel der ewigen Jugend nach. Er sucht mit Hackermethoden nach Rezepten, um die Alterung der Zellen zu verlangsamen. Und weil er mit seinem Labor Erfolg hat – das Abo kostet gut und gern über 1000 Franken und mehr pro Monat –, ist er auch selbst sein bester Kunde. Ob er ein Methusalem wird, um den Segen seines Reichtums unbegrenzt auskosten zu können, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist aber, dass sein Geschäftsmodell auch über seinen Tod hinaus erfolgreich sein wird.

Sicher ist auch: Wer als Anhänger der Biohacker-Bewegung 150 Jahre alt werden will, muss ganz schön diszipliniert sein. So sehr, dass Genuss und Lebensfreude der Feind des Jungbrunnens werden. Denn die Selbstoptimierung verlangt volle Konzentration, viel Wille und Disziplin. Der Tag ist vom Schlafen, über das Essen bis zur Entspannung, Fitnesseinheit, Infusionen, Kältetherapie streng durchgetaktet.

Andere Biohacker gehen noch weiter. Sie wollen ins Erbgut eingreifen und schwere Krankheiten heilen, um den Tod aus ihrem Leben zu bugsieren.

Bis zum Jahr 2045 ausharren, um dann unsterblich zu werden

Zu den Gurus der Biohacker gehört Raymond Kurzweil. Der 74-jährige Leiter der technischen Abteilung bei Google will noch bis zum Jahr 2045 ausharren. Dann, so seine Überzeugung, wird das Biohacking ewiges Leben ermöglichen. Auf dem Weg dorthin schluckt er täglich rund 150 Pillen und verpasst sich Injektionen mit hochpotenten Stoffen. Er will die Körperfunktionen mit diagnostischen Mitteln entziffern, um den Alterungsprozess zu verstehen und zu drosseln.

Technologische Errungenschaften sollen uns Menschen dereinst sogar helfen, unsere biologischen Grenzen zu sprengen und uns zu einer Art Gottheit zu entwickeln. Biohacker sind die modernen Alchemisten. Oder die neuen Zauberlehrlinge. Sie scheinen von ihrer Idee des ewigen Lebens so berauscht zu sein, dass ihr Selbstoptimierungswahn ihre Vernunft und ihren Verstand benebeln. Denn ein paar kurze Überlegungen würden die verheerenden Konsequenzen des Biohackings entlarven.

Irgendwann ist ein Leben ausgelebt. Wenn zum Beispiel alte Menschen immobil und einsam sind. Oder keine Ziele, Perspektiven oder Träume mehr haben. Oder weil ihnen die Lebensenergie zwischen den Fingern zerrinnt.

Das Hauptproblem ist die Überalterung, mit der die westliche Welt schon heute zu kämpfen hat. Würde ein Grossteil der Menschen 120 und mehr Jahre alt, würde unser Planet früher oder später kollabieren. Die ohnehin knappen Ressourcen und Nahrungsmittel würden nicht mehr reichen, um die Menschheit zu versorgen.

Der arbeitende Teil der Gesellschaft wäre in der Minderheit und müsste via AHV und Pensionskassen die Greise durchfüttern. Ausserdem würden Alters- und Pflegeheime sowie Spitäler das Volksvermögen auffressen und die Krankenkassenprämien explodieren lassen. Es käme vermutlich zu Armutserscheinungen und zu sozialer Unrast, die Gesellschaft und Politik arg belasten würden.

Irgendwann erlahmt die Energie

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Die Zukunftsaussichten der überalterten Generationen wären ausserdem alles andere als rosig. Zwar liessen sich die Körperfunktionen vielleicht aufrecht erhalten, ob dies auch für die geistige Fitness und den Lebenswillen gilt, ist ungewiss. Ganz zu schweigen von der Lebensfreude. Denn ein Leben ist irgendwann ausgelebt. Zum Beispiel wenn alte Menschen immobil und einsam sind. Oder keine Ziele, Perspektiven oder Träume mehr haben. Oder weil ihnen die Lebensenergie zwischen den Fingern zerrinnt.

Die Evolution hat uns einen Körper und ein Bewusstsein beschert, die von Natur aus ein Ablaufdatum haben. Dank gesunder Ernährung und guter medizinischer Versorgung haben wir die Deadline schon ungebührlich hinausgeschoben, wie die vielen Demenzkranken dokumentieren. Mit dem ewigen Leben zu liebäugeln ist im höchsten Mass egozentrisch.

Treiber dieser Idee sind Startups im Silicon Valley, die sich Milliardengewinne erhoffen. Aber auch Spitäler und Universitäten erforschen den Alterungsprozess. Womit sie das Biohacking befeuern.

Was hat dieser Text in einem Sektenblog zu suchen? Ganz einfach: Biohacking ist eine weitere Art Ego-Sekte.

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Hugo Stamm, Sektenblog
Bild: zvg
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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389 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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FrancoL
12.02.2022 09:08registriert November 2015
Man sollte nicht das Leben für ein längeres Leben aufgeben. Qualität ist auch im Leben mehr als Quantität.
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Es schneit! Darf ich zuhause bleiben?
Wer gestern überhaupt noch nachhause gekommen ist, fragte sich heute wohl nicht selten, ob er nicht besser gleich da geblieben wäre. Fragt sich das ein Schulkind, kann die Antwort durchaus ja sein. Fragt sich das ein Arbeitnehmer, ist die Antwort meist nein.

In der Schweiz herrscht auch bei Schneefall Schulpflicht. Eine Gemeinde darf deswegen nicht generell beschliessen, die Schule bei Schlechtwetter ausfallen zu lassen. Gleichzeitig ändert Schneefall aber auch nichts daran, dass die Kantone für den zumutbaren Schulweg verantwortlich sind. Wenn also der Schulweg zu gefährlich ist, müssen sie die Gefahr beseitigen. Da das bei zugeschneiten Strassen und drohenden Dachlawinen nicht auf die Schnelle möglich ist, kann die Schule Schulkinder dispensieren, sofern sie nicht gefahrlos zur Schule gehen können. Der Kanton Bern sieht dies gar ausdrücklich in seiner Absenzenverordnung für die Volksschule vor: Als entschuldigte Absenzen gelten auch «äusserst schwierige Schulwegverhältnisse infolge schlechter Witterung».

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