Die Gier nach Macht hält die Welt am Laufen. Für viele Menschen ist sie das Schmiermittel des Lebens. Allzu viele fühlen sich erst richtig lebendig, wenn sie Stärke markieren und Macht über andere ausüben können.
Doch nichts hat mehr Leid und Elend in die Welt gebracht als der Drang nach Macht. Dieser kann die Seele auffressen und aus Menschen – mehrheitlich Männern – unkontrollierbare Wesen machen, die an Kampfhunde erinnern. Ursache ist oft eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur, die sich durch eine verkümmerte Empathie und eine extreme Ich-Bezogenheit bemerkbar macht.
Doch nicht alle Machtmenschen müssen zu einem Stalin oder Hitler werden. Die meisten leben ihre destruktive Neigung in engeren sozialen Strukturen aus. An der Arbeit, in der Familie oder Beziehung.
Solche Machtmissbräuche finden wir auch im religiösen Umfeld. Und dies nicht zu knapp. Musterbeispiele sind Sektenführer, die das perfekte Biotop aufbauen, um ihren Machtdrang ungehindert ausüben zu können.
Dazu gehört auch, dass sie sich als Heilsbringer oder Gesandte Gottes aufspielen. Das ist für sie die Form der Macht mit der höchsten Legitimation. Sie müssen nicht die Ochsentour einer politischen Karriere auf sich nehmen, sondern können sich über Nacht zum Heilsbringer oder Stellvertreter Gottes ausrufen. Manche erküren sich gleich selbst zu Gott.
Die grösste Befriedigung finden die Sektenführer, wenn sie ihre Anhänger dazu bringen können, ihr Leben für seine egozentrischen Projekte hinzugeben und ihnen die Füsse zu lecken. Wenn die Anhänger zu Kreuze kriechen, fühlen sie sich besonders lebendig. Können sie sich dann noch die Frauen gefügig machen, erreicht ihre Befriedigung den Höhepunkt.
Diese Jagd nach Macht und Ansehen hat ein Suchtpotential, das nach permanenter Steigerung der Dosis verlangt – was zu einer gefährlichen Spirale führen kann. Im Extremfall zu einem Massensuizid, wie kollektive Sektendramen zeigen.
Für die Sektenanhänger ist die ungezügelte Machtlust religiöser Narzissten eine Tragödie. Sie realisieren nicht, dass sie lediglich als Kulisse und Geldgeber für wahnhafte Machtmenschen herhalten müssen.
Da die meisten Sekten glücklicherweise nicht in den Himmel wachsen, bleiben viele narzisstische Gurus eine Randerscheinung und stellen für die Gesellschaft keine existentielle Bedrohung dar. Doch sie lassen auf ihrem Weg viele Opfer zurück, die oft ihr Leben lang psychisch belastet sind oder gar traumatisiert.
Da Sektenführer überzeugt sind, von Gott geleitet zu werden oder erleuchtet zu sein, betrachten sie sich als unfehlbar. Läuft etwas aus dem Ruder, geben sie den Gläubigen die Schuld. Diese haben zu wenig gebetet, meditiert oder sich kasteit. Wenn sie beispielsweise die sexuellen Übergriffe durch den Guru nicht verkraften, schiebt dieser ihnen die Schuld in die Schuhe. Sie seien spirituell nicht reif genug, seine erlösende sexuelle Kraft in übersinnliche Energie umzuwandeln.
Manche Sektenführer beschränken ihren Machtanspruch nicht auf das religiöse Territorium, sie streben auch nach säkularem Einfluss.
Zu diesen machthungrigen Männern gehörte auch L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology. In seinem Machtfieber träumte er vor über 50 Jahren von einer scientologischen Welt, die seine Anhänger umsetzen sollten. Dabei gehe es um Leben und Tod. Denn seinen Adepten würden nur noch ein paar Jahre bleiben, um den drohenden Untergang abzuwenden. In Wirklichkeit wäre eine scientologische Welt der Untergang der Menschheit.
Ein weiteres Beispiel einer narzisstischen Selbstüberhöhung liefert der indische Guru Osho, früher Bhagwan genannt. Er sah sich selbst zwar als der bahnbrechende spirituelle Meister, hatte aber auch weltliche Machtallüren. So schrieb er in seinem Buch «Die goldene Zukunft», dass nur Menschen studieren dürfen, die seine Meditation gelernt und verinnerlicht haben. Das Gleiche gilt für Leute, die politisch tätig sein wollen.
Doch nicht genug: Wählen und abstimmen dürfte laut Osho nur, wer durch seine Gehirnwäsche «geläutert» wurde. Seine Argumentation: Wir Menschen seien heute durch unsere dekadente Welt indoktriniert und nicht mehr fähig, die wahren spirituellen Werte zu erkennen und umzusetzen. Mit seiner Meditation würde unsere zivilisatorische Gehirnwäsche rückgängig gemacht.
Hätten es seine Anhänger geschafft, das Osho-System zu realisieren, lebten wir heute in einer Art «Bagwahn»-Diktatur. Gleichzeitig sah sich Osho als Weltenlehrer und Friedensstifter. In Wirklichkeit war er ein armseliger Kleingeist, der sein Ego mit 99 Rolls-Royce aufpumpen musste, die er sich von seinen Anhängern hatte schenken lassen.
Es gab und gibt noch viele Beispiele solcher Gurus und Sektenführer. Zu ihnen zählen Jim Jones (Peoples Temple) , Marshall Applewhite (Heaven’s Gate), Shoko Asahara (Aum), Sun Myung Moon (Vereinigungskirche), Claude Vorilhon (Rael), Guru Sai Baba und viele mehr.
Heute ist die Zeit der grossen Sekten weitgehend vorbei, weil sich die Leute im Zeitalter von Wellness- und Lifestylekultur ihre Seele individuell massieren lassen wollen. Dafür gibt es ein Heer von macht- und geldgierigen Menschen, die Spiritualität und Religion benutzen, um ihre narzisstischen Bedürfnisse zu befriedigen.
Es sind dies Heerscharen von freikirchlichen Pastoren und Prediger, vorwiegend in Südamerika, Afrika und Asien. Aber auch Tausende esoterische und spirituelle Meister, die ihre Adepten aus Machtlust psychisch quälen und ausbeuten. Sie alle brauchen ihre Anhänger als Kulisse für ihre angeblich epochalen spirituellen und religiösen Rezepte zur Erlösung der Menschheit.