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Hat der Tod am Kreuz die Welt zum Guten verändert? Zweifel sind angebracht

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Hat Jesus' Tod am Kreuz die Welt zum Guten verändert? Zweifel sind angebracht

Die christlichen Kirchen rühmen sich, humanistische Entwicklungen und zivilisatorische Prozesse gefördert zu haben. Doch das ist Geschichtsklitterung – zumindest teilweise. 
02.04.2018, 13:31
Hugo Stamm
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Die christlichen Kichen sind stolz, dass sie den Geist und die Kultur des Abendlandes entscheidend prägten. Besonders stolz sind sie auf die zivilisatorische und kulturelle Entwicklung. Sie nehmen auch sehr gern für sich in Anspruch, die Begründer und Hüter von Moral und Ethik zu sein.

Fromme Christen sind denn auch überzeugt, dass ohne Jesus Christus und seinem Tod am Kreuz die Entwicklung der Menschheitsgeschichte vom Nahen Osten über Europa bis in die USA anders verlaufen wäre. Ganz anders. Barbarisch nämlich.

Die Selbstbeweihräucherung geht noch weiter. Viele geistliche Würdenträger behaupten, dass im Schoss der Kirche viele natur- und geisteswissenschaftlichen Entwicklungen ihren Ursprung hatten. Und dass die Menschenrechte auf den Errungenschaften der christlichen Heilslehre fussen. Manche Fromme reklamieren auch die Aufklärung – mindestens teilweise – für sich. Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber allerhöchstens die halbe Wahrheit.

Laienschauspieler fuehren die Passion Christi auf am Mittwochabend, 16. April 2014, in Coldrerio TI. In den Tagen vor Ostern im Jahr 1945 entschied eine Gruppe Jugendlicher aus Coldrerio, die von den  ...
Passionsspiele werden heute vor allem in den katholisch geprägten Regionen Bayerns und Österreichs aufgeführt.Bild: KEYSTONE

Denn viele dieser Aspekte sind Mythen. Mythen, um den Glanz der Kirchen aufzupolieren. Man könnte es auch Propaganda oder PR nennen. Oder ein Versuch, die Geschichte umzuschreiben oder von den Skandalen abzulenken.

«Die Geschichte des guten Jesus hab ich nun so satt, dass ich sie von keinem, ausser von ihm selbst, hören möchte.»
Goethe

Pflücken wir nur den Anspruch heraus, die Kirchen seien Gralshüter von Moral und Ethik. Obwohl das Gebot «Du sollst nicht töten» sehr zentral ist, war selbst Jesus Christus nicht nur friedlich. Erwähnt sei sein Spruch, er sei nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Auch seine Hinweise auf das Jüngste Gericht sind heftig.

Davon wird in den Osterpredigten kaum die Rede sein. Man muss Jesus aber auch zugute halten, dass er grundsätzlich eine Kutur des friedlichen Miteinanders propagierte und sich für die Armen und Geknechteten einsetzte.

Bewohnerinnen und Bewohner aus der Region stellen als biblische Persoenlichkeiten verkleidet den Leidensweg Christi nach Golgatha dar, waehrend der Prozession vom Gruendonnerstag in Mendrisio, am 24.  ...
Die Kreuzigung von Jesus: Geschichte oder Mythos?Bild: KEYSTONE/

Trotzdem hegte auch Johann Wolfgang von Goethe Zweifel: «Die Geschichte des guten Jesus hab ich nun so satt, dass ich sie von keinem, ausser von ihm selbst, hören möchte.»

Historisch verbrieft ist hingegen, dass die katholische Kirche bis in die Neuzeit dem christlichen Credo von Moral und Ethik nicht nachlebte. Die blutige Spur, die sie hinter sich herzog, ist belegt. Unbestritten ist auch, dass sie Steigbügelhalter von politischen Despoten war, die ihre Völker knechteten.

Wenn also die christlichen Kirchen für sich reklamieren, die humanistischen Entwicklungen gefördert zu haben, ist dies über weite Strecken eine Geschichtsklitterung. Denn: Nicht sie haben die Standards gesetzt und die zivilisatorischen Prozesse gefördert, vielmehr hat die Zivilgesellschaft mit ihren geistigen und kulturellen Errungenschaften die Kirchen gezwungen, sich anzupassen und ihre autoritären und repressiven Verhaltensweisen teilweise aufzuweichen.

Opfer sexueller Übergriffe

Wie nötig der zivile Druck auf die christlichen Kirchen war, zeigt ein aktuelles Beispiel. Ein in dieser Woche publizierter Untersuchungsbericht dokumentiert, dass der Kapuzinermönch Joël Allaz von 1958 bis 2003 unzählige Knaben sexuell missbraucht hat. Eines der Opfer, Daniel Pittet, hat die Übergriffe in seinem Buch «Mon Père, je vous pardonne» festgehalten.

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Der Kapuzinerorden wusste davon, die Kirche auch. Sie schauten weg, vertuschten die Missbräuche. Statt ihn der Justiz zu übergeben, versetzten sie den pädophilen Mönch mehrfach. Der Ruf war dem Orden und der katholischen Kirche wichtiger als die Gewaltopfer. Wie wir wissen, ist Daniel Pittet nur eines von Tausenden Opfern weltweit

Ohne Aufklärung und Druck durch die Zivilgesellschaft würde die katholische Kirche heute noch ihre Verbrecher in den eigenen Reihen decken. Sie tut es ja teilweise heute noch. Doch davon werden die Gläubigen nichts hören, wenn die prunkvoll gekleideten Geistlichen an Ostern auf die Kanzel steigen.

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Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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298 Kommentare
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Stichelei
31.03.2018 09:04registriert Oktober 2015
Es ist wirklich äusserst störend und zeugt von mangelndem Geschichtsverständnis, wenn von bestimmten Politikerkreisen mantrahaft die christlichen Werte als exklusive Grundpfeiler und Katalisatoren der heutigen westlichen Gesellschaft propagiert werden. Dabei mussten doch gerade viele der jetzt entscheidenden Grundrechte (ich denke da z.B. an die Gleichberechtigung der Geschlechter) gegen den massiven Widerstand der christlichen Kirchen erkämpft werden. Für die moderne Ethik ist mehr als das Christentum die Aufklärung verantwortlich.
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Lienat
31.03.2018 09:03registriert November 2017
Kulturelle Entwicklung? Moral und Ethik? Natur und Geisteswissenschaften? Wenn die Kirche das für sich beansprucht blendet sie z.B. das Mittelalter aus, in dem sie während etwa 500 Jahren alles oben genannte unterdrückt hat. Selbst heute ist sie noch nicht über den Berg: diskriminierung der Frau, Unterdrückung von Homosexuellen und Verteufelung der Sexualität sind immer noch die offizielle Doktrin. Jesus würde sich im Grab drehen...!
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Luca Brasi
31.03.2018 10:12registriert November 2015
Wow! Ein sehr kurzer Artikel mit einem Ritt durch die halbe Menschheitsgeschichte und wieder einmal äusserst einseitig.
Positive Änderungen durch die Kirche werden völlig ausgeblendet. Durch Jesu Tod am Kreuze wurde ein Element zentral für die Christenheit (sofern es denn echte Christen sind und keine Politiker, die den Glauben und vieles anderes für ihre Zwecke missbrauchen): Vergebung.
Zudem errichteten im Mittelalter die Gläubigen Klöster und bewahrten so u.a. das antike Wissen, kümmerten sich um Arme in Spitäler, gaben Nahrung und die ersten Unis entstanden dank den Gläubigen. Aber ok...
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