Sektenblog
29.04.2023, 07:5529.04.2023, 13:32

Folge mir
Das kollektive Sektendrama in Kenia zeigt einmal mehr, wie viel Unheil ein radikaler Glaube anrichten kann. Die Art und Weise, wie sich die tödlichen Ereignisse abspielten, irritiert.
Vollzogen die Sekten bei früheren Massensuiziden das tödliche Ritual mit gefährlichen Substanzen oder durch Gewaltanwendung, trieb der ehemalige Pastor Paul Mackenzie Nthenge von der Freikirche «Internationale Kirche der guten Botschaft» seine Mitglieder mit einer besonders makaberen Methode an, ihrem Leben ein Ende zu bereiten: Er verordnete ihnen den Tod durch Verhungern.
Besonders tragisch: Mackenzie konnte nicht nur ein paar einzelne Anhänger von seiner Wahnidee überzeugen, sind doch inzwischen gegen 100 Todesfälle bekannt. Und die Zahl wird wohl noch auf das Doppelte ansteigen.
Das Ritual unterscheidet sich radikal von den Dramen wie beispielsweise bei der Jim-Jones-Sekte oder den Sonnentemplern. Doch den Irrsinn begründeten alle Todessekten mit religiösen oder spirituellen Ideen und Argumenten.
Mackenzie ersann sich eine besondere Begründung. Er machte seinen Anhängern weis, sie müssten sich zu Tode hungern, um Jesus zu begegnen. Dahinter verstecken sich Endzeitsehnsüchte, die auch bei den meisten kollektiven Sektendramen eine zentrale Rolle spielten.
Aussicht auf Jesus besiegte die Angst
Apokalyptische Ideen fallen vorwiegend in radikalen christlichen Gemeinschaften auf fruchtbaren Boden. Schliesslich war Jesus persönlich überzeugt, dass mit seinem Wirken auf der Erde der Grundstein für die baldige Endzeit gelegt sei. Für die Anhänger der kenianischen Freikirche war deshalb die verheissene Begegnung mit dem Sohn Gottes plausibel. Die Aussicht, dem Sohn Gottes leibhaftig zu begegnen, war offensichtlich stärker als ihre Todesängste.
Es gibt keine stärkere menschliche Energie als den religiösen Wahn.
Doch weshalb der Tod durch Verhungern? Darüber kann vorläufig nur spekuliert werden. Möglicherweise wählte Mackenzie diese Methode, weil er glaubte, strafrechtlich nicht belangt werden zu können. Schliesslich haben sich die Gläubigen in seinen Augen freiwillig entschieden, die Begegnung mit Jesus dem Jammertal auf der Erde vorzuziehen.
Dass der Sektenführer eine Mitschuld trägt, weil er durch die geistige Manipulation und religiöse Indoktrination die Leute in den Tod getrieben hat, schien ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein. Und dass er den vom Tod gezeichneten Mitgliedern keine Hilfe leistete, dürfte die Gerichte ebenfalls interessieren.

Paul Mackenzie Nthenge bei seiner Verhaftung letzte Woche.screenshot: youtube/ktn news
Mächtiger als die Mutterliebe
Wie auch immer: Das tödliche Ritual kann nur im Hirn eines religiösen Fanatikers gereift sein. Das Drama zeigt auch, dass man mit religiösen Argumenten bei Menschen eine Todessehnsucht erzeugen kann, die stärker ist als der Überlebenstrieb.
Diese zerstörerische Kraft ist sogar mächtiger als die Mutterliebe, haben doch Frauen ihre Kinder verhungern lassen und ihnen beim Sterben zugeschaut. Es gibt tatsächlich keine stärkere menschliche Energie als den religiösen Wahn.
Ratlos macht auch der Umstand, dass der Pastor sein tödliches Ritual monatelang ungestört betreiben konnte. Dies dürfte unter anderem dem Umstand geschuldet sein, dass es sich bei der Sekte um eine Freikirche handelt. Das Label «christlich» gilt weit herum als Gütesiegel. Formal hatte er seine Gemeinde 2019 zwar aufgelöst, weil die Behörden auf ihn aufmerksam geworden waren. Doch folgten ihm viele seiner Anhänger weiter, als er in den Shakahola-Wald zog, wo er ein riesiges Grundstück erworben hatte.
Wer sich als Pastor ausgibt und eine christliche Gemeinschaft leitet, dem begegnen die meisten Leute und Behörden mit Wohlwollen. Nur so ist es zu erklären, dass die Behörden nach den ersten Todesfällen nicht Alarm schlugen und später den kurzzeitig verhafteten Pastor gegen eine lächerliche Kaution wieder laufen liessen.
Behörden zögerten
Erst als die Zahl der Leichen sprunghaft angestiegen war, nahmen die Justizbehörden den Pastor fest. Eigentlich müssten auch jene Polizisten und Richter zur Rechenschaft gezogen werden, die nach den ersten Berichten über die Todesfälle nicht sofort eingriffen. Sie hätten wohl das Leben von mehreren Gläubigen retten können.
Das abartige Todesritual des Pastors macht deutlich, dass ein religiöser Wahn Geistliche zu seelenlosen Wesen machen kann, die sich am Tod ihrer Gläubigen ergötzen. Das Missbrauchspotenzial ist so gross, weil es vermeintlich um das Letzte und Höchste geht. Um ein angeblich ewiges Leben nach dem irdischen Tod und um die Erlösung und den Gewinn einer neuen Existenz im Jenseits. Das sind Dimensionen, die unser geistiges Fassungsvermögen übersteigen und Gläubige fanatisieren lassen.
Ein radikaler Glaube führt immer zu Problemen und Konflikten. Zum Glück endet er selten so dramatisch wie bei der kenianischen Freikirche.

Bild: zvg
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig:
Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem
Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.
Du kannst Hugo Stamm auf
Facebook und auf
Twitter folgen.
Nico und Noah kochen Pilze – und fackeln die Küche ab
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Ja. Dein Chef geniesst eine weitgehende Kündigungsfreiheit. Auch anstellen darf er, wen er möchte. Das Bundesgericht wird ihn nur dann stoppen, wenn die Kündigung missbräuchlich war.
Auch die launigste Arbeitgeberin hat sich zwar an Kündigungs- und Sperrfristen sowie an das Gleichstellungsgesetz zu halten, kann dich aber im Übrigen entlassen, wenn sie gerade Lust dazu hat. Sie darf auch die Altersguillotine einsetzen. Nur wenn du einem GAV unterstellt bist oder einen öffentlich-rechtlichen Arbeitsvertrag hast, bist du allenfalls vor altersdiskriminierenden Kündigungen geschützt.