Früher sass der Geissbock mit am Tisch, wenn ein Kännchen mit frischer Ziegenmilch zum Kaffee serviert wurde. Zumindest, was den Geruch angeht. Ein fürchterlicher Gestank, der einen glatt übel werden liess.
Für viele sind dies die letzten Erinnerungen an die Geissenmilch. Verbannt wurde sie vielerorts aus der heimischen Wohnung. Dabei hatte die Ziegenmilch, abgesehen von der Nase, in Sachen Verträglichkeit für manche schon damals Vorteile gegenüber der Kuhmilch. Gesund und vitaminreich ist sie sowieso – und die Sache mit dem Geruch lässt sich heute auch recht einfach lösen. Denn dass Ziegenmilch oft so penetrant nach der Erzeugerin riecht, liegt daran, dass sie sehr schnell den Umgebungsgeruch annimmt. Und im Stall riecht es nun mal stark nach Ziege. Mit neuen Melkmethoden, bei denen die Milch direkt in luftdichte Behälter geleitet wird, kann das stark abgemildert werden.
Ziegenmilch und ihre Folgeprodukte sind heute im Vergleich zu früher wesentlich leichter vermittelbar. Ausserdem hilft die Kombination aus Exotenstatus und regionaler Herkunft: ein Verkaufsargument.
Die Konsumenten scheint das mehr und mehr zu überzeugen: Bei Coop «steigt die Nachfrage nach Ziegenmilchprodukten seit längerem stark», sagt ein Sprecher auf Anfrage. Dies, während die Nachfrage nach Kuhmilch-Produkten zurückgeht. Ähnlich bei der Migros. Auch hier geht der Milchkonsum insgesamt zurück, wie das Unternehmen mitteilt. «Nischenprodukte auf Basis von Schaf- und Ziegenmilch sind dagegen eher stabil.»
Besonders beliebt bei beiden: Ziegenkäse. Schon heute bietet Coop über 20 verschiedene Produkte mit Käse von der Geiss im Online-Shop an – und stellt künftig noch mehr ins Regal: «Wir planen, das Ziegenkäse-Sortiment weiter auszubauen», heisst es beim Detailhändler.
Die Nachfrage ist da, in der Schweiz genau wie im Ausland. Das weiss kaum einer besser als der Milchverarbeiter Emmi. Ende letzter Woche gaben die Luzerner den Kauf der US-Firma Jackson-Mitchell («Meyenberg») bekannt – ein führender Ziegenmilch-Produzent der USA mit einem Umsatz von 30 Millionen Dollar. Analysten der Bank Vontobel schätzen den Kaufpreis auf rund 20 Millionen Dollar.
Es ist für Emmi bereits die fünfte Übernahme eines Ziegenmilch-Unternehmens im Ausland. «Wir sind inzwischen wohl einer der fünf grössten Anbieter von Ziegenmilchprodukten weltweit», sagte Emmi-Chef Urs Riedener gestern der «Schweiz am Sonntag».
Dass Riedener an das Potenzial der Ziegenmilch-Produkte glaubt, erklärte er bereits Ende letzten Jahres – und nannte auch gleich eine Zahl: Um jährlich 10 Prozent könne der Markt wachsen, sagte er. In der Schweiz bestehe ein «beträchtliches Potenzial für Ziegenmilchprodukte».
Für Jan Widmer, Analyst bei der St.Galler Kantonalbank, ist die Stärkung des Bereichs denn auch ein nachvollziehbarer Schritt: «Die Zukäufe von Ziegenmilch-Produzenten passen zur Strategie von Emmi», sagt er. Man wolle gezielt in Nischen investieren, die attraktiv sind und wachsen. Bei Produkten aus Ziegenmilch sei zudem eine vergleichsweise hohe Marge zu erzielen. Ein kleiner Ausgleich also zum darbenden (Kuh-)Milch-Markt.
Kommt jetzt also der Ziegenmilch-Boom? Nicht unbedingt. Zwar wird die Nische immer interessanter. Doch der Einstieg einer grossen Zahl von Milchverarbeitern wird wohl ausbleiben. So lässt Nestlé auf Anfrage wissen: «Nestlé Schweiz verarbeitet im Moment keine Ziegenmilch und es gibt aktuell auch keine Pläne, in dieses Segment einzusteigen.» Bei anderen Milchverarbeitern tönt es ähnlich.
Dass etwa Nestlé nicht in der Sparte aktiv ist, findet SGKB-Analyst Widmer einleuchtend: Der Konzern aus Vevey fahre eine andere Strategie als Emmi und investiere weniger in Nischenprodukte. «Nestlé hat andere Prioritäten», sagt Widmer.
Für Emmi lohnen sich die Investitionen in den Ziegenmilch-Bereich indes auf jeden Fall – auch wenn dieser nur einen sehr kleinen Teil vom Umsatz ausmacht: «In der Schweiz wird Emmi wohl im laufenden Geschäftsjahr leicht schrumpfen», erwartet Widmer. «Im Ausland aber wächst Emmi» – auch dank der gut laufenden Ziegenmilch-Produkte.
Hinter den letzten Zukäufen steckt denn auch eine langfristige Komponente. Sollte der Markt für Ziegenmilch-Produkte in nächster Zeit tatsächlich um jährlich zehn Prozent wachsen, wie von Emmi erwartet, braucht das Unternehmen einen Zugang zu den Ressourcen. «Die Zukäufe dienen auch dazu, diesen Zugang sicherzustellen», sagt Analyst Widmer.
Die Kuhmilch werden die Ziegen indes schon allein wegen der Grössenverhältnisse (des Marktes!) nicht verdrängen können: Von den rund 180'000 Tonnen Käse, die in der Schweiz pro Jahr verkauft werden, sind gerade einmal 0,5 Prozent aus Ziegenmilch gemacht. Allerdings schenken Firmen und Konsumenten den Geisslein immer mehr Aufmerksamkeit. (aargauerzeitung.ch)