Für viele Christen sind Ostern die höchsten religiösen Feiertage im Jahr. Sie glauben an die Barmherzigkeit Gottes, der seinen Sohn geopfert hat, um uns von den Sünden zu befreien.
Und Jesus Christus nahm das Kreuz im wahrsten Sinn des Wortes auf sich und starb für uns Menschen. Wobei er Todesqualen erlitt wie alle gekreuzigten Zeitgenossen. Laut Psalm 22 rief er in der Stunde des Todes: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?»
Da stellen sich Fragen: Warum hat Jesus nicht gesagt: «Mein Vater, warum hast du mich verlassen?» Als Sohn Gottes wäre dies die naheliegende Bezeichnung gewesen. Bemerkenswert ist auch, dass Jesus das Gefühl hatte, Gott – oder eben sein Vater – habe ihn verlassen.
Wusste Jesus nicht, was sein Vater mit ihm vorhatte? Hat Gott ihn nicht in seinen Plan eingeweiht? War Jesus als Sohn Gottes nicht ähnlich allwissend wie sein Vater? Konnte er sein Leben nicht vorhersehen?
Es gibt auch ganz grundsätzliche Fragen zum Tod von Jesus am Kreuz. Wir können davon ausgehen, dass die Geschichte von der Kreuzigung von den Gläubigen und Geistlichen nicht als Gleichnis oder Metapher verstanden wird, sondern als wahre Begebenheit.
Deshalb: Wie konnte es Gott ertragen, dass sein Sohn wie ein Mörder ans Kreuz geschlagen wurde und höllische Qualen litt? Galt seine sprichwörtliche Barmherzigkeit seinem Sohn gegenüber nicht? Hätte Gott der allmächtige Schöpfer, der die Erde in sechs Tagen kreierte, nicht andere Wege gefunden, uns Menschen zu erlösen? Weshalb brauchte es diesen martialischen Akt?
Betrachten wir die Ostergeschichte aus der Perspektive von Kindern. Was sagen wir ihnen, wenn sie dem Osterhasen die Ohren abbeissen und dann fragen: «Weshalb wurde Jesus ans Kreuz genagelt?»
Wäre die Ostergeschichte ein Märchen, würden Pädagogen den Warnfinger erheben und sagen: Es ist problematisch, Kindern solche Gewaltszenen zuzumuten. Sensible Kinder könnten Ängste entwickeln, im schlimmsten Fall ein Trauma.
Es stellt sich auch die Frage, ob sich Theologen und Geistliche nicht auch solche Fragen stellen. Blenden sie diese Aspekte der Ostergeschichte einfach aus? Sehen sie keine Ungereimtheiten und – aus psychologischer und theologischer Sicht – Widersprüche? Finden beim Theologiestudium und bei der Ausbildung der Religionswissenschaftler solche Diskussionen nicht statt?
Hat es damit zu tun, dass es bei der Ostergeschichte um eine Glaubensfrage geht, die man nicht hinterfragt, weil sie so in der Bibel steht und seit Jahrhunderten auf diese Weise gelehrt wird? Geht es darum, dass man solche Fragen umschifft, damit nicht das ganze Glaubenskonstrukt ins Wanken gerät? Oder glauben Gläubige, dass der Glaube ein Geheimnis ist, das sich dem gesunden Menschenverstand verschliesst, weil Gottes Wege unergründlich sind?
Um das Leben erfolgreich zu meistern, müssen wir laufend Fragen in alle Richtungen stellen, um gute Entscheidungsgrundlagen zu bekommen. Bei vielen Fragen um den religiösen Glauben ist dies offensichtlich nicht der Fall. Es scheint, dass viele Gläubige Angst vor den Antworten haben.