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Wie aus Sektenanhängern Mörder von Babys und Kultbrüdern werden

ARCHIV - The destroyed farmhouse in Cheiry, Canton Fribourg, Switzerland, were 23 dead bodies of members of a cult have been found Wednesday, October 5, 1994. A total of 48 people, including children, ...
Feuerwehrmänner tragen in Cheiry im Kanton Fribourg die Leichen der Sonnentempler aus dem niedergebrannten Sektenhauptsitz.Bild: keystone
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Wie Sektenanhänger Mörder von Babys und Kultbrüdern wurden

Das Drama um die Sonnentempler in den 90er-Jahren zeigt exemplarisch, wie sanftmütige spirituelle Sucher in einen sektenhaften Wahn abrutschen können.
12.10.2024, 07:5213.10.2024, 09:21
Hugo Stamm
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Das Sektendrama um die Sonnentempler vor 30 Jahren ging wie eine Schockwelle rund um die Welt. In der beschaulichen Schweiz wurden Dutzende von Sektenanhängern brutal ermordet, weitere zahlreiche Anhänger begingen auf Befehl ihres Gurus Joe Di Mambro Suizid. Sie waren ihm hörig und glaubten, dass sie damit der Apokalypse entrinnen und auf dem Planet Sirius den Weltuntergang überleben würden.

Drei Episoden, die weniger bekannt sind, zeigen exemplarisch, dass der religiöse Wahn spirituelle Sucher zu Mördern machen kann. Oder zu abhängigen Schafen, die die irren Ideen ihres Gurus für bare Münzen nehmen und sich freiwillig umbringen.

Es begann in Kanada mit einem Babymord

Das Sektendrama begann schleichend am 30. September 1994 in Kanada, wo die Sonnentempler einen Ableger unterhielten. Damals ahnte niemand, dass es der Beginn eines Grossereignisses war, dessen Epizentrum in der Schweiz liegen und 74 Menschenleben fordern würde.

Auslöser war eine Nichtigkeit: Der Name eines Kindes. Das Ehepaar Nicky und Antonio Dutoit-Robinson, das zwei Häuser des Gurus im kanadischen Morin Heights betreute, hatte seinen Sohn im Juli 1994 Emmanuel getauft. Den gleichen Namen in der weiblichen Form trug Joe Di Mambros Tochter, die in der Sekte als «kosmisches Kind» vergöttert wurde.

Reportage über das Sektendrama der Sonnentempler.Video: YouTube/SRF Dok

Der Guru tobte. Die Eltern sollten gebührlich für die anmassende Namenswahl bestraft werden. Er heckte einen Plan aus und gab dem 35-jährigen Schweizer Joel Egger einen unheimlichen Auftrag.

Am 30. September 1994 reiste Egger zusammen mit seiner Komplizin Dominique Bellaton nach Morin Heights. Sie lenkte die Mutter des Babys in der Küche ab, während Egger den Vater ein Stockwerk höher mit einem Küchenmesser ritualmässig mit 50 Messerstichen tötete.

Anschliessend brachte Bellaton die Mutter mit acht Stichen um, welche die acht Gesetze der Sonnentempler symbolisierten. Ausserdem schlitzte sie die Brüste der Ermordeten auf, weil damit laut Guru der Antichrist gesäugt worden war. Schliesslich tötete sie den dreimonatigen Emmanuel mit sechs Stichen ins Herz.

Eltern überliessen die Kinder ihrem Schicksal und setzten sie dem angeblichen Weltuntergang aus. Ihre spirituelle Sehnsucht war stärker als die Elternliebe und der Selbsterhaltungstrieb.

Während die beiden Mörder seelenruhig in die Schweiz zurückflogen, verwischten zwei andere in Kanada lebende Schweizer Kultmitglieder die Spuren, nahmen Drogen und setzten das Haus in Brand. Sie kamen in den Flammen um, begingen also Suizid.

Polizei und Justiz standen vor einem Rätsel. Ein Brand mit drei ermordeten Personen und zwei verkohlten Leichen, die möglicherweise die Mörder waren? Das gab es in der Kriminalgeschichte wohl noch nie.

Blick in einen "Spiegelsaal", der 1994 im Keller des Bauernhauses eines Sonnentempler - Mitglieds im schweizerischen Cheiry / Kanton Freiburg gefunden wurde und der Abhaltung religioeser Zer ...
Der Kultraum der Sonnentempler in Cheiry FR.Bild: KEYSTONE

Die Lösung des Rätsels lieferten kurze Zeit später zwei Ereignisse in der Schweiz. Am 5. Oktober 1994 brannte im freiburgischen Cheiry ein Haus. Feuerwehr und Polizei fanden in einem unterirdischen Kultraum 23 ermordete Personen.

Kurze Zeit später brannten im Walliser Dorf Salvan zwei Chalets nieder, in denen 24 Leichen gefunden wurden, die Suizid begangen hatten oder ermordet wurden. Unter ihnen fünf Kinder, Guru Joe Di Mambro, Joel Egger und Dominique Bellaton.

ARCHIV - Interior view of one of the chalets in Granges-sur-Salvan, Canton Valais, Switzerland, were 25 bodies of members of a cult have been found dead Wednesday, October 5, 1994. A total of 48 peopl ...
Das Innere eines der abgebrannten Chalets im Walliser Dorf Salvan.Bild: keystone

Auftakt des Dramas

Nun wurde klar, was sich in Morin Heights abgespielt hatte. Es war der Auftakt des Sektendramas gewesen. Der Guru hatte es problemlos geschafft, zwei seiner Anhängerinnen und Anhänger dazu zu bringen, in Kanada unschuldige Glaubensgeschwister zu ermorden. Zwei weitere waren bereit, die Tat zu vertuschen und ihr eigenes Leben auszulöschen. Möglich machte es die religiöse Verblendung und Konditionierung.

Erhellend sind zwei weitere Ereignisse rund um den esoterischen Orden.

Am 23. Dezember 1995 wurden im Wald oberhalb von Saint-Pierre-de-Chérennes bei Grenoble in Frankreich 16 Leichen entdeckt. Alle wiesen Schusswunden auf. Die Ermittlungen ergaben, dass zwei französische Polizisten ihre 14 Ordensbrüder und -schwestern mit einem Gewehr erschossen und sich anschliessend mit ihren Dienstpistolen selbst gerichtet hatten.

Nach dem Brand Leichen entdeckt

Die Leichen waren wie im Sanktuarium von Cheiry kreisförmig angeordnet. Die französischen Sonnentempler hatten den von ihrem Guru verheissenen Transit zum Planeten Sirius eigenständig vollzogen. Die Dramen in Cheiry FR und Salvan VS hatten sie nicht aus ihrem Wahn erwachen lassen.

Am 22. März 1997, gut zwei Jahre nach den Ereignissen in der Schweiz, brannte in St. Casimir in Kanada ein Landhaus nieder. Die Feuerwehr entdeckte fünf Leichen. Aus einem Nebengebäude torkelten drei verstörte Jugendliche.

Sie erklärten, ihre Eltern hätten sich zusammen mit drei weiteren Sonnentemplern auf die Reise zum verheissenen Planeten gemacht. Es sei bereits der zweite Versuch gewesen. Beim ersten hätten die Jugendlichen auch sterben sollen, doch eine Panne hatte den kollektiven Suizid verhindert.

Kinder bettelten um ihr Leben

Die Kinder bettelten danach um ihr Leben. Die Eltern verabreichten ihnen vor dem zweiten Versuch starke Beruhigungsmittel und liessen sie betäubt in einem Nebengebäude zurück.

Die Sektendramen in Kanada, der Schweiz und Frankreich hatten die fünf kanadischen Sektenmitglieder offensichtlich nicht aufgeschreckt. Vielmehr waren sie in ihrem Wahn weiterhin von der drohenden Apokalypse überzeugt. Deshalb vollzogen sie den Transit zum Planet Sirius eigenständig.

Unfassbar dabei ist auch, dass sie ihre Kinder ihrem Schicksal überliessen und dem angeblichen Weltuntergang aussetzten. Ihre spirituelle Sehnsucht war stärker als die Elternliebe und der Selbsterhaltungstrieb.

Macht der Sektenführer

Das Sonnentempler-Drama und viele andere Massenmorde im Sektenumfeld zeigen, welche Macht Sektenführer über ihre Anhängerinnen und Anhänger erlangen können. Die religiöse Indoktrination kann zu einer wahnhaften Wesensveränderung, zu Fanatismus und zu einem Kadavergehorsam führen, wie die fünf Ereignisse rund um die Sonnentempler zeigen.

Am eindrücklichsten dokumentieren dieses Phänomen die Taten von Joel Egger und Dominique Bellaton. Der Vegetarier Egger, der keinem Tier schaden wollte, stach auf Geheiss seines Gurus 50 Mal auf seinen Ordensbruder ein. Unvorstellbar ist auch, wie Bellaton ein Baby mit mehreren Messerstichen ermorden konnte, ohne aus ihrem Sektenwahn aufzuwachen.

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Bild: zvg
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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380 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Antinatalist
12.10.2024 08:22registriert September 2019
Die Schweiz ist ein weltbekannter Nährboden für Religionsfanatiker, Esoteriker, Abergläubige und Verschwörungstheoretiker. Ausserordentlich viele dieser Strömungen entstammen der Schweiz.

Man sollte dem mal genauer auf den Grund gehen, warum dies genau so häufig vorkommt.
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fant
12.10.2024 08:16registriert Oktober 2015
Sobald Glauben über Wissen gestellt wird, kann alles - auch die grössten Widersprüche - "begründet" werden. Beispiel?

"Wenn du dich jetzt umbringst, dann wirst du ewig leben"

🤔
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1nestadler
12.10.2024 09:19registriert März 2020
Im Naheh Osten sieht man aktuell die Auswüchse, wie religiöser Fanatismus tödlich endet.

Die Menschheit steckt trotz moderner Errungenschaften, ideologisch im Mittelalter.
Das gilt im "Kleinen", z.B. bei Mißbrauch, wie im großen, siehe oben.

Einer der längsten mörderischen, mit Toten übersäten Konflikte, der 30 Jährige Krieg. Nur, wegen des "lieben Gottes"? Klar, auch wegen Machtansprüchen.
Das Tausendjährige Reich, das Millenarismus der Gläubigen, dauerte 12 Jahre.

Im "Westen", wollen einige zurück ins Mittelater.
Auf Einsicht hoffen?
Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst 🤔
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380
Mein Tiefpunkt? Als ich beim ersten Date auf den Boden kotzte!
Es ist Glühwein-Zeit. Und weil Glühwein-Zeit so viel Spass macht, wohne ich aktuell quasi auf den Weihnachtsmärkten dieser Stadt. Nach dem letzten Besuch lande ich mit Freunden in einer Bar, wo wir die ganz schmutzigen Geschichten auspacken.

Hallo, ich heisse Emma Amour und ich habe mal beim ersten Date auf den Boden gekotzt. Nicht nach Stunden des zu viel Trinkens. Oder nach einem verdorbenen Fisch. Nein, ich hab Hoi gesagt, drei Küsschen gegeben und gechörbled. Mitten auf die Brücke. In downtown Zürich.

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