Schaut mal in den Fotoalben eurer Grosseltern nach. Ihr werdet zweifelsohne feststellen: Wow, damals kleidete man sich anders.
Bravo, Captain Obvious! Ja, Mode und Kleidernormen ändern sich seit je her. Miss-Sixty-Hosen in den Nullerjahren. Schulterpolster in den Achtzigern. Plateauschuhe in den Siebzigerjahren.
Doch in der Alltagsmode ist ein markanter Bruch Anfang Siebzigerjahre feststellbar. Vorher: nett und adrett …
Nachher: ziemlich grauenhaft.
Nochmals: Nehmt die Fotos eurer Grosseltern zur Hand! Unabhängig von der sozialen Schicht – ob Büezer, Bürolist, Akademiker oder Künstler: Bis Ende der Sechzigerjahre hatte der Kleiderstil etwas Schlichtes, Schickes. Ein Herrenanzug war Alltagsbekleidung. Frauen trugen Deux-Pièces auch an einem freien Tag. Und weit und breit keine Sportschuhe in Sicht.
Und dann blätterst du ein wenig weiter im Fotoalbum – wir befinden uns nun in den Siebzigerjahren – und, … wow. Synthetische Trainingsanzüge in Orange und Braun. Schlecht sitzende Jeans. Beliebige T-Shirts mit hässlichen Logos einer Lokalbank oder einer Touristenattraktion.
Was war passiert?
Gewiss trugen diverse ökonomische und technische Faktoren zum Wechsel bei. Etwa der bereits zwei Jahrzehnte zuvor begonnene und nun vollzogene Wechsel weg von der Schneiderei und hin zu billigeren, massenproduzierten Kleidungsstücken, die nun in Kaufhäusern gekauft wurden. Und damit auch die Akzeptanz des Konzepts, dass Kleidung eher zum Wegwerfartikel wird als etwas, das bei Abnutzung geflickt werden kann.
Auch hatten Einflüsse mitunter exzentrischer Kleidungsstile diverser Jugendsubkulturen ihren Weg in die Mainstream-Mode gefunden. Natürlich waren diese Anklänge stark verwässert und meist unbeholfen interpretiert – aber Bell-Bottom-Jeans, wie sie ursprünglich von ein paar wenigen Hippies getragen wurden, waren ab Mitte der Siebziger Standard.
Aber ich vermute, dass vor allem eines dazu betrug, dass Alltagsbekleidung auf ein Schlag hässlich wurde: Sport.
Damals, in den Siebzigerjahren, nämlich, hielt Sportbekleidung Einzug in die Alltagsmode. Was bis anhin eine technische Bekleidung für spezifische sportliche Aktivitäten gewesen war, wurde zur akzeptierten Alltagskleidung. Joggingschuhe. Traineranzüge. Skijacken. Mannschaftstrikots.
Und dann gab es Mitte der Siebziger noch einen weltweiten Jogging-Boom – und schon waren Jogging-Shorts und Trägerleibchen akzeptiert. Später kam der Aerobic-Trend der Achtzigerjahre und … hallo, Stulpen!
Auf ein Schlag galt es als «gschtopft», einen Anzug zu tragen – als gäbe es keinen Unterschied zwischen formeller Abendgarderobe und den schlichten, aber dennoch stylishen Anzügen, die wir in den Ferienfotos der Sechzigerjahre sehen. Nö, jeder mit Kravatte war auf einmal ein stierer Siech. Eine Frau in gut sitzenden Kleidern galt fortan als «unnatürlich». Aufgedonnert. Verklemmt (jap, hier kam noch eine hübsche Portion Misogynie dazu).
Hey, es ist ja mitnichten so, dass vor 1974 jeder Mann ausschliesslich Anzug und Krawatte trug und jede Frau stets Kleid und Stöckelschuhe. Freizeitmode existierte schon immer.
Ebenfalls verlangten die Anforderungen bestimmter handwerklicher Berufe nach spezifischer, geeigneter Kleidung, weshalb seit je her T-Shirts und Jeans getragen wurden. Und Sportbekleidung gab es auch ... für sportliche Betätigungen. Sweatshirts, Hoodies, Trainerhosen wurden beim Aufwärmen auf dem Sportplatz getragen. Tennisschuhe auf dem Tennisplatz. Trägerleibchen beim Rudern. Und Skijacken beim Skifahren. Verdammt.
Heute trägt bei niedrigen Temperaturen jeder und jede eine Skijacke (oder zumindest eine Abwandlung davon). Auch in der Stadt, wo es weit und breit keine Skipiste gibt. Ein Mantel hat Seltenheitswert. Dies nahm seinen Anfang in den Siebzigerjahren – und hält bis heute an.
Und nun der obligate Disclaimer, denn, nein, ich bin kein Ewiggestriger. Hey, moderne Textilien sind leichter, atmungsaktiver und allgemein ... angenehmer. Und die soziale Akzeptanz, dass jeder und jede sich verdammt nochmal so kleiden darf, wie er oder sie es auch immer will, ist nicht nur begrüssenswert, sondern eine Selbstverständlichkeit. It's a free country.
Geht es aber rein um die Ästhetik, kommt man aber nicht herum festzustellen, dass unsere Grosseltern stilvoller unterwegs waren. Geht es um Style, dann gilt offenbar: Sport ist Mord.
P.S. – Ähnlich verhält es sich mit Autos: Moderne Wagen sind besser und sicherer ... und hässlicher.