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Coronavirus Schweiz: Warum Daniel Koch am Ende doch richtig lag

Offen gesagt

«Lieber Herr Koch, ich habe mich geirrt ...»

Der Bundesrat beschliesst erneut weitestreichende Lockerungen der Corona-Massnahmen. Wir können es wagen, denn der Fisch riecht vom Kopf her.
27.05.2020, 18:2928.05.2020, 10:23
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Lieber Herr Koch

Gestern war Ihre letzte bundesrätliche Medienkonferenz als «Mr. Corona» des Bundesamtes für Gesundheit und der Schweiz. Ich finde, das ist ein guter Anlass, um Ihnen zu danken. Denn dazu sind wir alle verpflichtet.

Kürzlich habe ich dem Coronavirus geschrieben, es möge uns gnädig sein. Der bundesrätliche Lockerungsplan für den 11. Mai schien mir etwas gewagt, angesichts der Tatsache, dass wir ressourcenmässig mehr schlecht als recht auf die Einhegung neuer Ausbrüche vorbereitet waren.

Ich hatte mich geirrt. Es ist alles gut gegangen, die Fallzahlen sind trotz voller Baumärkte, Coronapartys und Maskenphobie seither nicht gestiegen, sondern eher noch gesunken.

Das ist Ihr Verdienst. Und das von Herrn Berset. Sie sind die prägenden Köpfe des Landes in dieser komplizierten Zeit. Und der Fisch riecht ja immer vom Kopf her, wie man so schön sagt.

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Sie haben sich in Ihrem Verantwortungsbereich zwar längst nicht überall mit Ruhm bekleckert. Sie haben das Virus zu lange verharmlost, die Pandemie-Vorkehrungen verpennt und Maskentragen für unnütz erklärt.

Aber die alles entscheidende Sache haben Sie richtig gemacht: Sie haben die Bedrohung durch das Virus richtig eingeschätzt. Sie haben den Leuten wieder und wieder und wieder in eindringlichem, aber nüchternem Ton erklärt, wie die Situation ist. Und Sie sind davon ausgegangen, dass die Bevölkerung sich dann auch der Gefahr entsprechend verhält. Was sie getan hat.

Damit haben Sie mit einem Minimum an Zwangsmassnahmen und in kürzester Zeit Land und Leute in eine schwer zu fassende neue Realität begleitet, die mit der vorherigen Normalität nicht mehr viel zu tun hatte.

Das ist nicht selbstverständlich und hat nicht überall geklappt. Eigentlich nur in einigen wenigen Ausnahmefällen.

Es ist kein Zufall, dass Länder wie England, Russland, Amerika oder Brasilien in Sachen Corona mit Vollgas gegen die Wand fahren. Deren rechtspopulistischen bis autokratischen Regierungen tendieren dazu, die Realität einfach auszublenden, wenn sie ihnen nicht passt.

Und die Corona-Pandemie passt ihnen nicht, weil es die Wirtschaft, das Führerselbstbild, die Wiederwahl oder alles zusammen gefährdet. Also wird sie schlicht ignoriert. Mit dem so unvermeidlichen wie schrecklichen Resultat natürlich, dass sich die Leichensäcke schneller stapeln, als Gräber ausgehoben werden können.

Andere Regierungen wiederum haben es sich nicht zugetraut, das Verhalten der Bevölkerung mit Überzeugungskraft allein an die neue Realität anpassen zu können. Sie haben die Leute eingesperrt in monatelangen Komplett-Quarantänen. Das hat nachhaltige Renitenz hervorgerufen und die wird nicht hilfreich sein, sollten im Anzug einer zweiten Welle neue einschneidende Massnahmen umgesetzt werden müssen.

Es besteht die Gefahr, dass auch weite Teile der Bevölkerung die reale, aber abstrakte Bedrohung durch das Virus lieber ignorieren, als sich noch einmal einschränken zu lassen. Ganz nach dem Vorbild des amerikanischen Präsidenten.

In der Schweiz ist eine ähnliche Entwicklung nicht zu erwarten. Die Gruppe derjenigen, die sich lieber am Konzept «Grippe» statt an der Realität orientieren, beschränkt sich im Wesentlichen auf Kaliber wie Roger Köppel oder Marco Rima. Auf Hystrioniker aus der Unterhaltungsindustrie also, die wenig beizutragen haben und in der Versenkung verschwinden, wenn wirklich Probleme gelöst werden müssen.

Ich hoffe, ich irre mich nicht schon wieder. Aber die überwiegende Mehrheit der Leute in der Schweiz scheint sich weiterhin sehr vorsichtig und angepasst an die neue Situation zu verhalten. Anders ist die erfreuliche Fallzahlen-Entwicklung inSachen Ansteckungen und Hospitalisierungen seit dem 11. Mai nicht zu interpretieren.

Daran werden auch die heute beschlossenen Öffnungsschritte nichts ändern, solange Ihr Nachfolger und Ihr Chef kein Jota vom von Ihnen geprägten Kurs abweichen: ruhig, aber bestimmt die epidemiologische Realität darzulegen. Immer und immer und immer wieder.

Vielen Dank für alles und einen guten Ruhestand!

Mit freundlichen Grüssen

Maurice Thiriet

P.S.: Geben Sie mir doch bitte noch eine aktuelle Adresse durch, wir hätten da noch ein Memorabilium an Ihre Aktiv-Zeit.

Sars-Cov-2, Covid-19, Coronavirus – die wichtigsten Begriffe
Coronaviren sind eine Virusfamilie, die bei verschiedenen Wirbeltieren wie Säugetieren, Vögeln und Fischen sehr unterschiedliche Erkrankungen verursachen.

Sars-Cov-2 ist ein neues Coronavirus, das im Januar 2020 in der chinesischen Stadt Wuhan identifiziert wurde. Zu Beginn trug es auch die Namen 2019-nCoV, neuartiges Coronavirus 2019 sowie Wuhan-Coronavirus.

Covid-19 ist die Atemwegserkrankung, die durch eine Infektion mit Sars-Cov-2 verursacht werden kann. Die Zahl 19 bezieht sich auf den Dezember 2019, in dem die Krankheit erstmals diagnostiziert wurde.

Die wichtigsten Fakten zum Coronavirus: Symptome, Übertragung, Schutz.

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175 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lars mit Mars
27.05.2020 18:45registriert März 2020
Ich hätt nicht in seiner Haut stecken wollen...

Seine Ruhe und Überlegtheit waren grandios. Danke dafür.
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Bruno Wüthrich
27.05.2020 18:51registriert August 2014
Ein wirklich schlecht gewähltes Sprichwort.

Und es ist halt schon so: Die Fallzahlen beweisen, dass in der Schweiz, was diese Pandemie betrifft, sehr vieles richtig gemacht wurde. Mir kommt einzig und allein die späte Reaktion in den Sinn, wenn ich etwas kritisieren möchte.

Aber insgesamt wurde (und wird hoffentlich weiterhin) die Schweiz hervorragend durch die Corona-Krise geführt.
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m:k:
27.05.2020 18:36registriert Mai 2014
Ich glaube nicht, dass dies das passende Sprichwort ist um jemandem Lob auszusprechen.
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