Glaubensgemeinschaften sehen sich gern als Musterschüler – sowohl in spirituellen als auch säkularen Belangen. Sie sind überzeugt, von Gott auserwählt zu sein und den richtigen Kompass in moralischen und ethnischen Fragen zu besitzen. Der Absolutheitsanspruch bezüglich Heilslehre macht das Gesamtpaket in ihren Augen perfekt.
Soweit die Theorie.
In der Praxis wird vieles oft ein bisschen komplizierter. Konflikte und Ungerechtigkeiten gibt es nicht nur in Sekten, sondern auch Religionsgemeinschaften der Weltreligionen.
Ein Lied davon singen können speziell die Frauen. Was sie in der Geschichte des Christentums, des Islams und teilweise auch des Judentums erdulden und erleiden mussten, ist mehr als beschämend. Sie wurden nicht nur systematisch unterdrückt, sondern häufig auch zu minderwertigen Wesen degradiert.
Diese Glaubensgemeinschaften haben in der Vergangenheit für die Hälfte der Menschen unendliches Leid in die Welt gebracht. Manches liegt auch heute noch im Argen.
Von den Buchreligionen ist der Islam teilweise in den grauen Zeiten stecken geblieben. Männer bestimmen, wie Frauen ihr Leben führen müssen. Die Taktik ist vom Machtanspruch der Patriarchen bestimmt.
Wenn es im Islam um die Unterdrückung der Frauen geht, vermischen sich soziale, politische und religiöse Motive. Diese Verquickung verschärft das Problem zusätzlich.
Die meisten christlichen Kirchen pflegen inzwischen einen zivilisierteren und menschenwürdigeren Umgang mit den Frauen, Gleichberechtigung ist bei manchen aber noch ein Fremdwort.
Weshalb tun sich etliche christliche Glaubensgemeinschaften so schwer, die Gleichstellung von Mann und Frau umzusetzen, wie es die Menschenrechte und die Verfassungen vieler Länder fordern? Der Hauptgrund: Sie beziehen sich auf die Bibel, die als Wort Gottes gilt, an das sich die Gläubigen zu halten haben. Das «heilige Buch» atmet den Geist einer Männerwelt.
So hat sich die Dominanz des vermeintlich «starken Geschlechts» in die DNA der christlichen Glaubensgemeinschaften eingeschlichen. Von dieser waren auch hochverehrte Religionsführer und christliche Mystiker infiziert.
So überrascht es nicht, dass der Theologe und Philosoph Augustinus, der in seinem umfangreichen Schriftwerk den christlichen Glauben prägte, das «Weib» als minderwertiges Wesen bezeichnete. Es entspreche nicht der natürlichen Ordnung. Vielmehr seien die «Weiber» dazu da, den Männern zu dienen.
Für Augustinus hat Gott nur den Mann nach seinem Ebenbild erschaffen. Tatsächlich wird im Alten Testament erklärt, dass Eva aus der Rippe von Adam geformt wurde. Somit werden die Frauen schon bei der Schöpfungsgeschichte zu Menschen zweiter Klasse degradiert.
Auch der von vielen Gläubigen verklärte Franz von Assisi prägte ein verheerendes Frauenbild. Er sagte, wer mit dem Weibe verkehre, beflecke seinen Geist. Tiere waren dem berühmten Mystiker offensichtlich wesentlich näher als die «Weiber».
Vermutlich war er inspiriert worden von der biblischen Idee, wonach Eva ihren Adam dazu verführt hat, vom Apfel der Erkenntnis zu essen. Somit ist in seinen Augen das «erste Weib» Schuld daran, dass wir aus dem Paradies vertrieben wurden.
Die diskriminierende Tradition führte Thomas von Aquin fort. Er bezeichnete die Frau als «Missgriff der Natur», als eine Art verstümmelter, verfehlter, misslungener Mann. Die volle Verwirklichung der menschlichen Art sei nur der Mann.
In seinem heiligen Furor hat er übersehen, dass Frauen die Männer gebären. Ohne den «Missgriff der Natur» hätte sich die menschliche Art – also der Mann – nie verwirklichen können.
Auch der Reformator Luther verhöhnte die Frauen. Es sei die grösste Ehre des Weibes, Männer zu gebären. Der Tod im Kindbett sei nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes.
Immerhin hat sich die reformierte Kirche, die Luther begründete, als einzige wirklich emanzipiert und die Frauen gleichgestellt. Ihnen sind die gleichen Ämter und Privilegien offen wie den Männern.
Die Freikirchen, quasi Abspaltungen der protestantischen Kirchen, verharren weiter im biblischen Geist, denn für sie ist die Bibel immer noch das authentische Wort Gottes. Etliche Denominationen haben sich zwar ein Stück weit emanzipiert und lassen auch Frauen in den Leitungsgremien zu.
Doch viele sind weiterhin männlich geprägt: Die Ämter der Pastoren und Ältesten werden immer noch nach alter Väter Sitte von Männern besetzt.
Bleibt noch die katholische Kirche. Für die grösste christliche Kirche sind Frauen auch im 21. Jahrhundert Menschen zweiter Klasse. Sie dürfen zwar die Knochenarbeit in den Kirchgemeinden erledigen, im Priesteramt haben sie aber nichts zu suchen.
Die Kurie im Vatikan – ein Bund alter Männer – wehrt sich standhaft gegen die Reformbewegungen fortschrittlicher Gläubigen. Lieber stur die «reine Lehre» verteidigen, als die Privilegien aufzugeben. Auch wenn sie damit die Säulen der Kirche ins Wanken bringen.
Es ist an der Zeit, dass sich alle christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften an einem internationalen Gedenktag bei allen Frauen entschuldigen. Denn die Kirchen haben das geistige Klima geprägt, das die Unterdrückung der Frauen über Jahrhunderte begünstigte. Ein fundamentales Unrecht, das bis heute nachwirkt.