Leben
Musik

Radio ohne Capital Bra: Darum spielen SRF, Energy und Co. «Prinzessa» nicht

Darum spielen Schweizer Radios den aktuell erfolgreichsten Song nicht

«Prinzessa» von Rapper Capital Bra steht auf Platz 1 der Schweizer Hitparade. Der Song findet im Radio aber kaum statt – wegen anstössiger Inhalte.
12.02.2019, 06:5212.02.2019, 07:19
Michael Graber / ch media
Mehr «Leben»

Früher hiess es mal: Das Radio macht die Hits. Später hiess es: Das Radio spielt die Hits. Und heute? Das Radio spielt sie nicht einmal mehr. Auf Platz 1 der Single-Charts stand letzte Woche Capital Bra mit «Prinzessa», doch im vergangenen Monat wurde der Song genau einmal gespielt: In der Hitparadensendung.

Der erfolgreichste Song der Schweiz findet am Radio nicht statt. Nicht nur auf SRF 3 nicht, sondern auf allen Radiostationen des Landes.

Schweizer Radios haben kein Gehör für Capital Bra.
Schweizer Radios haben kein Gehör für Capital Bra.Bild: dieserbobby/Two Sides

Wer Capital Bra hören will, muss das auf anderen Kanälen tun. Und ganz offensichtlich tun das die jungen Hörer. Auf Spotify hat «Prinzessa» weit über 10 Millionen Klicks. Im Resultat bedeutet das Platz 1 in den Charts – ohne jegliches Radio-Airplay.

Bei SRF 3 werden Songs mit anstössigem Inhalt in der Chartshow gespielt, aber in der Anmoderation weist der Moderator darauf hin, dass der nachfolgende Song anstössige Inhalte vermittelt, erklärt Michael Schuler, Leiter der SRF-Musikredaktion.

In Capital Bras Texten geht es oft um Drogen, Frauen, Sex, Gewalt. «Prinzessa» wäre da eigentlich sogar noch eines der harmloseren Lieder, «Hurentochter» ist mit Abstand expliziter. Gemessen an den omnipräsenten «Bitches» und «Motherfuckers» in englischen Texten ist dies aber herzlich harmlos – Capital Bras Nachteil ist, dass man ihn versteht.

Sendet SRF am Publikum vorbei?

Ganz allgemein ist derzeit gerade im deutschen Rap eine Verrohung der Sprache zu beobachten. Wo es früher um Wortspiele ging, dreht sich nun vieles um Angebereien, Gewalt und Drogen. Der letztjährige «Echo»- Skandal um Kollegah und Farid Bang war da nur die Spitze des Eisbergs.

Was die Radios vor eine Herausforderung stellt, ist die Tatsache, dass genau diese Musik am meisten gehört wird auf den Streaming-Diensten. In den Schweizer Spotify-Charts rangieren sehr viele sehr explizite Songs ganz vorne – im hiesigen Radio kommen diese höchst selten bis gar nicht vor. Überspitzt könnte man sagen, dass die Radiostationen an ihrem Publikum vorbeisenden.

Hier kannst du dir «Prinzessa» anhören:

Schuler verneint das: «Es gibt Hörerbefragungen, die interessanterweise aussagen, dass auch eigentliche Fans solcher Musik diese nicht unbedingt am Radio hören wollen.» Dabei gehe es um Abgrenzung: «Was ich daheim höre und was am Radio, sind für viele Junge zwei paar Schuhe», erklärt Schuler.

Aber natürlich, so räumt auch der SRF-Musikchef ein, diskutiere man in der Redaktion immer wieder über solche Themen. «Nur weil wir es heute nicht spielen, heisst es nicht, dass wir das in zwei Wochen immer noch nicht tun», so Schuler. Momentan habe das Musikgremium entschieden, dass Capital Bra und Co. nicht zum Musikprofil eines SRF 3 passen.

«Bei polarisierender Musik muss man gewisse Grenzen ziehen, ohne deswegen eine Zensurbehörde zu sein.»
Michael Schuler, Leiter der SRF-Musikredaktion

«Die neue Messbarkeit macht es manchmal schwierig, solche Entscheidungen zu treffen», sagt Schuler. Per Klick- und Streamingzahlen sehe man, dass dieser Song gehört werde, «da braucht es durchaus auch Mut zu sagen: Der passt nicht zu uns. Schliesslich ist jeder Radiosender auf Reichweite angewiesen.» Im Moment glaubt Schuler aber, dass man mit solchen Songs mehr Hörer vertreiben würde, als neue zu gewinnen.

Trotzdem: Wäre es nicht auch Aufgabe gerade eines Service-public-Senders, das abzubilden, was im Land gehört wird? Schuler winkt ab: «Wenn 25 Prozent der Bevölkerung diese Musik hören, sind es immer noch 75 Prozent, die das nicht tun.»

Gerade bei polarisierender Musik müsse man «gewisse Grenzen ziehen, ohne deswegen eine Zensurbehörde zu sein». Das Phänomen sei auch nicht ganz neu, so Schuler, «Ein Stern» von DJ Ötzi habe SRF 3 zum Beispiel vergleichsweise nur rund 50 Mal gespielt – «jedes Mal, wenn er in den Charts war. Sonst hat er nicht in das Programm von Radio SRF 3 gepasst.»

Was Schuler auch weiss: Die Zeiten ändern sich. Vieles, was den Radiostationen früher zu progressiv und krawallig war, läuft zehn Jahre später wie selbstverständlich im Tagesprogramm. Bestes Beispiel ist «Je t’aime … moi non plus» von Jane Birkin und Serge Gainsbourg. Spätestens als «Oldie» wird dann wohl dereinst sogar «Prinzessa» von Capital Bra auf SRF 3 gespielt werden.(aargauerzeitung.ch)

Voilà, écoute bien: 

Lo & Leduc bestreiten das schwierigste Music-Quiz der Welt

Video: watson/Laurent Aeberli, Nico Franzoni

Musik

Alle Storys anzeigen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
183 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
why_so_serious
12.02.2019 07:31registriert April 2015
SRF3 hat ohnehin nur 75 Lieder, die sie immer wieder spielen. Bei dem Lied verpasst man aber mMn nichts. Aber die heutigen Trends in Musik verstehe ich so wenig, wie Hochwasserhosen und gleichzeitig dicke Winterjacken zu tragen.
74592
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rammaar
12.02.2019 07:32registriert November 2018
Kapitel bla ist Nr. 1 in der Chart Schweiz? Nun denn, Zeit für mich in den Urwald zu ziehen👌
65335
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kalsarikännit
12.02.2019 07:51registriert Februar 2018
"Capital Bras Nachteil ist, dass man ihn versteht."

Also ich habe bei der Hörprobe absolut nichts verstanden... Jäno ¯\_(ツ)_/¯
1205
Melden
Zum Kommentar
183
«Titanic»-Holzplatte (auf der Jack imfall auch Platz gehabt hätte) versteigert

Die berühmte «Titanic»-Holzplatte, die im Film Hauptfigur Rose DeWitt, aber nicht Jack Dawson rettete, ist versteigert worden.

Zur Story