Es ist unumgänglich. Ein Fakt. Hässlich und selbstherrlich. Das war schon damals so, als es darum ging, einen Text zu lesen und dazu eine Lernkontrolle wegen dem Textverständnis und so auszuführen. Und das ist jetzt so, wenn dich das A4-Couvert von der Gemeinde deines Vertrauens aus deinem Briefkasten schelmisch anlächelt.
Es ist eine Form des Gruppendrucks, Dinge nicht zu verstehen. Das wohlige Gefühl kollektiver Unwissenheit lockt zu lasziv, als dass es von der Bettkante deines inneren Schweinehundes gestossen werden könnte.
In der Schule mag es das Prinzip des Dreisatzes oder des Plus-que-Parfaits gewesen sein, das man «voll nicht gecheckt» hat, obwohl es eigentlich schon nachvollziehbar war. Nun ist es halt die Steuererklärung.
Lehn dich zurück und lebe in der tröstlichen Umnebelung der Vorstellung, dass eigentlich gar niemand irgendwas versteht, vor dich hin.
Den gesellschaftlichen Konsens der Prokrastination sträflich missachtend, gibt es tatsächlich mit beinahe gesetzartiger Voraussehbarkeit Aussenseiter, die sich der zu bearbeitenden Materie umgehend annehmen und dich dastehen lassen wie ein Steak im veganen Hipster-Superfood-Heil-Quinoa-Lädeli bei dir um die Ecke. Und dann lassen sie dich nicht mal abschreiben ...
Begegnungen mit Leuten, die mit der Idee des vereinten Nichtwissens brechen, sind schmerzhafte Lebenserfahrungen. Wenn du mit der Erwartung, dass dein Gegenüber kognitiv ähnlich genügsam ist, wie du es bist, eine Konversation eingehst und deine Ich-weiss-dass-ich-nichts-weiss-und-bin-stolz-drauf-Attitüde auf keine Resonanz stösst, kommt dies einem impliziten, hinterlistigen Verrat gleich.
Dem französischen Sozialwissenschaftler Michel Foucault würde an dieser Stelle das Wasser im Mund zusammenlaufen. Seine Idee des Panopticons implementiert, dass nicht effektiv überwacht werden muss, sondern lediglich das Gefühl vermittelt werden muss, dass man überwacht werden könnte.
So war es bei den Hausaufgaben (wir erinnern uns an das Abwägen, wie sehr die abgeschriebene Version verwässert werden muss, damit die Straftat nicht auffliegt) und so ist es bei der Steuererklärung (wenn du überlegst, ob es denn nun schlimm wäre, wenn nicht alles korrekt ausgefüllt wäre oder wenn du deine zwei Häuser im Engadin vergisst anzugeben).
Mit Steuern ist genauso wenig zu spassen wie mit den Hausaufgaben bei Frau Müller, die gerne mal stichprobenartig aus Hausaufgaben vorlesen liess. Und du weisst es.
Ganz tief in dir drin weisst du, dass es schon irgendwie seine Berechtigung haben wird, dass du dich gegenwärtig in einer vorübergehend misslichen Lage befindest. Aber eben nur ganz tief in dir drin. An der Oberfläche dominiert stures Aberkennen jenes Sinnes. Genau so, wie es noch nie Sinn gemacht hat, das zweiseitige Übungsblatt zum Prozentrechnen durchzubüffeln.
Bist du nicht der Ausreisser, der unter Punkt zwei aufgeführt wurde, ist für dich der Fall klar, dass «bis Ende März einreichen» nichts anderes heisst, als «frühestens am 31. März beachten». Frühestens. Analog dazu funktionierte früher der Satz «Ufzgi mache ich dann nach dem Abendessen».
Dies hat unweigerlich zur Folge, dass es am Schluss immer schön stressig wird. Das Damoklesschwert über dir wachend bist du plötzlich gezwungen, über dich hinaus zu wachsen. Früher hiess es zwei Seiten Voci in zwanzig Minuten reinzuwursteln, heute bedeutet es Lohnausweise und Spendenbescheinigungen aus der Luft zu zaubern. Aber wie du dir sicherlich bereits zu Primarschulzeiten gesagt hast: No pressure, no diamonds.
Irgendwann Ende März oder anfangs April oder im September (ja, so eine Fristerstreckung ist mittlerweile leicht zu erlangen, ich weiss) hat das Grauen ein Ende und du fühlst dich wie damals, als du die 20-Stöckli-Mathe-Ufzgi gerade noch so vor der Stunde irgendwie hinbekommen hast. Der Lerneffekt ist gering, aber was funktioniert, das funktioniert. Never change a winning team und so.