Der christliche Glaube, der unser Bewusstsein bis vor wenigen Jahrzehnten stark geprägt hat, war früher aus mentaler Sicht eine Art Staatsreligion. Der Einfluss der Kirchen reichte bis in soziale und politische Belange hinein.
Wer damals die christliche Heilslehre öffentlich kritisierte oder sich als Atheist outete, war bald als Ketzer gebrandmarkt. Er wurde zwar nicht mehr wie teilweise im Mittelalter gefoltert oder zum Tod verurteilt, aber er wurde geächtet.
Diese Zeiten sind seit der 68er-Revolte gegen die verkrusteten sozialen Werte und Strukturen vorbei. Der Kampf für die geistige Freiheit hat unsere Gesellschaft in den vergangenen 50 Jahren radikal verändert.
Erinnert sei nur daran, dass das Konkubinat noch in den 1970er-Jahren im Kanton Zürich verboten war und Polizisten gelegentlich als Schlafzimmer-Schnüffler tätig waren. Damals herrschte noch der zwinglianische Geist. Seit die Kritik am christlichen Glauben und an den Kirchen kein Tabu mehr ist, sinkt der Einfluss der Landeskirchen kontinuierlich und die Austritte mehren sich.
Extrapoliert man die Entwicklung, sieht es in 50 Jahren düster aus für die Kirchen. Wenn Religionswissenschafter dereinst eine historische Bilanz ziehen werden, dürfte das Fazit nicht sehr schmeichelhaft ausfallen.
Sie werden festhalten, dass das Christentum dank der Privilegierung durch Konstantin den Grossen im Jahr 324 einen beispiellosen Siegeszug angetreten und das Leben und das Bewusstsein von Milliarden von Menschen bis in die Neuzeit geprägt hat.
Bis nach dem Zweiten Weltkrieg deutete auch nichts darauf hin, dass sich dies in Zukunft entscheidend ändern würde. Doch 25 Jahre nach Kriegsende fegte ein geistiger Sturm durch die westliche Welt, der nachhaltig an den Kirchen rüttelte. Und heute verkaufen diese die ersten Gotteshäuser, die teilweise in Eventräume umgebaut werden. Der Existenzkampf ist augenfällig.
Aus historischer Warte ist der Einbruch dramatisch. Wenn der Zerfall in ähnlichem Tempo wie in den letzten 30 Jahren weitergeht, sieht es für die christlichen Kirchen schlecht aus.
Die historische Bilanz fällt also sehr durchzogen aus. Jahrhundertelang haben die christlichen Kirchen die Gläubigen unterdrückt und geknechtet. Und als sich diese allmählich emanzipierten und human behandelt wurden, begann der Niedergang der religiösen Institutionen.
Was kommt danach? Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die Zeit der umspannenden Religionen oder Glaubensgemeinschaften in der westlichen Welt vorbei sein wird. Anders formuliert: Es wird keine neue Heilslehre oder Religion mehr entstehen, die die christlichen Kirchen beerben könnten.
Fazit: Rund 1700 Jahre lang bestimmte die Kirche das Leben der Menschen, innerhalb von etwa 70 Jahren verblassen sie zu einem Schatten ihrer selbst.
Die spirituellen Bedürfnisse werden aber nicht verschwinden. Die Menschen wollen sich in unserer individualisierten und konsumorientierten Welt die Seele nach den persönlichen Bedürfnissen massieren lassen.
Oder sie suchen Ersatzrituale, die sie konsumieren können. Davon profitieren werden auch kleine, sektenartige Gruppierungen.
Auf lange Frist wird auch der Islam ein ähnliches Schicksal erleiden. Er ist rund 500 Jahre jünger als das Christentum und hat noch eine Schonfrist. Ausserdem profitiert er davon, dass die meisten islamisch geprägten Länder noch autoritäre soziale und politische Strukturen aufweisen, die den geistigen Aufbruch und den Drang nach Freiheit unterdrücken. Doch die Völker werden früher oder später aufmucken, wie wir es beim arabischen Frühling ansatzweise erlebt haben.
Bleibt noch der Hinduismus als weitere Weltreligion. Da beispielsweise in Indien die Volksfrömmigkeit tief verankert ist, wird sich die hinduistische Tradition noch recht lang halten können, selbst wenn viele Inder das Interesse an Glaubensfragen allmählich verlieren sollten.
Auf lange Frist wird aber auch der Hinduismus Existenzprobleme bekommen. Denn mit wachsender Information, Bildung und Wohlstand werden Tiergötter wie Ganesha, Nandi Bull und Hanuman aus dem Himmel verdrängt werden.
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