Mit «Dreams» veröffentlichten die Macher von «Little Big Planet» im Februar 2020 einen Kreativbaukasten, der es Nutzern – ganz ohne Programmierkenntnisse – ermöglicht, eigene Spiele aus praktisch jedem Genre auf die Beine zu stellen. Seither spriessen neue Nutzerkreationen wie Pilze aus dem Boden. Einige der Interessantesten stellen wir in diesem Artikel vor. Ausserdem verrät Tom Dent, Senior Community Manager bei Media Molecule, wie ein schneller Start in die Materie gelingt und welche neuen Funktionen in Zukunft noch auf der Agenda stehen. Los geht’s!
Mit über 52.600 «Daumen hoch»-Markierungen gehört «Pip Gemwalker» zu den ältesten und beliebtesten Nutzerkreationen in «Dreams». Im Mittelpunkt des knallbunten Abenteuers steht das knuffige Faultier Pip, das eines Tages von einem auf die Erde fallenden Riesen-Edelstein jäh aus dem Tiefschlaf gerissen wird. Pip steigt von seinem Baum, berührt den Klunker und muss erstaunt feststellen, dass er sich plötzlich deutlich schneller bewegt als sonst. Fasziniert vom Effekt der Steine, macht er sich auf den Weg, um mehr davon zu sammeln.
Das nun folgende Spielprinzip erinnert an Nintendos «Captain Toad: Treasue Tracker» und konfrontiert Puzzle-Plattform-Fans mit sieben mit viel Herzblut entworfenen Levels, die es genauestens zu inspizieren gilt. Denn die zum Lösen eines Levels erforderlichen Edelsteine lassen sich meist erst dann aufstöbern, wenn man jede Wand und jeden Durchgang aus allen Blickwinkeln betrachtet.
Während Pip anfangs nur klettern, springen und graben kann, muss er sich später ausserdem mit Feinden und beweglichen Hindernissen auseinandersetzen. Tolle Idee der Entwickler: Dem Spiel liegt eine Art Level-Schablone bei, die es anderen «Dreams»-Nutzern erlaubt, ohne allzu grossen Aufwand komplett eigene Herausforderungen zu erstellen.
Der 2D-Plattformer «Kuro: A Shadow’s Dream» von Bawnanable sieht nicht nur wunderschön aus, sondern punktet obendrein mit pfiffigen Gamedesign-Ideen. Während der Spieler Ninja Kuro durch vier kurze Level lotst, stösst er immer wieder auf Power-up-Kristalle, die ihn schneller rennen, zweifach springen, weiter gleiten oder kurzzeitig schweben lassen. Das Herausfordernde dabei: Die an vorgegebenen Orten platzierten Kristalle können zwar beliebig oft aktiviert werden, ihr Effekt hält jedoch nur wenige Sekunden lang an.
Wer also beispielsweise einen Steinhang mit Doppelsprüngen erklimmen will, muss zunächst den Doppelsprung-Kristall finden, ihn berühren und dann sofort die entsprechende Passage in Angriff nehmen, bevor die Fähigkeit wieder abklingt. Das Prinzip klingt simpel, wird aber bereits nach kurzer Zeit sehr gekonnt variiert – etwa indem der Spieler zwei Fähigkeiten miteinander kombinieren muss, um einen Abschnitt zu meistern.
Grösster Wermutstropfen: Was famos beginnt, ist nach knapp 23 Minuten schon wieder vorbei. Unterm Strich trotzdem ein famoses Beispiel für ein sehr professionell inszeniertes Spiel, dem definitiv noch mehr Aufmerksamkeit gebührt. Gleiches gilt für Entwickler Bawnanable, der in der Zwischenzeit mit «Digit’s Droid» und «Gloom: The Last Survivor» weitere, ziemlich vielversprechende «Dreams»-Projekte an den Start gebracht hat.
Eigentlich will Ethan einfach nur, wie jeden Morgen, ganz entspannt zur Arbeit laufen. Doch kaum ist das Haus verlassen und die erste Strassenkreuzung überquert, rücken ihm zahlreiche grünäugige Maskenträger mit elektrisch aufgeladenen Schlagstöcken auf die Pelle. Ethan schlägt wacker um sich, zieht die Angreifer aus dem Verkehr, muss dann allerdings feststellen, dass dies erst der Anfang war und Ausserirdische seinen geliebten, ganz aus Süssigkeiten bestehenden Heimatplaneten auf dem Gewissen haben.
Was folgt, ist ein knapp 35-minütiges, mit viel Charme, reichlich Abwechslung und verrückten Ideen gespicktes 3D-Abenteuer aus Seitenansicht, das Ethan bis ins Herz der Alienbasis schickt. Schön auch die Sprachausgabe, die komplett in Spanisch mit englischen Untertiteln daherkommt und so für einen ganz eigenen Flair sorgt.
Tipp: Wer beim Spielen alle 99 Schokoriegel einsammelt, schaltet das geheime Spielende frei.
Seit Juli 2020 unterstützt «Dreams» auch Sonys PlayStation VR-Headset. Hunderte Nutzer haben seitdem eigene VR-Spiele veröffentlicht. Eines der spassigsten hört auf den Namen «Wingsuit World» und lässt Spieler in die Rolle eines Extremsportlers schlüpfen, der sich im orange-schwarzen Fluganzug wagemutig in die Tiefe stürzt. Sein Ziel: Ein riesiger Stapel Heuballen am Fusse eines Tals in Österreich.
Hier sicher zu landen, ist allerdings schwieriger als erwartet, denn wer sich einen Platz in der «Wingsuit World»-Weltrangliste sichern möchte, muss auf seinem Weg möglichst viele Ballons einsammeln. Weiterer Nervenkitzel gefällig? Dann am besten mal in VR aus der Helmperspektive spielen und zusätzlich nach dem goldenen Ei Ausschau halten, das den Punktestand bei einer sicheren Landung gewaltig in die Höhe schraubt.
Dass «Dreams» sich auch ganz hervorragend für das Erstellen von klassischen Adventures eignet, stellt die «Pig Detective»-Reihe von SebastianTeamPD eindrucksvoll unter Beweis. Insgesamt drei Teile haben er und seine Truppe mittlerweile auf die Beine gestellt – ein vierter befindet sich bereits in Arbeit. Held der in einer Tierwelt angesiedelten Handlung ist dabei stets Pig Detective, ein Hut tragender Kommissar, der Hals über Kopf in immer neue Kriminalfälle stolpert.
Den Auftakt der Reihe bildet «Pig Detective 1 – A Little Trouble in Little Cologne». Schon hier begeistern die Entwickler mit einer humorvollen, komplett vertonten Handlung. Da ein Durchspielen jedoch kaum mehr als 15 Minuten dauert, legten die Entwickler bei «Pig Detective 2 – Adventures in Cowboy Town» nochmal eine ordentliche Schippe drauf, erhöhten die Spielzeit auf knapp 90 Minuten, fügten einen kompletten Soundtrack hinzu und ergänzten eine Prise Romantik. Lohn der Mühe? Eine «Traum des Jahres» Auszeichnung bei den Impy Awards, einer jährlich stattfindenden, von «Dreams»-Entwickler Media Molecule ins Leben gerufenen Preisverleihung.
Highlight der Reihe bleibt jedoch «Pig Detective 3 – Death on Detox Island», welches den Protagonisten auf eine Ferieninsel verschlägt und Adventure-Fans knapp sechs Stunden bestens unterhält. Nicht nur das: Grafisch und in Sachen Storytelling ist ein weiterer, klarer Evolutionssprung zu erkennen. Unbedingt ausprobieren!
Auf den ersten Blick wirkt «Tectonic» von Entwickler Sanderobros wie ein wirklich gut gemachter «Need for Speed»-Verschnitt. Man sitzt am Steuer eines frisierten PS-Boliden, brettert mit Vollgas einen Highway entlang und driftet mit angezogener Handbremse durch enge Kurven, während sich im Hintergrund die untergehende Sonne in der Hochglanzlackierung spiegelt.
Der eigentliche Wow-Effekt stellt sich jedoch erst ab Runde zwei eines Rennens ein. Denn plötzlich erklingen im Hintergrund laute Alarmsirenen. Dicht gefolgt von einem Mega-Erbeben, das das Stadtbild komplett verändert. Das Riesenrad an der Strandpromenade kippt um und verengt die Fahrbahn, Brücken stürzen krachend in sich zusammen und zwingen zu hektischen Ausweichmanövern und wo sich eben noch eine kerzengerade Schnellstrasse befand, taucht mit einem Mal ein U-Bahn-Tunnel auf, der den Streckenverlauf unterirdisch fortsetzt.
«Tectonic» macht seinem Namen alle Ehre, sieht toll aus und weckt Erinnerungen an ähnlich strukturierte Rennspiele wie «Split/Second» oder «MotorStorm Apocalypse». Im Gegensatz zu den eben genannten Inspirationsquellen kann man das hier allerdings auch in VR spielen, was für weitere Adrenalinkicks sorgt. Schade nur, dass es bisher lediglich eine Strecke gibt.
Auf der Suche nach noch mehr Racing-Action? Dann am besten auch mal «Dreams»-Kreationen wie «Turbo Racing 2: Motorsports», «SlidEout 3019», «Driving the Dreams», «Race: Sprint Time Trial» und «Galaxy Racer» ausprobieren!
Sei es nun «Treppauf und Treppab», «Belvedere» oder «Wasserfall» – die sogenannten «unmöglichen Figuren» des holländischen Künstlers Maurits Cornelis Escher sind weltweit bekannt und haben auch die Videospielbranche immer wieder inspiriert. Heraus kamen Werke wie «Monument Valley» oder «Echochrome», bei denen es in erster Linie darum geht, optische Illusionen so zu manipulieren, dass dadurch neue Pfade entstehen, über die die Spielfigur dann einen vorgegebenen Zielpunkt erreicht.
Dreams-Bastler RbdJellyfish greift dieses Spielprinzip auf und erschuf damit «A Little Perspective». An Stelle animierter Spielfiguren steuert man hier allerdings einen roten Würfel, der sich einen Weg durch zunehmend komplexer werdende Level bahnt. Prima Idee: Genau wie bei «PIP Gemwalker» erhalten alle Träumer über die Remix-Funktion Zugriff auf eine professionell gestaltete Design-Vorlage, die das Entwerfen eigener Zusatzlevel deutlich vereinfacht.
Die «Dreams»-Kreativwerkzeuge eignen sich im Speziellen für den Bau dreidimensionaler Spielerfahrungen. Dennoch ist es zahlreichen Mitgliedern der Community gelungen, 2D-Erlebnisse damit zu erstellen. Eines der wohl eindrucksvollsten heisst «Cyber Trigger», stammt aus der Feder von Paulo Lameiras und präsentiert sich als actiongeladener Retro-Plattformer im Metroidvania-Stil.
Star des Abenteuers ist ein kampferprobter Raumfahrer, der die verzweifelten Bewohner eines fremden Planeten vor schiesswütigen Robotern, wuseligen Käferwesen und allerlei anderen Störenfrieden retten muss. Damit das gelingt, ist viel Geschicklichkeit, eifriges Münzensammlen sowie ständiges Verbessern der Ausrüstung gefragt. Das Schöne an diesem Traum: Er macht nicht nur Laune, sondern ist auch als Remix freigegeben, kann also als Blaupause für eigene 2D-Spiele genutzt werden.
Keine Frage, «Dreams» hat gigantisches Potential und wird uns noch viele spannende Indie-Erfahrungen bescheren. Doch wie geht man nun eigentlich am sinnvollsten vor, um selbst einen spielbaren Traum zu erschaffen? Tom Dent, Community Manager bei Media Molecule und ebenfalls begeisterter Baumeister, rät Neueinsteigern vor allem Folgendes: «Der wichtigste Ratschlag ist, mit den Tutorials anzufangen, zumal sie der mit Abstand beste Weg sind, alle Grundlagen ohne Umschweife zu lernen. Die Tutorials führen dich durch alle fundamentalen Dinge – Spiellogik, Modellierwerkzeuge, Animationen und so weiter.
Einmal die Tutorials abgehakt, geht es dann darum, sich weiter reinzufuchsen. Ich empfehle immer, nicht zu gross anzufangen. Starte zum Beispiel damit, eine Plattform für eine Figur zu animieren, damit diese von A nach B kommt, und arbeite dich dann von dort aus weiter vor. Wer dagegen sofort mit dem Gedanken durchstartet, den nächsten grossen Plattformer auf die Beine zu stellen, wird wahrscheinlich frustriert sein. Genauso wie man wahrscheinlich Frust erlebt, wenn man versucht, aus dem Stegreif einen Hitsong auf der Gitarre zu spielen», erklärt Dent.
Und fährt fort: «Wenn man seine erste Kreation dann aber erst einmal fertiggestellt und im Traumiversum veröffentlicht hat und dann auch noch Community-Feedback eintrudelt, stellt sich ein Gefühl der Befriedigung ein, das nur schwierig zu überbieten ist. Hinzu kommt: Die Community ist wirklich sehr unterstützend, egal welches Talent ein Creator mitbringt. Neuen Spielern gegenüber ist sie sehr aufgeschlossen. Allein schon durch die Interaktion mit anderen Dreams-Nutzern – sei es nun via Social Media, im Stream oder über das spielinterne Kommentarsystem – lernt man unglaublich viel.»
«Dreams» ist nun schon knapp 13 Monate auf dem Markt. In dieser Zeit hat das im britischen Brighton stationierte Studio bereits eine ganze Reihe an Verbesserungen vorgenommen. Nebst Anpassungen des Audio-Aufnahme-Tools, Performance-Optimierungen, mehr Sharing-Möglichkeiten sowie Dutzenden Usability-Neuerungen zählt hierzu insbesondere die Ergänzung eines VR-Modus im Sommer 2020.
Aber auch zukünftige Features machen neugierig. «Wir halten unsere Community mit einer online einsehbaren Trello-Roadmap auf dem Laufenden», verrät Dent im Interview. Schaut man sich eben diesen Fahrplan genauer an, ist dort für die nahe Zukunft u.A. von einer brandneuen Audio-Import-Funktion, überarbeiteten Playlist-Funktionen und einem «Uralte Gefahren» Content-Pack die Rede.
Für die fernere Zukunft plant Media Molecule zudem bessere Zerstörungseffekte, mehr Scripting- und Such-Funktionen, eine Export-Funktion für 3D-Drucker und – ganz wichtig – die Möglichkeit, Online-Mehrspieler-Erfahrungen zu erschaffen. «Noch sind wir nicht so weit, ausführlich über die Veröffentlichung des Mehrspielermodus zu sprechen, aber natürlich ist das ein vielfach gefordertes Feature unserer Fans», verrät Dent.
Gleichzeitig weist er jedoch auf die damit verbundenen Herausforderungen hin: «Wir müssen neue Werkzeuge und neue Gadgets zur Verfügung stellen und zudem sicherstellen, dass bereits existierende Kreationen, die im Vorfeld für Mehrspielermodi ausgelegt wurden, auch tatsächlich mit diesen Neuerungen funktionieren. Dennoch: Es wird eine spannende Ergänzung zum Traumiversum, und ich gehe davon aus, dass der Multiplayer-Modus viele neue Fanideen zum Leben erwecken wird.»
Stichwort Fans: Die sind weiterhin sehr angetan von «Dreams». Hört man sich in der Community um, äussern einige Kreatoren allerdings vermehrt Bedenken, dass die Zahl der aktiven Spieler nicht mehr hoch genug sei. Bei einigen würde das wiederum auf die Motivation drücken, weitere Inhalte für «Dreams» zu veröffentlichen. Wie genau Media Molecule mit dieser Problematik umgehend wird, bleibt abzuwarten. Ein probates Gegenmittel wäre in jedem Fall eine PC-Umsetzung – ein Weg, den Publisher Sony zuletzt sehr erfolgreich mit dem Open-World-Hit «Horizon: Zero Dawn» beschritt und 2021 ein weiteres Mal mit einer PC-Umsetzung des PS4-Zombie-Abenteuers «Days Gone» gehen wird.
Und wie sieht Tom Dent diesen Ansatz? «Wir diskutieren die Möglichkeiten und Chancen einer PC-Version von Dreams. Aber aktuell ist das ein Thema, über das wir noch nicht sprechen können.»