Diese metaphysische Vorstellung führte schon in grauer Vorzeit zum Glauben im religiösen Sinn. Es entstanden Religionen und Glaubensgemeinschaften. Somit kann die Eingangsfrage so präzisiert werden: Wie sähe die Welt ohne Religionen aus?
Die Antworten fallen je nach persönlicher Neigung und Haltung sehr unterschiedlich aus. Betrachtet man die Pole auf der Meinungsachse, sieht die Geschichte eindeutig aus. Für Gläubige ist die Welt dank ihres Gottesbildes klar: Ohne den (richtigen) Glauben wäre unser Planet ein schrecklicher, ja barbarischer Ort. Ein Ort ohne Moral und Ethik, ein Ort ohne soziale Gerechtigkeit und altruistisches Verhalten.
Für viele Agnostiker, Humanisten und Atheisten ist ebenfalls klar, dass der Glaube an einen Gott oder an Götter das menschliche Bewusstsein vergiftete und unser Weltbild und die Mentalität der Gesellschaft bis heute unheilvoll prägt.
Dazwischen gibt es alle Schattierungen was den Glauben und die Wirkung der Religionen betrifft. Klare Antworten gibt es also nicht.
Sicher ist nur, dass Religionsgemeinschaften und Kirchen früher viel Unheil angerichtet haben – trotz des hehren Anspruchs, von Gott auserwählt zu sein und moralische und ethische Werte zu verfechten. Die Geistlichen in vielen Religionsgemeinschaften haben in der Vergangenheit ihre religiöse und weltliche Macht missbraucht, die Gläubigen unterdrückt, den Reichen hofiert und Ungläubige auf den Scheiterhaufen geworfen. Sie gebärdeten sich als Stellvertreter Gottes und unterjochten die Bevölkerung im Namen des Herrn. Ihr Herrschaftssystem legitimierten sie mit dem missbräuchlich ausgelegten Wort Gottes. Kontrollieren konnten es die Gläubigen nicht, denn es war ihnen verboten, die Bibel zu lesen.
Der Machtanspruch des Klerus war bis in die Neuzeit hinein Auslöser von vielen Konflikten, die gelegentlich in blutige Kriege ausarteten. Es brauchte den Aufstand der Zivilgesellschaft – zum Beispiel in der französischen Revolution – um die Schreckensherrschaft von Monarchie und Kirche zu brechen und den Laizismus zu fördern.
Doch prägen diese unheiligen Zeiten unsere Kultur, Geschichte und Geisteshaltung bis in die heutige Zeit hinein? Oder haben wir die unheiligen dunklen Schatten der Religionen überwunden?
Betrachten wir den Islam, dann stellen wir einen Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten fest. Der böse Geist des radikalen Glaubens steigt wieder hoch mit all seinen schrecklichen Auswirkungen. Wissen, Bildung und Kultur haben ihre Macht in vielen islamischen Ländern nicht entfalten können, um den Glauben zu reformieren und die fanatischen Kräfte in Zaum zu halten.
Und wie sieht es in der christlichen Hemisphäre aus? Die Aufklärung hat zu Menschenrechten geführt und schliesslich zur Säkularisierung. Religionsfreiheit, die teilweise Trennung von Kirche und Staat schränkten die Macht der Kirchen ein. Ein Rückfall in puritanische Zeiten ist bei uns kaum mehr vorstellbar. Wir sind auf den Geschmack der individuellen Freiheit gekommen und geben das Privileg so schnell nicht wieder her.
Das christliche Gen steckt aber weiterhin tief in uns. Die Gedanken von Schuld und Sühne, von Sünde und Verdammnis, von göttlicher Strafe und Busse prägen unser Denken und Bewusstsein weiterhin. Und behindern die geistige Emanzipation.
Auch der Glaube, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen und die Krone der Schöpfung zu sein, wirkt bis in unsere Tage unheilvoll nach. 2000 Jahre Christentum prägt unsere DNA teilweise heute noch.